Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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won­ni­gen Früh­som­mer­ta­gen. Frei­lich war er auf ge­nug ab­ge­le­ge­ne, ro­man­ti­sche Plätz­chen ge­trof­fen, die einen welt­ver­ges­se­nen Klaus­ner hät­ten be­we­gen kön­nen, das Lo­gis zu wech­seln; aber auf nicht ein ein­zi­ges, wel­ches ihm, dem Ka­pi­tän, un­zwei­fel­haf­te Bürg­schaft gab, dass Miss Chri­sta­bel Ed­dish es nicht auch vor ihm be­legt habe und so­fort nach sei­nem Ein­zug eben­falls ein­tref­fen wer­de. So frös­tel­te ihm in der Hit­ze des hei­ßes­ten Mit­tags, und so schwitz­te er in der kühls­ten Mit­ter­nacht, und so be­fand er sich durch­aus in je­ner Stim­mung, in wel­cher die nüch­t­erns­ten Leu­te sich dem Trun­ke er­ge­ben. Letz­te­res tat er an­nä­hernd, und stel­len­wei­se so­gar sehr an­nä­hernd, da ihm sei­ne Na­tur in die­ser Be­zie­hung we­nig Hin­der­nis­se in be­treff des Le­bens­be­ha­gens in den Weg leg­te. Er stu­dier­te die schwä­bi­schen Land­wei­ne sei­ner Ner­ven we­gen. Er stu­dier­te sie vom See­wein an, er stu­dier­te sie gründ­lich. Und da er von Eton aus ei­ni­ge dunkle, his­to­ri­sche Erin­ne­run­gen an den Glanz des ho­hen­stau­fen­schen Kaiser­hau­ses (das er aber des­sen­un­ge­ach­tet hart­nä­ckig mit dem ho­hen­zol­lern­schen Kö­nigs­ge­schlech­te ver­wech­sel­te!) im Ge­dächt­nis be­hal­ten hat­te, so be­nutz­te die Moi­ra das, um ihn an die­sem wis­sen­schaft­li­chen Fa­den in den Och­sen zu Ho­hen­stau­fen zu lei­ten.

      Da saß er, und wir ma­chen ihm durch­aus kei­nen Vor­wurf dar­aus, dass er im­mer noch glaub­te, aus frei­em An­trie­be und nicht aus Angst, Un­ru­he und auf der flüs­si­gen Bahn lieb­li­cher Ge­trän­ke her­ge­kom­men zu sein. Sei­nen his­to­ri­schen Schu­lerin­ne­run­gen hat­te er je­den­falls Ge­nü­ge ge­leis­tet und war auch auf den Gip­fel des Burg­ber­ges ge­stie­gen und so­fort wie­der hin­un­ter.

      Am Mit­ta­ge des Ta­ges, in des­sen spä­te­ren Stun­den Lu­cie von Ripp­gen und – Miss Chri­sta­bel Ed­dish, so­wie der Baron Fer­di­nand von Ripp­gen und Herr Chri­stoph Pech­lin aus Wal­den­buch im Schön­buch den Stau­fen­berg er­klom­men hat­ten, war Sir Hugh Slid­de­ry auf sei­nem Gip­fel ge­we­sen und war schon dem­ge­mäß auch frü­her als die üb­ri­gen Herr­schaf­ten im Dor­fe wie­der an­ge­langt. Sehr ent­täuscht war der Ka­pi­tän her­un­ter­ge­kom­men. Er hat­te sich un­ge­mein ge­wun­dert, so we­ni­ge, das heißt gar kei­ne Über­res­te der eins­ti­gen welt­durch­leuch­ten­den Herr­lich­keit vor­zu­fin­den auf der Höhe und so­mit von neu­em Grund ge­habt, den un­be­greif­li­chen Ver­lust sei­nes Rei­se­füh­rers, sei­nes Mur­ray, zu be­dau­ern. Und mit dem fes­ten Vor­sat­ze, die­sen Ver­lust so bald als tun­lich zu er­set­zen, um sich nie wie­der der Mög­lich­keit sol­cher Ent­täu­schun­gen aus­zu­set­zen, war er aus der tiefs­ten Ber­ge­sein­sam­keit in den Stru­del des hoch­zeit­li­chen länd­li­chen Fest­ge­tüm­mels hin­ein­ge­ra­ten. Als ein Tou­rist, der nicht um­sonst durch die Welt ge­stri­chen sein woll­te, hat­te er so­gleich be­schlos­sen, die Fei­er­lich­keit bis zum Ende mit durch­zu­ge­nie­ßen, und zu­gleich zu ver­su­chen, ob der Lärm nicht be­ru­hi­gen­der auf sein er­reg­tes Ge­müt wir­ken wer­de, als die Stil­le, die Ein­sam­keit und über­haupt die nai­ve Harm­lo­sig­keit der Na­tur.

      Das Volk des Lan­des, das ihn an­fangs sehr son­der­bar von der Sei­te an­ge­se­hen, wel­ches miss­trau­isch ge­nug über ihn ge­flüs­tert, wel­ches ihm auch mehr als einen Rip­pen­stoß im Ge­wühl des Fes­tes ver­setzt hat­te, hat­te sich doch all­mäh­lich an die Ge­gen­wart des ku­rio­sen Fremd­lings in sei­ner Mit­te ge­wöhnt. Nach­her hat­te man ihn aus­ge­fragt. Zu­erst wa­ren die ehr­wür­di­gen Al­ten des Dor­fes nä­her an ihn her­an­ge­tre­ten und hat­ten sich er­kun­digt: Wer? Wo­her? Wa­rum? Dann wa­ren die jün­ge­ren Leu­te ge­kom­men, und die Frau­en­zim­mer hat­ten ih­nen im Krei­se über die Schul­tern ge­guckt und ge­ki­chert und ein­an­der die Ell­bo­gen in die Sei­ten ge­sto­ßen, und zu­letzt – hat­te ihm der Schult­heiß einen Schop­pen ge­bracht, und Sir Hugh hat­te erst dem Schult­heiß, so­dann sämt­li­chen üb­ri­gen länd­li­chen Wür­den­trä­gern und Ho­no­ra­tio­ren Be­scheid ge­tan. Es war al­les in der schöns­ten Ord­nung.

      Da saß er – er, Sir Hugh Slid­de­ry, Ka­pi­tän im sie­ben­und­sie­ben­zigs­ten In­fan­te­rie­re­gi­ment ih­rer bri­tan­ni­schen Ma­je­stät, Vic­to­ria re­gi­na, und nie­mand mehr fand sei­ne An­we­sen­heit im Och­sen zu Ho­hen­stau­fen son­der­bar. Da saß er ganz be­hag­lich zwi­schen dem Braut­va­ter und dem Küs­ter, ließ den deut­schen Wal­zer mit un­be­weg­ter Mie­ne an sich vor­über­to­sen, sah stier, stumm und ein we­nig dumm au­ßer­dem in den Wir­bel der schwä­bi­schen Fröh­lich­keit und dach­te – in die­sem Mo­ment – nicht im all­er­ge­rings­ten an – Miss Chri­sta­bel Ed­dish; und da sich uns in eben die­sem Au­gen­blick die tref­fends­ten Ver­glei­chun­gen und Gleich­nis­se zu Dut­zen­den dar­bie­ten, so ver­zich­ten wir dar­auf, von ir­gend­ei­ner oder ei­nem der­sel­ben Ge­brauch zu ma­chen, und über­las­sen es be­schei­den dem Le­ser, ein­mal sel­ber recht au­ßer­ge­wöhn­lich geist­reich zu sein.

      Wir sind jetzt nicht im­stan­de, uns mit dem Geis­te ab­zu­ge­ben; die Kör­per­lich­keit nimmt alle ihre Rech­te und so­gar noch ei­ni­ge dar­über in An­spruch. Schon na­he­te das, was der Dok­tor Chri­stoph Pech­lin mit al­ler Be­stimmt­heit er­war­te­te. Was na­he­te? Was kam?… Mit ei­nem Male kam aus der of­fe­nen Tür des Saa­l­es mit­ten aus dem Ge­drän­ge der Zuschau­er des Tan­zes ein Ge­gen­stand, der sich spä­ter in der Ge­richt­stu­be zu Göp­pin­gen pro­to­kol­la­risch als ein lee­rer Bier­krug aus­wies. Im ho­hen Bo­gen schwirr­te er un­ter der rauch­ge­schwärz­ten De­cke hin und schmet­ter­te auf den Tisch un­ter der Mu­si­kan­ten­büh­ne, dicht vor den Na­sen des Braut­va­ters und des eng­li­schen Gas­tes nie­der. Klir­rend flo­gen die Sp­lit­ter des Wurf­ge­schos­ses, so­wie der ge­trof­fe­nen Fla­schen und Glä­ser um­her. Ro­ter und wei­ßer Wein spritz­te auf und der ah­nungs­lo­sen Fröh­lich­keit der Stun­de ins Ge­sicht. Gren­zen­lo­ser Tu­mult war na­tür­lich die au­gen­blick­li­che Fol­ge des ruch­lo­sen At­ten­ta­tes. Ra­sends­te Ent­rüs­tung mal­te sich auf al­len Mie­nen, und einen wahr­haft Ent­set­zen er­re­gen­den Durst nach Ra­che rief das so schnö­de ver­gos­se­ne Ge­tränk un­ter sämt­li­chen Hoch­zeits­gäs­ten her­vor.

      War es ver­schmäh­te Lie­be, war es blut­ro­te Ei­fer­sucht, oder was war es, was den Krug schleu­der­te? Als Poet neh­men wir an, dass es ver­schmäh­te Lie­be war und nicht blo­ße ur­ger­ma­ni­sche Rauf­lust ei­nes der dem Lamm zu­ge­hö­ren­den Stamm­gäs­te. Aber was es ge­we­sen sein moch­te, die Fol­gen blie­ben die­sel­ben. Schon war die Mu­sik mit­ten im leb­haf­ten Takt ab­ge­bro­chen. Die Paa­re der Tan­zen­den lös­ten sich von­ein­an­der, in der Tür ent­stand eine wo­gen­de Be­we­gung kämp­fen­der Män­ner. Weib­li­ches Ge­schrill misch­te sich schon dar­ein, und eine Schop­pen­fla­sche, die von ei­ner eif­ri­gen aber un­be­dach­ten Hand aus ei­nem Win­kel des Saa­l­es ge­gen den un­be­kann­ten hä­mi­schen An­grei­fer – ge­gen die Tür ge­schleu­dert wur­de und auf dem Rücken des ge­gen eben die­se Tür wü­tend vor­ge­sprun­ge­nen Bräu­ti­gams zer­split­ter­te, brach­te die Auf­re­gung der Ge­mü­ter zum gi­schends­ten Über­spru­deln.

      Wer auch der Tä­ter ge­we­sen sein moch­te, der den Krug ent­sen­det hat­te, der Schleu­de­rer der Fla­sche hat­te sei­nen Wurf un­ter der Bei­hil­fe des Dä­mo­ni­ums deut­scher Bau­ern­hoch­zei­ten doch noch bes­ser und wir­kungs­vol­ler ge­tan. Mit al­ler


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