Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Hero­en­tum über­trof­fen hat. Och, faix, it’s a long sto­ry, und es wäre viel da­von zu sa­gen, wes­halb ich die­sen dum­men Mäd­chen­na­men drei­mal her­sag­te, um mir mei­nen Gleich­mut we­nigs­tens äu­ßer­lich ge­gen die­sen heil­los ge­müt­li­chen Neu-Min­de­ner auf­recht­zu­er­hal­ten; – nicht wahr, Fritz­chen Lan­greu­ter?«

      »Das wäre es wohl!« mur­mel­te ich un­will­kür­lich, und in dem­sel­ben Au­gen­blick pack­te mein Gast mei­nen Arm mit ei­nem Griff wie aus Stahl und Ei­sen und rief:

      »Und was ist es denn, was er mehr aus­ge­rich­tet hat als ich? Er sitzt von neu­em auf sei­nem Stein­ho­fe; ich aber – ha­be Schloss Wer­den wie­der!«…

      Ich sag­te nichts, denn ich hat­te nichts zu sa­gen. Die Wun­der, die mich der Herr se­hen ließ, ohne dass ich über das Was­ser ge­fah­ren war, be­täub­ten mich zu sehr.

      »Und hier sit­ze ich«, fuhr Ewald Six­tus fort, »um dich auf­zu­for­dern, über­mor­gen mit mir hin­über­zu­fah­ren, um that old shee­be­en, die alte Her­ber­ge, von neu­em für – uns in Be­sitz zu neh­men. Drin­gen­de Ab­hal­tung hast du ja­wohl nicht?«

      Es war mir zwi­schen mei­nem müh­se­li­gen Sich-wie­der-auf-sich-Be­sin­nen durch dun­kel so, als ob auch der Vet­ter Just neu­lich ei­ni­ge Male eine ganz ähn­li­che Auf­for­de­rung zur Rei­se mit ganz den näm­li­chen Wor­ten be­schlos­sen habe wie der iri­sche In­ge­nieur.

      Mr. Six­tus leg­te mir zu­trau­lich schmei­chelnd die Hand auf die Schul­ter:

      »Es bleibt da­bei, du be­glei­test mich nach Schloss Wer­den?!«

      Ich aber kam in die­sem Au­gen­blick nicht ein­mal dazu, ihn zu fra­gen, wes­halb er denn, wenn sich al­les üb­ri­ge so ver­hal­te, die Kor­re­spon­denz auch mit sei­nen nächs­ten An­ge­hö­ri­gen so schmäh­lich ver­nach­läs­sigt habe.

      Drittes Kapitel

      Da­von spra­chen wir auf der Rei­se; denn wir reis­ten wirk­lich. Wie ein Kind im Sack wur­de ich von die­sem wil­den Ir­län­der aus dem Förs­ter­hau­se zu Dorf Wer­den mit­ge­nom­men. Er kam und half mir beim Pa­cken, er pack­te für mich, und er pack­te mich sel­ber und ließ nicht los. Hals über Kopf wur­de auch ich wie in einen Rei­se­sack hin­ein­ge­stopft und in eine Drosch­ke ge­wor­fen: wie ich es dann und wann be­reu­te, dass ich mich nicht schon von dem Vet­ter Just Ever­stein hat­te mit­neh­men las­sen, kann ich gar nicht sa­gen.

      »Nach dem Pots­da­mer Bahn­ho­fe, Kut­scher, und rasch! Vie­le Zeit ha­ben wir nicht üb­rig.«

      Mit dem Ge­füh­le, mei­ne Tü­ren, mei­ne sämt­li­chen Schub­la­den, Kis­ten und Kas­ten un­ver­schlos­sen und jeg­li­cher Durch­stö­be­rung of­fen hin­ter mir zu­rück­ge­las­sen zu ha­ben, kam ich auf dem Bahn­ho­fe an. Wir hat­ten in der Tat nur noch fünf Mi­nu­ten vor dem Ab­gang des Zu­ges üb­rig, und das Schick­sal be­nutz­te die­sel­ben, um mir einen ret­ten­den Fin­ger in den Wir­beln des auf­re­gungs­vol­len Ta­ges hin­zu­hal­ten.

      »Sie­he da! Rei­sen wir in der Tat zu­sam­men, Herr Dok­tor?« frag­te eine Stim­me mir ge­gen­über in dem Ku­pee, in das ich von dem ra­schen Freun­de mehr ge­ho­ben als ge­scho­ben wor­den war, und ein ei­ni­ge fünf­zig Jah­re al­ter kor­pu­len­ter Herr hob mit wohl­wol­len­dem Lä­cheln den Stroh­hut von ei­ner un­ge­mein glän­zen­den Stirn, grüß­te auch mei­nen Ir­län­der und mein­te mit et­was asth­ma­ti­schem Keu­chen, das auf eine viel­leicht et­was zu gute Er­näh­rung und zu we­nig kör­per­li­che Be­we­gung hin­deu­te­te:

      »Ja? Dies freut mich wirk­lich. So blei­ben wir so ziem­lich bis zum Ende der Fahrt bei­sam­men und hof­fent­lich mög­lichst un­ter uns. Bit­te, mein Herr, las­sen Sie mich bis zum Ab­gang des Zu­ges aus dem Fens­ter bli­cken. Ich bin der Dicks­te und schre­cke am meis­ten ab.«

      Mr. Six­tus sah sich den Frem­den an, aber – be­reits von hin­ten. Breit, schwit­zend und bla­send lag der­sel­bi­ge schon im Wa­gen­fens­ter, sich ganz und gar für jetzt – dem Pub­li­kum un­ter der Bahn­hofs­hal­le wid­mend, und Ewald ließ von den weit aus­ein­an­der­klaf­fen­den Rock­schö­ßen des Rei­se­ge­nos­sen den Blick fra­gend zu mir hin­über­glei­ten.

      »Kennst du ihn nicht mehr?… Bö­sen­berg! – Stadt­rat Bö­sen­berg aus Fin­ken­ro­de«, flüs­ter­te ich.

      »Ich wer­de mich so­fort sel­ber Ih­nen wie­der vor­stel­len, Six­tus«, sprach der Stadt­rat, halb über die Schul­ter zu­rück sich wen­dend, ins Ku­pee hin­ein. »Da ge­hen wir ab und blei­ben fürs ers­te we­nigs­tens als Pro­vinz­ge­nos­sen un­ter uns. So!«

      Er setz­te sich, nach­dem sich der Zug in Be­we­gung ge­setzt hat­te, breit und be­hag­lich, wisch­te noch­mals die Stirn mit dem ziem­lich pro­vinz­haft aus­se­hen­den Sack­tuch und sag­te:

      »Lie­ber Herr, ich bin in der Tat der Stadt­rat Bö­sen­berg aus Fin­ken­ro­de. Habe hier in dem un­ge­müt­li­chen Groß­nest die letz­ten Wo­chen hin­durch mei­ne all­jähr­li­che, von ver­schie­de­nen Leu­ten so ge­nann­te Auf­fri­schungs­kur glück­lich ab­ge­macht – Sie ken­nen das ja, Lan­greu­ter –, seh­ne mich un­end­lich nach mei­nem Schlaf­rock und mei­nen Pan­tof­feln und – Sie habe ich auf der Stel­le wie­der­er­kannt, Six­tus, ob­gleich ich seit ei­ner er­kleck­li­chen Rei­he von Jah­ren nicht das Ver­gnü­gen hat­te, Sie zu se­hen. Wo ha­ben Sie denn ei­gent­lich ge­steckt, jun­ger Mann?«

      Der »jun­ge Mann« gab wil­lig in der Kür­ze die ge­wünsch­te Aus­kunft, und der Fin­ken­ro­den­er Stadt­rat sag­te:

      »Sieh, sieh.«

      Mir, der ich ihn, ab­ge­se­hen von al­lem üb­ri­gen, auch aus der Li­te­ra­tur­ge­schich­te kann­te, war das Zu­sam­men­tref­fen mit ihm und sei­ne Rei­se­ge­nos­sen­schaft kei­nes­wegs zu­wi­der. Und da wir von dem ge­wöhn­li­chen Rei­se­tu­mult und Ge­drän­ge in un­se­rem Wa­gen ziem­lich un­ge­stört blie­ben, hin­der­te uns nichts oder doch nur we­nig, so ver­trau­ens­voll und mit­teil­sam ge­gen­ein­an­der zu sein, als das un­ter ver­stän­di­gen oder ver­stän­dig ge­wor­de­nen Leu­ten nur ir­gend der Fall sein kann. Was den Freund Ewald an­be­traf, den der Vet­ter Just als einen voll­stän­dig aus­ge­wech­sel­ten Wer­de­ner, als einen stock­tau­ben und stock­stum­men Eng­län­der in Bel­fast wie­der­ge­fun­den zu ha­ben glaub­te, so war der auch jetzt der­je­ni­ge, wel­cher das kleins­te oder viel­mehr gar kein Blatt in ir­gend­ei­ner Be­zie­hung vor den Mund nahm, so­dass dies mir, we­nigs­tens im An­fang, dem uns doch ziem­lich frem­den Stadt­rat ge­gen­über ein we­nig pein­lich war. Alle sei­ne und un­se­re Ge­schich­ten kram­te er mit ei­ner Un­be­fan­gen­heit aus, die ganz und gar Schloss und Dorf Wer­den, Bo­den­wer­der und der Stein­hof war. Wie der Poet aus dem Sump­fe der All­täg­lich­keit die Per­le des In­ter­es­ses für sei­ne Zu­hö­rer her­aus­fischt, so ging die­ser ir­län­di­sche In­ge­nieur, we­nigs­tens zu An­fang un­se­rer Rei­se, auf den Fang aus im Be­rei­che der größ­ten Tri­via­li­tät un­se­rer Ju­gen­der­leb­nis­se, und die Fra­gen: Weißt du noch, Fritz? Erin­nerst du dich noch, Lan­greu­ter? Al­ter Kerl, das kannst du doch un­mög­lich ver­ges­sen ha­ben? – schie­nen nim­mer ein Ende neh­men zu wol­len. Poe­tisch aber ge­bär­de­te er sich durch­aus nicht bei die­ser Fi­sche­rei und wur­de, wie ich nicht um­hin kann zu be­mer­ken, von dem Fin­ken­ro­den­er städ­ti­schen Wür­den­trä­ger und frü­he­ren ly­ri­schen


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