Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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das Gras wach­sen zu hö­ren, sie ahn­ten mehr Din­ge zwi­schen Him­mel und Erde, als sich die Phi­lo­so­phie an­de­rer Leu­te träu­men ließ; aber das ahn­ten sie nicht, dass sie durch ihre ver­gnüg­te Ge­gen­wart der deut­schen Na­ti­on eine fer­ne­re viel­tau­send­jäh­ri­ge Ge­müt­lich­keit ver­bürg­ten, wie drei Ei­cheln, die man in der hoh­len Hand hält, einen gan­zen Wald be­deu­ten mö­gen.

      Nun trat der nie­de­re Kirch­turm von Bums­dorf aus den Baum­wip­feln her­vor, grad als die rote Son­ne ihre Fo­to­gra­fie auf den west­li­chen Ho­ri­zont wie an den Rand ei­nes Spie­gels steck­te. Noch ei­ni­ge Schrit­te, und sie – der Pro­fes­sor, der Vet­ter und der Pa­scha – guck­ten an der­sel­ben Stel­le über die He­cke in die Flie­der­lau­be, an wel­cher einst Leon­hard nach sei­ner Heim­kehr aus dem Tu­mur­kie­lan­de zu so ar­gem Schre­cken des Schwes­ter­leins, der schö­nen Ni­ko­la und der bei­den Mäd­chen vom Guts­ho­fe hin­über- und hin­ein­ge­guckt hat­te. Mit ei­nem klei­nen Schre­ckens­schrei sprang Fräu­lein Lina Ha­ge­bu­cher auch dies­mal em­por und –

      »Alle Ha­gel!« rief der Leut­nant Herr Hugo von Bums­dorf, der in ei­ner grau­en Jop­pe und ho­hen Was­sers­tie­feln dem Kin­de ge­gen­über­ge­ses­sen und es auf das flie­ßends­te von den Fort­schrit­ten der Land­wirt­schaft, dem Herrn von Lie­big und sei­ner ei­ge­nen drä­nie­ren­den, ra­tio­nell öko­no­mi­schen Zu­kunft un­ter­hal­ten hat­te.

      »Bis­mil­lah! Gott ist wahr­haf­tig groß, und Ma­ho­met ist in der Tat sein Pro­phet!« rief Leon­hard Ha­ge­bu­cher, der einen Au­gen­blick spä­ter, eben­falls mit ei­ner lan­gen Pfei­fe im Mun­de, auf der Trep­pe der Haus­tür er­schi­en und sei­nem se­li­gen Va­ter nach Sta­tur, Ge­sichts­bil­dung, Hal­tung merk­wür­dig ähn­lich sah. Aber ganz im Ge­gen­satz zu dem se­li­gen Al­ten durch­maß er in drei wei­ten Sät­zen den Raum vom Hau­se bis zur Gar­ten­pfor­te, um die drei Freun­de mit Gruß, Hän­de­druck und Umar­mung in Empfang zu neh­men. Und die Kat­ze im of­fe­nen Fens­ter der un­tern Stu­be hör­te auf, sich zu put­zen, und sah mit un­ver­kenn­ba­rem In­ter­es­se auf Täu­brich-Pa­scha und den ro­ten, blau­be­quas­te­ten Fes in den Hän­den des­sel­ben. Und die alte Frau im schwar­zen Trau­er­klei­de leg­te stau­nend die Bril­le zwi­schen die Blät­ter von Schmol­kes Mor­gen- und Abend­an­dach­ten und trat neu­gie­rig gleich­falls her­vor, um von all den Be­grü­ßun­gen und Vor­stel­lun­gen ihr Teil zu ho­len. Sie be­kam es auch im volls­ten Maße und fand auf der Stel­le ein großes Wohl­ge­fal­len an dem Pro­fes­sor, sei­nen al­ter­tüm­li­chen Kom­pli­men­ten, sei­nem ernst­haf­ten We­sen und sei­nen schö­nen ge­lehr­ten Re­den über so vie­le Din­ge, wel­che ihr zu hoch wa­ren. Was da­ge­gen den träu­men­den Schnei­der Fe­lix Täu­brich an­be­traf, so wur­de sie wäh­rend sei­nes gan­zen Auf­ent­halts in ih­rem Hau­se eine ge­wis­se Furcht vor ihm nicht los, sah ihn stets ein we­nig bäng­lich von der Sei­te an und schüt­tel­te den Kopf und mein­te ver­stoh­len, dem Men­schen traue sie nicht, der sei ent­we­der noch viel klü­ger als der Pro­fes­sor oder noch viel düm­mer als der lah­me Hans vom Gute, des Herrn von Bums­dorf Gim­pel, und wenn er bei­des nicht sei, so sei er un­be­dingt ein ganz heim­tücki­scher Bö­se­wicht und ver­stel­le sich grau­sam oder er sei sehr brav und es feh­le ihm nur da ein we­nig zu viel, wo auch die meis­ten an­de­ren Leu­te lan­ge nicht ge­nug hät­ten.

      Bei den letz­ten Wor­ten klopf­te sie sich je­des Mal be­deu­tungs­voll vor die Stirn. –

      Wer guckt noch über die He­cke des Ha­ge­bu­cher­schen Gar­tens und ruft:

      »Na, das ist eine Be­sche­rung, die ich mir lobe!« – ?

      Wer konn­te es an­ders sein als der grau­se Dy­nast des Or­tes, der grim­me, er­bar­mungs­lo­se Aus­über sämt­li­cher feu­da­len Rech­te hie­si­ger Ge­le­gen­heit, der blut­dürs­ti­ge, ent­setz­li­che Jun­ker und Erb­herr von Bums­dorf? Und was tut er, um den durch sei­ne plötz­li­che Er­schei­nung her­vor­ge­ru­fe­nen Schre­cken ins Gren­zen­lo­se zu ver­meh­ren? Er fügt dem Schau­der sei­ner Ge­gen­wart den kal­ten Hohn des ge­spro­che­nen Wor­tes hin­zu, wen­det sich an sein jüngs­tes, ihm dicht auf den Fer­sen nachtrip­peln­des Rit­ter­fräu­lein und ruft:

      »Flink, Min­chen, jetzt gilt es, Sie­vers mar­schiert eben vom Hofe! Jetzt zeig, dass dir die Füße nicht zu­sam­men­ge­wach­sen sind; flink, die Fo­rel­len kom­men un­ter kei­nen Um­stän­den in die Stadt, Sie­vers setzt den Korb wie­der ab, und der Gol­de­ne Pfau mag zu­se­hen, wie er sich ohne die Fi­sche zu­recht­fin­det. Marsch, lus­tig vor­wärts und – halt, dei­ner Mut­ter sag, wenn sie et­was recht Ku­rio­ses se­hen wol­le, so möge sie gleich zum Afri­ka­ner her­über­sprin­gen, bei dem sei halb Ägyp­ten und die gan­ze Tür­kei so­eben an­ge­langt und lie­ßen sich um­sonst se­hen!… Gu­ten Abend, Pro­fes­sor­chen, gu­ten Abend, Täu­brich-Pa­scha! Ge­spro­chen ha­ben wir längst von die­ser Ehre und die­sem Ver­gnü­gen, aber ge­glaubt hat ei­gent­lich kei­ner dran.«

      Wem der Rit­ter von Bums­dorf die Hand drück­te, der spür­te es noch eine ge­rau­me Zeit nach­her, und wem Fräu­lein Min­chen auf der Nip­pen­bur­ger Chaus­see nach­lief und nachrief, der muss­te sehr schnell auf den Fü­ßen und sehr schwer­hö­rig sein, um ihr zu ent­ge­hen. Sie­vers der Va­sall ent­wisch­te ihr nicht, die Bums­dor­fer Fo­rel­len ge­lang­ten zu großem Ver­druss der Pfau­wir­tin nicht in die Kü­che des Gol­de­nen Pfau, son­dern blie­ben im Orte und nähr­ten red­lich des Or­tes Ein­ge­bo­re­ne und die bei­den ho­hen Fremd­lin­ge und lie­ben Gäs­te aus der Haupt­stadt des Lan­des. Erst am drit­ten Tage nach sei­ner An­kunft in der Pro­vinz ge­dach­te der Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger des rö­mi­schen Stei­nes bei Flie­gen­hau­sen und schlug sich vor die Stirn und sprach:

      »Ja so! Ist es mir doch im­mer ge­we­sen, als sei ich ei­nes ganz be­stimm­ten Zweckes hal­ber hier­her­ge­wan­dert! Bei den Bu­ko­li­ken des Vir­gil, die­ses länd­li­che Wohl­le­ben und die­se ei­gen­tüm­lich fri­sche Luft schei­nen mei­ner Na­tur durch­aus nicht zu­träg­lich zu sein. In der Zu­sam­men­stel­lung mei­ner ver­schie­de­nen Hy­po­the­sen über die Na­sal­lau­te in den eu­ro­päi­schen Spra­chen und wel­chem Ur­stamm wir für die­sel­ben dank­bar sein müs­sen, bin ich auch nicht wei­ter fort­ge­schrit­ten, wel­ches mir sehr be­denk­lich er­scheint. Ich bit­te drin­gend um mei­nen rö­mi­schen Mei­len­stein, Freund Leon­hard; es wäre mir wirk­lich sehr an­ge­nehm, hier in Bums­dorf die An­we­sen­heit der urbs nach­wei­sen zu kön­nen, und ich wür­de un­ter sol­chen Um­stän­den die auf die­se klei­ne, aber aben­teu­er­li­che Ex­kur­si­on ver­wen­de­te Zeit nicht als ganz und gar ver­lo­ren er­ach­ten.«

      »Bra­vo, Pilz!« lach­te der Vet­ter Was­ser­tre­ter. Leon­hard Ha­ge­bu­cher lach­te gleich­falls, doch nicht ganz so laut; der Pa­scha ließ be­trübt die Un­ter­lip­pe sin­ken, und der Leut­nant Hugo rief: »Wir ha­ben dort eine Wei­zen­brei­te auf dem Fuchs­rücken und kön­nen eine Wald­par­tie und ein Pick­nick aus der Fahrt ma­chen. Wir pa­cken die selbst­ver­ständ­li­chen But­ter­bröd­te, die Mäd­chen, die Wein­fla­schen und uns sel­ber nach Tisch auf einen Lei­ter­wa­gen und ko­chen Kaf­fee un­ter der Gal­ge­nei­che oder beim To­ten Mann oder sonst an ei­nem ro­man­ti­schen Punk­te. Der Pro­fes­sor be­kommt sei­nen Stein, und je­der­mann ver­pflich­tet sich heu­te schon fei­er­lichst, ihm sei­ne An­sicht und Mei­nung dar­über aufs Wort zu glau­ben. Nach­her spie­len wir Blin­de­kuh, das heißt, wer will, kann teil­neh­men; selbst die Mäd­chen sind von dem Ver­gnü­gen nicht aus­ge­schlos­sen –«

      »Hört,


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