Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Dok­tor, Sie stam­men mit ihr aus ei­ner Ge­gend her. O, mei­ne Her­ren, ich habe in Wien die­se Ehe­stand­s­tra­gö­die mit durch­ge­macht und auch eine Rol­le dar­in ge­spielt. Ich war ein Zeu­ge bei dem Duell, in dem end­lich zu all­ge­mei­ner Be­frie­di­gung in un­se­rem ge­sell­schaft­li­chen Ver­kehr ein schwar­zer Strich über den Na­men Gas­ton von Reh­len ge­zo­gen wur­de. Die Reh­len sind von fern­her mit uns ver­wandt, und nach mei­nen schwa­chen Kräf­ten habe ich das Mei­ni­ge ge­tan, die un­glück­se­li­ge Frau da oben in ih­rem trost­lo­sen Le­ben auf­recht­zu­er­hal­ten. Mein Va­ter ist ein Ju­gend­freund des al­ten Herrn auf Schloss Wer­den ge­we­sen; – so lau­fen die Be­zü­ge zwi­schen uns durch­ein­an­der. Ach, mei­ne Her­ren, ich woll­te, Sie wä­ren et­was frü­her ge­kom­men. Vi­el­leicht hät­ten Sie einen fri­schen Hauch in die schwü­le Stun­de mit­ge­bracht, in der ich eben dort oben auf Koh­len ge­ses­sen habe. Sie tref­fen üb­ri­gens auch den Arzt dort an. Das Kind ist seit der ver­gan­ge­nen Nacht wie­der recht krank; der Me­di­zi­nal­rat macht mit der Uhr in der Hand am Bet­te der Klei­nen das be­kann­te Ge­sicht und ist mir auch bis vor die Tür nach­ge­gan­gen und hat mir als ei­nem Fa­mi­li­en­freun­de sei­ne Mei­nung nicht vor­ent­hal­ten. Das klei­ne Mäd­chen liegt be­reits im Ster­ben, und als wirk­li­cher Fa­mi­li­en­freund hal­te ich das bei dem geis­ti­gen und kör­per­li­chen Zu­stan­de des ar­men Ge­schöp­fes für ein Glück!«

      Der Vet­ter Just stieß einen Laut her­vor, der ein Seuf­zer war, aber auch eine grim­mi­ge Ver­wün­schung be­deu­ten konn­te.

      »Mei­ne Her­ren«, fuhr der Fürst fort, »ist es nicht recht bi­zarr, dass wir uns von all die­sen An­ge­le­gen­hei­ten hier so zwi­schen Tür und An­gel un­ter­hal­ten? Bes­ter Dok­tor, dem­nächst muss ich mich un­be­dingt ein­mal wie­der zu ei­ner Tas­se Tee bei Ih­nen ein­la­den, und dann müs­sen wir mehr über die Frau da oben re­den. Sie in­ter­es­siert uns alle in dem wei­tes­ten und in dem engs­ten Krei­se; ich spre­che aber hier nur von dem letz­te­ren als dem mei­ni­gen.«

      »Sie wis­sen, dass Sie mir im­mer will­kom­men sind, Durch­laucht«, er­wi­der­te ich.

      »Also, adieu, mein Bes­ter, und auf Wie­der­se­hen!«

      Wir schüt­tel­ten uns noch ein­mal die Hän­de, wäh­rend der Vet­ter Just be­reits die Trep­pe hin­auf­stieg.

      Das war im ers­ten Stock­werk eine brei­te, vor­neh­me, mit Tep­pi­chen be­leg­te Trep­pe, die zu ei­ner auf dem Eck­stän­der der Brüs­tung eine Glas­ku­gel hal­ten­den Bron­ze­fi­gur em­por­führ­te. Aber die Tep­pi­che wa­ren auf dem nächs­ten Ab­sat­ze ver­schwun­den, und auch die Stu­fen wa­ren stei­ler ge­wor­den. Der Kom­mis­si­ons­rat, der die Be­le­ta­ge des Hau­ses in­ne­hat­te, wohn­te be­deu­tend ele­gan­ter als die Freifrau Ire­ne von Reh­len, die wir in dem glück­se­li­gen Nuss­baum, auf den Wie­sen, in den Par­kal­leen und in den Wäl­dern von Schloss Wer­den einst in ih­rer fröh­li­chen Wild­heit, blond­lo­ckig und blau­äu­gig, als un­se­ren bes­ten Ka­me­ra­den und nur, wenn sie uns zu sehr durch einen ganz un­ver­mu­te­ten Scha­ber­nack aus der Fas­sung ge­bracht hat­te, als dies »Fräu­lein Grä­fin« oder (nach Ewalds Aus­druck) als »die­se ganz ab­ge­feim­te Haup­the­xe, die­se Ire­ne« ge­kannt hat­ten.

      Ich stieg has­tig dem Vet­ter nach, der vor der Glas­tür mit dem jet­zi­gen Na­men un­se­rer Ju­gend­freun­din einen Au­gen­blick lang sich schwer auf das Ge­län­der stütz­te und, un­ver­ständ­lich mit sich sel­ber spre­chend, sich mit dem Ta­schen­tuch über die Stirn fuhr.

      »Das soll­te nun wohl ein Trost sein, dass uns die­ser Mann da eben an der Tür be­geg­ne­te!« brumm­te er mir zu. »O, die­se Hand wür­de ich dar­um her­ge­ben, wenn ich da­durch jetzt mei­ne Eva Six­tus hier­her schaf­fen könn­te, Fritz Lan­greu­ter!«

      Wes­halb gab mir nun die­ser Name Eva Six­tus auch in die­ser Stun­de, in die­ser Um­ge­bung und un­ter die­sen Um­stän­den, von ihm aus­ge­spro­chen und gleich­sam zur Hil­fe her­bei­ge­ru­fen, in tiefs­ter See­le einen Mo­ment bit­ters­ten Un­be­ha­gens – wie das Volk sagt: einen Stich durch das Herz?! Ich hat­te wie­der­um kei­ne Zeit, dar­über nach­zu­den­ken; die Glas­tür war nicht ver­schlos­sen, und der Vet­ter hat­te sich »be­son­nen«, wie er sag­te, und »die nö­ti­ge Selbst­be­herr­schung wie­der­ge­won­nen«.

      Als wir auf den et­was dun­keln Vor­platz tra­ten, öff­ne­te sich ge­gen­über eine Tür, und der Dok­tor kam her­aus, ge­lei­tet von Ma­de­moi­sel­le Mar­tin, de­ren run­ze­li­ges Ge­sicht­chen ver­knif­fe­ner denn je er­schi­en.

      »Ah, mes­sieurs!«

      Ich kann­te auch den Arzt per­sön­lich und wuss­te, dass er als ei­ner der bes­ten Kin­derärz­te der Stadt galt. Er gab mir et­was ver­wun­dert die Hand; aber dem Vet­ter Just schüt­tel­te er sie ganz ver­trau­lich.

      »Ich freue mich, dass ich Ih­nen au­gen­blick­lich den Platz räu­me, Herr Ever­stein«, sag­te er lei­se. »Spre­chen Sie in Ih­rer ge­wohn­ten Wei­se zu der Gnä­di­gen; es wird ihr wohl­tun –«

      »Und das Kind?« flüs­ter­te der Vet­ter; und der glück­li­che Kin­der­arzt, der sie zu Tau­sen­den hat­te ster­ben se­hen, nick­te un­merk­lich und schüt­tel­te so­dann sehr merk­lich den Kopf:

      »Ich habe lei­der dem Fräu­lein hier die Wahr­heit nicht ver­heh­len dür­fen. Ich den­ke – so – ge­gen Abend!… Wer­de je­den­falls im Lau­fe des Nach­mit­tags noch ein­mal vor­se­hen. Mein Fräu­lein, ich bit­te Sie, fer­ner so ru­hig zu blei­ben wie bis­her. Mei­ne Her­ren, ich emp­feh­le mich Ih­nen.«

      Er ging, und Ma­de­moi­sel­le, die so ru­hig blei­ben konn­te, er­fass­te mit zit­ternds­ter Er­re­gung un­se­re Hän­de, und die Trä­nen bra­chen ihr un­auf­halt­sam her­vor.

      »O, es ist gut! – Nur einen Mo­ment, mes­sieurs! Ich bin auch gleich wie­der still. Herr Fritz, ma­da­me wird sich sehr freu­en – freu­en. Ich habe ihr gleich er­zählt von Ih­nen, und dass ich Sie habe ge­se­hen in der Stra­ße. Herr Just, Sie ver­las­sen uns nicht heu­te Abend! Sie blei­ben bei mei­nem Kind und bei un­se­rem Kin­de, wenn kommt die schlim­me – ter­ri­ble – Stun­de. Wir brau­chen einen gu­ten Mann dann bei uns, Herr Vet­ter Ever­stein! Und nun war­ten Sie, dass ich es an­kün­di­ge, dass Sie da sind.«

      Sie führ­te uns in ein Ne­ben­ge­mach, und wir hat­ten nicht lan­ge zu war­ten, bis man uns wink­te. O über die gol­den­grü­nen Zwei­ge, in de­nen wir uns wieg­ten, un­se­re Nes­ter bau­ten und von der Welt träum­ten und auch als Kin­der, nicht als aus­ge­wach­se­ne Leu­te und große Phi­lo­so­phen, die Welt für ein Spiel nah­men, in wel­chem wir mit­spie­len durf­ten!…

      Am Ster­be­bet­te ih­res Kin­des! Sie saß in dem ver­düs­ter­ten Rau­me und hat­te den Arm auf das Git­ter des klei­nen La­gers ge­stützt, und sie stand auch nicht auf, als wir lei­se in die Tür tra­ten, son­dern reich­te uns nur die Hand und hob ihre gleich­falls fie­ber­haft glän­zen­den Au­gen zu uns em­por.

      »O Just«, sag­te sie, und dann zu mir ge­wen­det, mit ei­nem ganz an­de­ren Aus­druck: »Schau, auch du, Fritz! Ich soll­te dich ei­gent­lich jetzt wohl Sie nen­nen, denn wir ha­ben uns so lan­ge nicht ge­se­hen und ha­ben so­viel er­lebt in der Zeit, dass wir uns nicht ge­se­hen ha­ben. Aber ich hät­te dich doch gleich wie­der­er­kannt, Fritz, und ich habe auch kei­ne Zeit, jetzt über das Schick­li­che nach­zu­den­ken. Las­sen wir es also beim al­ten, wenn es dir recht ist, Fritz.«

      Es


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