Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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einen grö­ße­ren Ka­pi­ta­lis­ten, als ich bin; und dass ich auf dem Wege nach der Hei­mat war, um mir den Stein­hof zu­rück­zu­kau­fen, hielt er für eine von mei­nen al­ten Dumm­hei­ten, und da­bei kam auch sein al­tes lus­ti­ges La­chen (weißt du noch, Fritz?) zum ers­ten Mal an­nä­hernd wie­der zum Vor­schein. Ich lach­te aber nicht mehr mit wie vor Jah­ren auf dem Stein­ho­fe, wenn ihr eu­ren Spaß an mir hat­tet und ich das euch gern gönn­te. Um Ire­ne Ever­stein hat­te er sich so we­nig – wie du – nim­m’s mir nicht übel, Dok­tor! – be­küm­mert. Das hät­te ich mei­ner­seits ihm nun nicht all­zu übel ge­nom­men, wenn es mir gleich et­was son­der­bar nach ih­rer so net­ten Ju­gend­freund­schaft und -lieb­schaft er­schi­en. Aber auch von sei­nem al­ten Va­ter und von sei­ner Schwes­ter wuss­te er we­nig. Sie schrie­ben an ihn wohl, er aber schrieb nur dann zu­rück, wenn er Zeit hat­te, und die hat­te er we­nig. Ein biss­chen Heim­weh dann und wann in der Frem­de scha­det kei­nem Men­schen. Man kann auch trotz­dem Geld ma­chen und ein tüch­ti­ger Ar­beits- und Ge­schäfts­mann sein. Ich habe es furcht­bar ge­habt, das Heim­weh näm­lich, und für eine Mil­li­on nicht wäre ich auf sei­nen, un­se­res Ewalds, Vor­schlag ein­ge­gan­gen und wäre noch ein halb Jahr lang bei ihm in Eng­land ge­blie­ben und hät­te Bo­den­wer­der Bo­den­wer­der sein las­sen. Üb­ri­gens lässt er dich doch grü­ßen, der alte Jun­ge. Und als ich ihm sag­te, dass ich dich je­den­falls auf­zu­fin­den su­chen wür­de, fand er das un­com­mon ob­li­ging für dich.«

      »Ich dan­ke dir und – ihm«, sag­te ich, ziem­lich ge­dehnt das letz­te Wort be­to­nend. »Von dir, Vet­ter Just, war das frei­lich un­ge­wöhn­lich zu­vor­kom­mend und freund­lich!«

      »Är­ge­re dich nur nicht zu sehr, Fritz­chen«, lä­chel­te gut­mü­tig der ge­lehr­te Bau­er vom Stein­ho­fe. »In frü­he­ren Zei­ten ist lan­ge ge­nug un­un­ter­bro­chen an mir die Rei­he ge­we­sen, mich über die Leu­te und Din­ge zu ver­wun­dern. Jetzt bin ich gott­lob we­nigs­tens ein we­nig da­hin­ter­ge­kom­men, dass man mit sei­nem Er­stau­nen haus­hal­ten muss und dass es scha­de ist, es an das un­rich­ti­ge In­di­vi­du­um oder den un­rech­ten Ge­gen­stand weg­zu­wer­fen. Mor­gen früh aber ge­hen wir bei­de zu Ire­ne Ever­stein oder Frau von Reh­len. Weißt du, ich nen­ne sie am liebs­ten im­mer noch bei ih­rem Va­ter­na­men, noch dazu, da es auch der mei­ni­ge ist. Wenn es dir passt, so wer­de ich dich ge­gen elf Uhr ab­ho­len. Du kannst es mir aber auf­rich­tig sa­gen, wenn du an­de­re wich­ti­ge Ab­hal­tun­gen hast.«

      Ich hat­te der­glei­chen nicht.

      Siebenzehntes Kapitel

      Wenn der Vet­ter Just sein Wort ge­ge­ben hat­te, so konn­te man sich dar­auf ver­las­sen, dass er es pünkt­lich hielt. Die­ses war selbst in sei­nen Traumjah­ren auf dem Stein­ho­fe der Fall, und sein Auf­ent­halt in Ame­ri­ka hat­te nichts dar­an ge­än­dert. Fünf Mi­nu­ten vor elf Uhr am fol­gen­den Tage ver­nahm ich sei­nen lang­sa­men, so­li­den Schritt auf der Trep­pe.

      »So, da bin ich, und wir kön­nen ge­hen«, sag­te er. »Ire­ne wird sich ge­wiss recht freu­en; aber ein Ver­gnü­gungs­weg ist es nicht, das ver­si­che­re ich dich.«

      Die­ses brauch­te er nun mir ge­ra­de nicht im­mer zu wie­der­ho­len, ich wuss­te es be­reits. Die Zei­ten, wo wir uns in dem Blät­ter­grün und Son­nen­gold un­se­rer Nuss­baum­nes­ter an der He­cke von Schloss Wer­den schau­kel­ten und uns dar­aus wild, frei und fröh­lich in alle gren­zen­lo­se Ju­gend­lust der Erde nie­der­glei­ten lie­ßen – auf die »Ver­gnü­gungs­we­ge nach dem Stein­ho­fe«, wie der Vet­ter sich aus­drück­te, – die Zei­ten wa­ren nicht mehr vor­han­den. Aber aus dem Son­nen­gold und Blät­ter­grün stieg ich an die­sem Mor­gen doch her­nie­der in den Stra­ßen­schmutz der Stadt Ber­lin. ›Wie du die Ju­gend­freun­din auch fin­den magst, hier­von wer­det ihr auch re­den, Fritz Lan­greu­ter!‹ sag­te ich mir weh­mü­tig-bäng­lich; und dazu war es schon sehr viel und ein großer Se­gen, am Arme des Vet­ters Just Ever­stein die­se Stra­ßen durch­wan­dern zu dür­fen, vor­über an den An­schlags­säu­len mit den hun­dert bun­ten, zu den heu­ti­gen Lust­bar­kei­ten ein­la­den­den Zet­teln, ganz ab­ge­se­hen von den an­de­ren öf­fent­li­chen, pri­va­ten oder amt­li­chen An­kün­di­gun­gen und Auf­for­de­run­gen.

      »Guck, da steht die Ge­sell­schaft und der Staats­an­walt wie­der ein­mal ei­nem durch­ge­schnit­te­nen Hal­se ge­gen­über per­plex! Die­se drei­hun­dert Ta­ler, die dem De­nun­zi­an­ten des Tä­ters an­ge­bo­ten wer­den, sind für mich das ku­rio­ses­te Preis­geld, was der Mensch­heit, das heißt dir, mir und den üb­ri­gen, hin­ge­hal­ten wer­den kann«, brumm­te der Vet­ter. »Was will es da­ge­gen hei­ßen, die bes­te Ko­mö­die zu schrei­ben oder das bes­te Bild zu ma­len und einen Preis da­für zu krie­gen? Bei­läu­fig, ich habe es da­mals in der Neuyor­ker Staats­zei­tung ge­le­sen, dass du auch einen Preis für eine wis­sen­schaft­li­che Ab­hand­lung be­kom­men hast. Das muss dich doch sehr ge­freut ha­ben, Fritz; – als ich es las, war ich na­tür­lich aus Rand und Band. Hast du noch ein Exem­plar von der Ab­hand­lung für mich, und kann ich sie ver­ste­hen?«

      »Ma­ku­la­tur, al­ter Freund!« sag­te ich, be­saß je­doch in ei­nem stau­bi­gen Win­kel ein hübsch Bün­del von mir und der Welt höchst über­flüs­si­gen Ab­drücken. Wir gin­gen wei­ter und spra­chen auf dem fer­ne­ren Wege we­nig mehr mit­ein­an­der und nichts von ir­gend­wel­cher Be­deu­tung; aber un­ter der Tür des Hau­ses, in dem Ire­ne von Ever­stein jetzt wohn­te, hat­ten wir eine Be­geg­nung, von der kurz er­zählt wer­den muss, und zwar mit ei­ner klei­nen Ab­schwei­fung.

      Es ist eine der volks­läu­fi­gen Vor­stel­lun­gen, dass die hö­he­ren Klas­sen un­se­rer heu­ti­gen Ge­sell­schaft den ide­el­le­ren Be­stre­bun­gen des Men­schen im­mer noch voll­kom­men fremd ge­gen­über­stän­den und teils mit Ver­ach­tung dar­auf her­ab­sä­hen, teils drol­li­ger­wei­se Furcht da­vor hät­ten. Dem ist nach mei­ner Er­fah­rung nicht so, nicht ein­mal im großen gan­zen. Dass man hier wie auch in an­de­ren Krei­sen ein tüch­tig Quan­tum von Di­let­tan­tis­mus oder von be­schäf­ti­gungs­lo­ser Neu­gier oder von lee­rem Vor­witz im Ver­kehr der Welt zu ver­dau­en hat, ist frei­lich nicht zu leug­nen; doch wo hat man das denn nicht?

      Ich mei­nes­teils habe mich in mei­nem en­gen Rei­che nie über eine ari­sto­kra­ti­sche Missach­tung zu be­kla­gen ge­habt, wohl aber ziem­lich häu­fig über des ed­len deut­schen Phi­lis­ter­tums ver­zo­ge­ne Schnau­ze ein ver­gnüg­tes Lä­cheln mit ei­ni­ger Mühe un­ter­drückt. Wir deut­schen Ge­lehr­ten usw. ha­ben wahr­lich kei­nen Grund, das »Krieg den Pa­läs­ten!« durch un­se­ren Ta­baks­dampf nach­zu­brum­men. Wahr­lich, wenn es uns Spaß macht, so dür­fen wir un­se­re Feh­de­brie­fe da dreist an ganz an­de­re Tü­ren als die un­se­rer frü­he­ren Reich­sun­mit­tel­ba­ren usw. an­hef­ten.

      Ei­ner von den letz­te­ren, und zwar ein sehr gu­ter Be­kann­ter aus den Hör­sä­len der Uni­ver­si­tät und von man­chem »wis­sen­schaft­li­chen Abend« her war es, der uns über die Schwel­le, die wir eben über­schrei­ten woll­ten, ent­ge­gen­trat.

      »Sieh da, Dok­tor! Was für ein gu­ter, när­ri­scher oder gar bös­wil­li­ger Geist führt denn Sie in die­ses Haus, wenn ich fra­gen darf?«

      »Ich kom­me je­den­falls un­ter dem Ge­leit ei­nes gu­ten, treu­mei­nen­den Füh­rers, mon prin­ce«, er­wi­der­te ich. »Ich wün­sche eine Ju­gend­be­kannt­schaft zu er­neu­ern, Durch­laucht.«

      Die


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