Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


Скачать книгу
Im Grun­de aber ist’s für alle ein und das­sel­bi­ge, ei­ner­lei, ob wir als Mann oder Weib durch die Welt lau­fen. Und, Gott sei Dank, die Fan­ta­sie ist auch in Ire­ne Ever­stein noch hellauf – nicht ganz und gar nach der dun­keln Sei­te hin! Du, liebs­ter Fritz, kennst die Frau noch nicht lan­ge ge­nug wie­der, um die­ses be­ur­tei­len zu kön­nen, denn dazu ge­hört mehr als ein ers­ter Blick und zwei und drei Be­su­che im Hau­se. Und dann – un­se­re lie­be Eva! Wie wird die mir hel­fen und bei­ste­hen! Und hät­te ich wohl ohne das Zu­trau­en zu ihr den Mut ge­habt, bloß so auf mei­ne ei­ge­ne Verant­wor­tung in solch ein be­trüb­tes Men­schen­schick­sal mit Rat und mit Tat ein­zu­grei­fen? Sie und – dass wir den Win­ter so ziem­lich hin­ter uns ha­ben, das sind die Ker­ne, aus de­nen mein Trost auf­wächst. Säße das gute Mäd­chen nicht im Dor­fe Wer­den und wür­den nicht dem­nächst die Wäl­der wie­der grün, so hät­te die Sa­che frei­lich eine ganz an­de­re Far­be. Aber nun geht die Son­ne je­den Mor­gen frü­her wie­der auf und am Abend spä­ter un­ter; und – ich sehe es kom­men! Fritz, es ist mir eine wah­re Be­ru­hi­gung, dass ich es kom­men sehe, und zwar im ganz na­tür­li­chen Ver­lau­fe der Tage, von den Wo­chen und Mo­na­ten bis zum Ein­tritt des nächs­ten kür­zes­ten Ta­ges gar nicht zu re­den! Die Stun­de kit­zelt mich schon im vor­aus, wo Mam­sell Mar­tin die ers­te ver­gnüg­te Katz­bal­ge­rei mit Jule Gro­te an­fängt – na­tür­lich un­ter der ge­hö­ri­gen Obe­r­auf­sicht, auf dass die fei­nen und bis­si­gen An­spie­lun­gen der bei­den lie­ben al­ten Da­men nicht in die re­gu­lä­re Bei­ße­rei aus­ar­ten. So ein biss­chen krib­beln­des Ge­würz in die Sup­pe ist den lan­gen lie­ben Tag über gar nicht zu ver­ach­ten. Meinst du nicht, Dok­tor? – Der Gras­gar­ten bleibt selbst­ver­ständ­lich so, wie er ist; aber für mei­nen Bau­ern-Kohl­gar­ten neh­me ich aus ei­ner eu­rer Buch­hand­lun­gen hier ein Exem­plar von Wre­dows Gar­ten­freund mit. Wir trei­ben Adams Ge­wer­be im Ernst und zum Spaß, denn nichts an­de­res in der Welt zieht die ab­ge­plag­te See­le so ins Gleich­mü­ti­ge hin als das stil­le Auf­mer­ken auf das Kei­men, Blü­hen und Ver­ge­hen des Ve­ge­ta­bi­li­schen, und wär’s auch nur am Un­kraut un­ter der He­cke. Zeit muss man frei­lich dazu ha­ben, und die soll sie ha­ben, Ire­ne mei­ne ich; – fürs ers­te soll nie­mand vom Stein­ho­fe zu sehr auf die Su­che nach ihr ge­hen, wenn sie mal nicht gleich auf den ers­ten Ruf zum Es­sen kommt. So­lan­ge ich das hin­dern kann, wird sie nicht zu Ti­sche ge­ru­fen, wenn sie kei­nen Ap­pe­tit hat; – den Ver­druss ken­ne ich aus ei­ge­ner Er­fah­rung! Die Men­schen for­dern nur zu gern ge­ra­de die zum Tan­ze auf, wel­che der Schuh drückt. Der Teu­fel mag es wis­sen, was für ein Ver­gnü­gen das ih­nen macht! Da­von weiß ich, der über­ge­schnapp­te dum­me Jun­ge vom Stein­ho­fe, gleich­falls das mei­ni­ge zu Pro­to­koll zu ge­ben, wenn’s ver­langt wird; aber auch hier­in will ich nicht ganz um­sonst zwi­schen mei­nen Mist­hau­fen ge­ses­sen und auf der Lei­ter in der Rauch­kam­mer mit dem Mes­ser zwi­schen Ju­les Würs­ten und Speck­sei­ten ge­wirt­schaf­tet ha­ben – wü­tend vor Über­druss! Hof­fent­lich ver­stehst du mich recht, Frit­ze, und weißt auch hier­in, was ich sa­gen will.«

      Er be­dien­te sich mit Vor­lie­be alle Au­gen­bli­cke die­ser sehr un­nö­ti­gen An­fra­ge bei mei­ner Be­griffs­fä­hig­keit. Alte Ge­wohn­hei­ten legt man eben nicht so leicht ab.

      Doch nun beug­te er sich nie­der zu dem win­zi­gen Grab­hü­gel der klei­nen Leo­nie von Reh­len und hob eine Hand­voll des feuch­ten San­des auf, ließ sie wie­der, wie ver­stoh­len, fal­len und sah mich einen Mo­ment lang, wie ver­le­gen, von der Sei­te an.

      »Nun guck ein­mal«, brumm­te er, »der lie­be Gott weiß es, wie fest ei­nem sei­ne Ge­wohn­hei­ten an­kle­ben, und er wird auch wohl hier­auf bei der letz­ten Abrech­nung ein we­nig Rück­sicht neh­men. Selbst auf dem Kirch­ho­fe kann’s un­serei­ner nicht las­sen, den Bo­den nach sei­ner Frucht, Güte oder Nichts­nut­zig­keit zu stu­die­ren. Dies hier ist ei­gent­lich pu­rer Sand; aber – nicht nur für den sach­ver­stän­di­gen Land­wirt, son­dern auch für den Pas­tor, ei­ner­lei ob er Öko­no­mie treibt oder nicht, bleibt es doch im­mer, wie Schil­ler sagt, der dunkle Schoß der hei­li­gen Erde! Und nun – schla­fe sanft dar­in, mein lie­bes, klei­nes Mäd­chen!… Mit dei­nen ar­men krum­men Füß­chen hät­ten dich wohl we­ni­ge zum Tan­ze auf­ge­zo­gen, und du ver­lierst auch we­nig da­bei. Es kommt für alle Men­schen eine Zeit, wo sie sich vor nichts mehr fürch­ten als vor dem, was man in der Welt Ver­gnü­gen zu nen­nen pflegt. – Man hat viel um dich ge­weint, mein klei­nes Kind; aber ge­lacht hat kei­ner über dich. Auch du hast viel ge­weint; – nun lie­ge im Frie­den; – ge­lacht hast du über nie­mand. – Ich schwat­ze wohl in die Kreuz und Quer, Dok­tor Fritz? Nimm es nur nicht übel, al­ter Freund. Wer weiß, was uns nach­ge­re­det wird in punc­to des Wei­nens und La­chens, wenn auch wir zu Bet­te ge­gan­gen sind und wir gleich­falls als stil­le Leu­te lie­gen und jeg­li­cher Wind frei über uns hin­bla­sen darf. Komm, wir wol­len den an­de­ren nach, Dok­tor; das nütz­lichs­te und frucht­bars­te Wet­ter ist ziem­lich häu­fig das un­an­ge­nehms­te, macht einen trotz Re­gen­schirm und Über­rock nass bis auf die Kno­chen und bringt einen bis auf das Kno­chen­mark hin­ein zum Frös­teln.«

      Zweites Kapitel

      Nun wa­ren sie fort. Zur Zeit der Ho­lun­der­blü­te wa­ren sie ab­ge­reist, und der Vet­ter Just Ever­stein hat­te sich, wie das nicht an­ders zu er­war­ten stand, auch hier­bei als ei­ner der prak­tischs­ten Men­schen er­wie­sen, die je­mals aus der deut­schen Erde her­vor­ge­wach­sen und von ih­ren gu­ten Freun­den und Be­kann­ten zu­erst, d. h. eine er­kleck­li­che Rei­he von Jah­ren hin­durch, für gänz­lich un­zu­rech­nungs­fä­hig ta­xiert wor­den wa­ren. Wahr­lich, man­cher­lei gab es auf- und ab­zu­wi­ckeln, ehe der Bra­ve sein wohl­tä­ti­ges, barm­her­zi­ges Werk zu ei­nem vor­läu­fi­gen Schluss und Ru­he­punkt füh­ren konn­te.

      Sa­chen und Men­schen al­ler Art wa­ren mehr oder we­ni­ger ge­schäfts­mä­ßig aus dem Wege nach dem Stein­ho­fe hin zu räu­men, ehe er mit ei­nem er­leich­tern­den Seuf­zer sa­gen konn­te:

      »Gott sei Dank, mor­gen fah­ren wir! Was jetzt noch in den Win­keln um­her­liegt, steckt oder ver­ges­sen ist, kann nicht viel zu be­deu­ten ha­ben. Und nun, al­ter Kerl, jetzt gib uns die Hand dar­auf und ver­sprich uns fei­er­lich, dass du dich im Lau­fe des Som­mers in der al­ten Hei­mat bei uns se­hen lässt.«

      Ich hat­te ihm we­nig bei sei­nem Lie­bes­wer­ke be­hilf­lich sein kön­nen; – im Grun­de hat­te ich nur ihn, Ire­ne und Ma­de­moi­sel­le Mar­tin nach dem Bahn­ho­fe be­glei­tet. Wie hilf­los die Mehr­heit der Men­schen ei­gent­lich den Le­bens­ge­schäf­ten ge­gen­über­steht, er­fährt sie dann und wann auch, wenn sie’s mal ver­sucht, an­de­ren zu hel­fen. Das ist die un­ge­müt­li­che Wahr­heit, die ei­nem je­den, der von sich sel­ber schreibt, ganz von sel­ber aus der Fe­der läuft, wenn er sich nicht recht zu­sam­men­nimmt, das heißt mit ge­hal­te­nem Nach­druck lügt. Dach­stu­ben-Phi­lo­so­phen und Wüs­ten-Anacho­re­ten sol­len aber nichts­de­sto­we­ni­ger auch in Zu­kunft be­rech­tigt sein, über die täg­li­che Wit­te­rung und de­ren Ein­fluss auf ihre Kon­sti­tu­ti­on zum all­ge­mei­nen Bes­ten so ge­nau als mög­lich Buch zu füh­ren, um hei­keln per­sön­li­chen Kri­mi­na­tio­nen da­durch schlau aus dem Wege zu schlei­chen.

      So kam ich denn vom Bahn­ho­fe zu­rück in mei­ne vier Pfäh­le, um den neu­en Früh­ling we­nig ge­nos­sen mir un­ter den Hän­den weg­glei­ten zu las­sen. Da­von, dass nach der Bau­ern­re­gel im Mai der ge­sun­des­te Tau fällt, ver­spür­te ich auch nichts; aber


Скачать книгу