Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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un­ten im Hau­se brüll­ten die Kühe. Mei­ne Mut­ter war in ei­nem Wein­krampf, und die Haus­ge­nos­sen­schaft und ein paar Nach­ba­rin­nen und ein al­ter eis­grau­er Ka­me­rad und Steu­er­kol­le­ge mei­nes Va­ters wa­ren auch in der Kam­mer, und die Stu­be ne­ben­an war voll von Men­schen. Un­ter den Leu­ten in der Stu­be aber be­fand sich ein Mann in ei­ner frem­den Uni­form, wie es mir schi­en. Das war aber die Li­vree de­rer von Ever­stein, die ich nach­her sehr ge­nau ken­nen­ge­lernt habe.

      Der Herr Graf hat­te den Die­ner mit dem Eber­kop­fe auf den Rock­knöp­fen an mei­ne Mut­ter ge­schickt und sei­nen Wa­gen dazu. Mein to­ter Va­ter lag auf dem Hau­se Wer­den, dem Wohn­sit­ze des Herrn Gra­fen, und ich hör­te, wie der alte Ka­me­rad des Va­ters zu mei­ner Mut­ter sag­te:

      »Frau Steu­er­kon­trol­leu­rin, lie­be Frau, Sie müs­sen es ja lei­der Got­tes, also fas­sen Sie sich! Se­hen Sie doch mal an, ge­fasst muss­ten Sie ja im­mer im Grun­de auf so was sein. Wie wäre es denn nun ge­we­sen, wenn uns der lie­be Herr­gott wäh­rend un­se­rer Mi­li­tär­dienst­zeit einen gu­ten, bra­ven Krieg be­schert hät­te? Eben viel­leicht nicht an­ders als jetzt; nur wäre es viel­leicht dann noch frü­her ein­ge­trof­fen, und das wäre denn noch viel be­trüb­ter für Sie ge­we­sen. Nicht wahr? Sie sind doch nun gott­lob eine Sol­da­ten­frau, und Ihren Jun­gen ha­ben Sie ja da auch noch, und er nimmt sich ge­wiss in die­ser ernst­haf­ten Stun­de ein Bei­spiel an sei­nem lie­ben Va­ter und macht es ihm in al­len Din­gen nach. Nicht wahr, Fritz, das ver­sprichst du uns?«

      »Ja, ja!« heul­te ich, ohne im ge­rings­ten zu wis­sen, was al­les ich hier ver­sprach; aber ich fühl­te, wie mei­ne Mut­ter mich fes­ter fass­te und hef­ti­ger mich an sich drück­te, als wer­de sie mich nie mehr aus ih­ren lie­ben schüt­zen­den Ar­men los­las­sen:

      »Fritz, du bleibst bei mir! Du gehst nie von mir!«

      »Ja, Mut­ter, ich fah­re mit, ich darf mit aus­fah­ren zum Va­ter! Nicht wahr, und ich darf auf des Va­ters Brau­nem nach Hau­se rei­ten?«

      »Der Wa­gen hält schon seit ei­ner Stun­de vor der Tür«, sag­te der alte Ka­me­rad. »Und es ist doch auch recht freund­lich von der Herr­schaft auf Schloss Wer­den, dass sie ihre ei­ge­ne Equi­pa­ge schickt. Von Amts we­gen sind wir schon längst zu Pfer­de hin­aus; da wird nicht das ge­rings­te ver­ab­säumt wer­den, was Ih­nen zum Trost ge­rei­chen kann, Frau. Und jetzt kom­men Sie; – die Nach­ba­rin­nen zie­hen Ih­nen den Jun­gen an, und dann fah­ren wir lang­sam nach. Es geht ja al­les im mensch­li­chen Le­ben hin und eins in das an­de­re. Erin­nern Sie sich nur recht ge­nau an al­les, was Sie mir so gut und brav zum Tros­te sag­ten, als ich so bei mei­ner se­li­gen Frau saß und sie dalag. Sie wis­sen ja also al­les Bes­te, was Ih­nen ei­ner jetzt sa­gen kann, schon von sel­ber. Frit­ze, du kannst mit­fah­ren.«

      Zweites Kapitel

      Was für eine Ma­gie liegt selbst für die Er­wach­se­nen in dem sich dre­hen­den Rad! Fah­ren!… Aus­fah­ren! Fah­ren durch einen fri­schen, son­ni­gen Som­mer­mor­gen in die wei­te, wei­te Welt hin­ein! Gibt es ein glück­se­li­ge­res Fie­ber als das, was bei die­sem Wor­te und die­ser Vor­stel­lung das Kind er­greift und ihm in er­war­tungs­vol­ler Won­ne fast den Atem be­nimmt?

      Ich war an je­nem schreck­li­chen Mor­gen un­ge­fähr fünf oder sechs Jah­re alt; aber wie deut­lich steht er mir noch vor der See­le! Mit al­len sei­nen Ein­zel­hei­ten! Da war das has­ti­ge An­klei­den, bei dem ein Dut­zend auf­ge­reg­te Hän­de hel­fen woll­ten. Da war das Ge­flüs­ter rund­um und da­zwi­schen das stil­le Wei­nen und lau­te Schluch­zen der Mut­ter, von Zeit zu Zeit ein neu­es Ge­sicht, das sich in die Tür schob und in ei­nem Win­kel sich »des ge­naue­ren« be­rich­ten ließ. Da­zwi­schen im­mer wie­der von neu­em die bra­ven, gu­ten Wor­te des al­ten Ka­me­ra­den und Kol­le­gen und dann – das Peit­schen­knal­len des Kut­schers in der Gas­se, das all­mäh­lich im­mer mehr von stei­gen­der Un­ge­duld zeug­te.

      Und dann wa­ren wir auf der Trep­pe und dann in der Gas­se, und die Gas­se rund um die gräf­li­che Kut­sche war auch voll Men­schen, die sich ver­hält­nis­mä­ßig still ver­hiel­ten, aber de­sto mehr und dich­ter sich im Kreis he­randräng­ten und, wie mir schi­en, sämt­lich nur all­zu­gern mit­ge­fah­ren wä­ren in die Wei­te hin­aus und nach Schloss Wer­den.

      Und die Mut­ter be­küm­mer­te sich nun gar nicht mehr um mich. Ich hielt mich an ih­rem Ro­cke, sie aber ließ sich starr, stumm und wil­len­los füh­ren, und ich fürch­te­te mich vor ih­ren Au­gen, mit de­nen sie gar nichts mehr sah, selbst mich nicht. Ich aber sah auch nur bei­läu­fig auf sie; denn der hell­blaue Kut­scher sah auf mich, und er hat­te zwei Brau­ne vor sei­nem Wa­gen.

      Das hol­pe­ri­ge Pflas­ter der ein­zi­gen Haupt­stra­ße des Städt­chens – aus dem Tor, an den Gär­ten hin auf die Land­stra­ße; – ich ne­ben der Mut­ter im Rück­sitz des Wa­gens, und des Va­ters Ka­me­rad und Kol­le­ge uns ge­gen­über! Da ist die Müh­le, wo sich das Was­ser aus ziem­li­cher Höhe auf das Rad stürzt und mir mit sei­nem ewi­gen Brau­sen und wei­ßen Schäu­men und ei­li­gen Wei­ter­to­sen im Bach im­mer einen so won­ni­gen Schau­der ein­jagt. Da ist die Gän­se­wei­de, un­ser Haupt­spiel­platz; Schul­kin­der mit ih­ren Schie­fer­ta­feln und Abc-Bü­chern ste­hen am Ran­de des Gra­bens und star­ren uns an und sind im nächs­ten Au­gen­blick zu­rück­ge­blie­ben, wäh­rend ich wei­ter­fah­re. Auf der wei­ßen Land­stra­ße liegt die Son­ne schon ziem­lich heiß; – was wohl der Stein­klop­fer denkt, der uns auch nach­sieht? Was er wohl denkt über un­se­ren Kut­scher in dem hell­blau­en Rock und mit dem Sil­ber­strei­fen um den Hut? Und über den an­de­ren Mann vor uns auf dem Bo­cke, auch in Hell­blau und Sil­ber?! Ich sehe um die Schul­tern der bei­den Leu­te von Schloss Wer­den auf die im Tra­ben sich he­ben­den und sen­ken­den Pfer­de­köp­fe und die schwar­zen Mäh­nen. Wer doch das al­les im­mer so vor sich ha­ben könn­te und vor­bei­fah­ren im­mer­zu an den Men­schen und Bäu­men, Zäu­nen und He­cken – im­mer, auch wenn die Son­ne noch hei­ßer schei­nen soll­te!… Ich ste­he auf, um in die zu­rück­blei­ben­den wei­ßen Staub­wol­ken hin­ein­zu­se­hen. Mei­ne Mut­ter zieht mich wie­der auf den Sitz, und wir fah­ren in das Freie, Kla­re, Fri­sche hin­ein.

      »Bald sind wir glück­li­cher­wei­se im Schat­ten«, sag­te der Ka­me­rad. Sei­ne Sä­bel­schei­de wird heiß; ich habe den Fin­ger dar­auf ge­legt, weil die Son­ne auch auf ihr blitzt und blin­kert, – zu ver­lo­ckend, um nicht auch da von ih­rem Glan­ze ver­lockt zu wer­den. Es ist acht Uhr am neu­en Tage – auch das be­merkt der Ka­me­rad, sei­ne Uhr her­vor­zie­hend.

      »Nun se­hen Sie ein­mal, lie­be Frau, wie es doch im­mer viel spä­ter wird, als man denkt, wenn man es auch noch so ei­lig ha­ben will. Da sind wir aber gott­lob we­nigs­tens end­lich im Wal­de und im Schat­ten.«

      Ja, wir fuh­ren jetzt im Wal­de, und es gab nichts Schö­ne­res als ihn an die­sem Mor­gen. Die Bu­chen streck­ten ihre Zwei­ge zu ei­nem grü­nen Da­che über uns hin. Was­ser­läu­fe rie­sel­ten her­vor und be­glei­te­ten uns stel­len­wei­se. Dann und wann sah man hin­ein in ein Tal, und dann wie­der trat der rote Sand­stein bis dicht an den Weg hin­an, und die Gril­len schrill­ten in dem Spal­te des hei­ßen Ge­stei­nes, und nie in ih­rem glück­li­chen Da­sein und Wei­ter­wei­len ge­stör­te Blu­men – gelb und blau – sa­hen uns vor­über­fah­ren.

      Doch uns droh­te nun in all der Pracht, Lieb­lich­keit und Schön­heit ein Schreck­li­ches.

      Ein lei­ses Klir­ren kam her­an an ei­ner Wen­dung


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