Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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gehe dann lie­ber sel­ber da­nach. Al­ter Jun­ge, ich freue mich un­bän­dig. Öff­ne­te sich jetzt dort die Schrank­tür und Jule Gro­te trä­te her­vor, um, mit der Faust auf den Tisch ge­stemmt, dir und mir die Wahr­heit zu sa­gen, so wäre mei­ne Be­hag­lich­keit voll­kom­men. Aber wie siehst du denn ei­gent­lich aus? Ist dir et­was Un­an­ge­neh­mes auf dem Wege hier­her be­geg­net, oder ha­ben wir für dei­ne Kräf­te et­was zu lan­ge in die Nacht hin­ein ge­ses­sen und von den al­ten Ta­gen ge­spro­chen?«

      Ich fuhr so rasch als mög­lich da­mit her­aus, was mir eben be­geg­net war, und der Vet­ter fuhr mit der Hand über den Hin­ter­kopf und sprach sehr ge­dehnt:

      »Ach so!… Ja frei­lich!«…

      »O Just«, rief ich, »du bist na­tür­lich so­fort da wie­der der liebs­te Gast und bes­te Freund und Be­ra­ter! Ich soll wo­mög­lich nur in dei­ner Beglei­tung dort einen Be­such ma­chen; – ich bit­te dich um des Him­mels wil­len, was ist das? Sind die Zu­stän­de dort wirk­lich so trost­los, dass –«

      »Hast du wirk­lich ge­früh­stückt? Auf Ehre, Fritz, bist du satt und magst du wahr­haf­tig nichts mehr von dem öden Zeug hier auf dem Ti­sche?« frag­te der Vet­ter kläg­lich. »Ich fra­ge dich die­ses aus Grün­den. Näm­lich mir ist der Ap­pe­tit auf län­ge­re Zeit ver­gan­gen, nach­dem ich dort aus al­ter Freund­schaft an die Tür ge­klopft hat­te und von Mam­sell Mar­tin her­ein­ge­las­sen wor­den war. Ach, Fritz, was will das al­les sa­gen, was die Män­ner er­le­ben kön­nen, ge­gen das, was die Wei­ber dann und wann er­le­ben müs­sen. Ich brin­ge dich na­tür­lich hin, da­mit du sel­ber siehst, was der Schuft, dem sie in die Hän­de ge­fal­len ist, aus un­se­rer lie­ben Ire­ne ge­macht hat. O, wäre sie tau­send­mal lie­ber mit mir über das Was­ser und dann, hie und da ohne einen Cent in der Ta­sche, durch die Stra­ßen von Neuyork und durch al­les Saue­re und Bit­te­re bis in die Wild­nis von Neu-Min­den ge­zo­gen, als dass sie so dumm war und als ban­ke­rot­tes hoch­ade­li­ges und reichs­gräf­li­ches Fräu­lein und jun­ges Mäd­chen un­ter ih­ren Leu­ten blieb.«

      »Da­von habe ich ei­gent­lich zu er­zäh­len, nicht du, Vet­ter Just«, seufz­te ich. »Das wa­ren trost­lo­se Zei­ten auf Schloss Wer­den, die nach dem Tode des Herrn Gra­fen ka­men. Wir er­fuh­ren es bei­de da­mals, Vet­ter, wie dem Men­schen zu­mu­te wird, wenn plötz­lich hun­dert frem­de Hän­de und Fäus­te das Recht ge­win­nen, in un­ser Da­sein hin­ein­zu­grei­fen und al­les, was wir für un­ser ewig Ei­gen­tum hiel­ten, als das ih­ri­ge in An­spruch neh­men. Da wird das Gerä­te des Le­bens ver­scho­ben, das uns für alle Zeit an sei­nem Plat­ze fest zu ste­hen schi­en. Da klingt frem­des Ge­läch­ter in Räu­men, in de­nen wir nur zu flüs­tern wag­ten. Du hast nicht die Macht, dich ge­gen die ro­he­s­te Rede, ge­gen den er­bärm­lichs­ten Witz zu weh­ren. Und wenn die grü­nen ver­trau­ten Bäu­me von drau­ßen in ge­wohn­ter Wei­se dazu in die Fens­ter se­hen und rau­schen, so ist das kein Trost, son­dern ganz das Ge­gen­teil. Wir auf Schloss Wer­den hat­ten ge­ra­de­so wie du auf dei­nem Stein­ho­fe von al­lem Ab­schied zu neh­men. Und wir er­fuh­ren jetzt erst in herz­zer­bre­chen­der Deut­lich­keit, wie uns al­les ans Herz ge­wach­sen war. Ach, du hät­test mei­ne Mut­ter und ihr ar­mes Kind, ihre Ire­ne, in je­nem Som­mer und Herbst se­hen sol­len, wie sie in den im­mer lee­rer wer­den­den Räu­men in den Win­kel ge­drückt sa­ßen und al­les über sich er­ge­hen lie­ßen, die stol­ze Ire­ne am stills­ten und ge­dul­digs­ten! Wohl hät­te die Kom­tes­se auf dem Förs­ter­ho­fe ein an­de­res hei­mat­li­ches Dach fin­den kön­nen, wohl hät­te sie mit uns – mei­ner Mut­ter und mir – ge­hen kön­nen und un­ser Schick­sal tei­len, wenn nur nicht je­der Mensch sein ei­gen Schick­sal hät­te, das durch kei­ne Lie­be und Auf­op­fe­rung, kei­nen Hass und Zorn ei­nes an­de­ren ge­än­dert wer­den kann –«

      »Ja­wohl, da hast du recht«, seufz­te der Vet­ter Just. »Man macht sich hier im­mer ent­we­der zu viel oder zu we­nig Il­lu­sio­nen von der Macht, dem gu­ten oder bö­sen Wil­len sei­ner nächs­ten Um­ge­bung und liebs­ten Freund­schaft. Ge­gen das Schick­sal, was ei­nem an­ge­bo­ren ist, kön­nen sie nichts aus­rich­ten, das steht fest – that is a fact, sa­gen wir drü­ben.«

      »So kam denn die Vor­mund­schaft und sprach uns drein und dann der Brief aus Graz und dann die Tan­te aus Graz per­sön­lich. Da war es denn mit uns an­de­ren al­len aus, und wie von dem Stein­ho­fe, so ging von Schloss Wer­den ein je­der sei­nen ei­ge­nen Weg in die Frem­de hin­ein. Wenn dem nicht so wäre, wo blie­be dann nach­her wohl die Ver­wun­de­rung, wenn man sich wie­der trifft, wie zum Bei­spiel wir jetzt, und sei­ne Er­fah­run­gen ge­gen­sei­tig aus­tauscht?«

      »Da hast du wie­der recht«, sag­te der Vet­ter Just Ever­stein, als ob ich ihm wirk­lich eben die höchs­te Weis­heit, und zwar als et­was ganz neu Ent­deck­tes mit­ge­teilt hät­te. »Und jetzt sei nur still«, fuhr er dann umso über­ra­schen­der fort, »du er­zählst mir da gar nichts Neu­es; und so me­lan­cho­lisch, wie du das da her­lei­erst, so trüb­se­lig habe ich es al­les sel­ber mit durch­ge­macht von Bo­den­wer­der aus. Gro­ßer Gott, wie bald ver­ges­sen doch die Leu­te, wie nahe sie vor ein paar Jah­ren bei­ein­an­der ge­wohnt ha­ben! Von Ire­nes Ehe­stand spre­che ich dir mei­ner­seits nicht. Da musst du dich lie­ber an Mam­sell Mar­tin wen­den; die war, Gott sei Dank, von An­fang an bis zum Ende da­bei und hat dazu hei­ße­res Blut in den Adern als ich und kann dir also die jäm­mer­li­che Ge­schich­te mit al­lem da­zu­ge­hö­ri­gen Nach­druck und Ges­tus er­zäh­len. Nur tu mir die Lie­be, Fritz, und fra­ge nicht die Kom­tes­se da­nach aus. Frei­lich, du wirst das wahr­schein­lich wohl schon von sel­ber un­ter­wegs las­sen, wenn du die alte wil­de Hum­mel und Spiel­ka­me­ra­din nach den ihr von der gü­ti­gen Vor­se­hung zu­dik­tier­ten Le­bens­schick­sa­len wie­der zu Ge­sicht ge­kriegt hast. Ku­ri­os aber bleibt es ei­nem im­mer doch, wie die­se nichts­wür­di­gen Schick­sa­le so durch­ein­an­der­spie­len, dass selbst der Gleich­gül­tigs­te nie ge­nau weiß, wie sehr ihn die Sa­che an­geht. Dass ich von neu­em hier drin­ste­cke, und zwar tief, das weiß ich; nun soll es mich nur wun­dern, was dir, mein gu­ter Freund Frit­ze Lan­greu­ter, hier­bei zu dei­ner Be­hag­lich­keit und Un­be­quem­lich­keit auf­ge­ho­ben ist! Well, noch steht es aber bei dir, ob du die arme Frau durch mich nur grü­ßen las­sen willst?«

      Wenn es mir bis jetzt noch ir­gend­wie un­klar ge­we­sen wäre, wie es mög­lich war, dass der Vet­ter Just den Ame­ri­ka­nern im­po­nier­te und den Stein­hof wie­der­er­lang­te, so hät­ten mir sei­ne letz­ten Wor­te un­be­dingt dar­über Auf­klä­rung ge­ben müs­sen.

      Und die­sem Vet­ter hat­te ich vor­dem die Bro­sa­men, die vom Ti­sche mei­ner Schü­ler­weis­heit ab­fie­len, mit dem be­kann­ten Dum­men-Jun­gen-Hu­mor grin­send zu­kom­men las­sen?! Und die­ser Vet­ter Just Ever­stein hat­te es einst für eine Glo­rie ge­hal­ten, mir den py­tha­go­re­i­schen Lehr­satz »vor­de­mons­trie­ren« zu kön­nen! Die al­ten Kirsch­bäu­me im Gras­gar­ten auf dem Stein­ho­fe, die jetzt wie­der samt dem Gras­gar­ten sein Ei­gen­tum wa­ren, schnit­ten mir aus der Fer­ne der Erin­ne­rung sehr iro­ni­sche Ge­sich­ter. Der gan­ze Stein­hof lach­te; mir aber war durch­aus nicht lä­cher­lich zu­mu­te: wenn ich ein al­ber­ner Schul­bu­be ge­we­sen wäre, so hät­te ich dreist mei­ne Stim­mung wei­ner­lich nen­nen dür­fen. Um mich dar­aus zu ret­ten, brach­te ich nach alt­her­ge­brach­ter Men­schen­wei­se die Rede auf et­was an­de­res, d. h. auf den nächs­ten bes­ten Be­kann­ten oder Freund. Ich er­kun­dig­te mich nach Ewald Six­tus und wünsch­te et­was Ge­nau­e­res über das Zu­sam­men­tref­fen des Vet­ters mit ihm in Bel­fast zu er­fah­ren.


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