Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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(dito), ein paar Post­kar­ten (dito, dito). Ich wüss­te nicht, was für An­halts­punk­te ich mei­nen Leu­ten für die­se Haus­su­chun­gen ge­ben soll­te, wo­nach sie ei­gent­lich zu su­chen ha­ben. Höchs­tens et­was Ne­ga­ti­ves: der Kar­ten­schrei­ber be­sitzt be­stimmt kei­nen Ra­dio­ap­pa­rat. Noch nie habe ich auf all die­sen Kar­ten einen Hin­weis dar­auf ge­fun­den, dass er sei­ne Nach­rich­ten aus dem Ra­dio be­zo­gen hät­te. Oft ist er ein­fach schlecht in­for­miert. Nein, ich weiß nicht, wor­auf ich die­se Haus­su­chung an­set­zen soll.«

      »Aber liebs­ter, bes­ter Esche­rich – wir ver­ste­hen Sie wirk­lich nicht mehr! Im­mer ha­ben Sie nur Be­denk­lich­kei­ten, aber nicht einen po­si­ti­ven Vor­schlag wis­sen Sie zu ma­chen! Wir müs­sen den Mann doch fas­sen, und das bald!«

      »Wir wer­den ihn auch fas­sen«, sag­te der Kom­missar lä­chelnd, »aber frei­lich, bald? Das kann ich nicht ver­spre­chen. Im­mer­hin glau­be ich nicht, dass er noch wei­te­re zwei Jah­re sei­ne Post­kar­ten schrei­ben wird.«

      Sie stöhn­ten.

      »Und warum nicht? Weil die Zeit ge­gen ihn ar­bei­tet. Se­hen Sie sich die Fähn­chen an, noch hun­dert mehr, und wir wer­den ein ge­wal­ti­ges Stück kla­rer sehn. Er ist ein ver­dammt zä­her, kalt­blü­ti­ger Bur­sche, mein Kla­bau­ter­mann, aber er hat auch einen Schwei­ne­du­sel ge­habt. Mit der Kalt­blü­tig­keit al­lein ist es näm­lich nicht ge­tan, man muss auch ein biss­chen Glück ha­ben, und das hat er bis­her in fast un­be­greif­li­cher­wei­se ge­habt. Aber das ist ge­nau wie beim Kar­ten­spie­len, mei­ne Her­ren, eine Wei­le kön­nen die Kar­ten für den einen Spie­ler güns­tig fal­len, aber dann ist es auch plötz­lich alle. Plötz­lich steht das Spiel ge­gen den Kla­bau­ter­mann, und wir ha­ben die Trümp­fe in der Hand!«

      »Al­les sehr schön und in­ter­essant, Esche­rich! Feins­te Kri­mi­na­lis­ten­theo­rie, wir ver­ste­hen schon. Aber wir sind nicht so sehr für Theo­rie, und wir hö­ren aus Ihren Wor­ten nur her­aus, dass wir even­tu­ell noch zwei wei­te­re Jah­re zu war­ten ha­ben, bis Sie sich zum Han­deln ent­schlie­ßen wer­den. Da ma­chen wir nicht mit, son­dern wir schla­gen Ih­nen vor, Sie durch­den­ken den gan­zen Fall noch ein­mal gründ­lich und ma­chen uns, sa­gen wir in ei­ner Wo­che, Ihre Vor­schlä­ge. Dann wer­den wir ja se­hen, ob Sie zur Er­le­di­gung die­ses Fal­les ge­eig­net sind oder nicht. Heil Hit­ler, Esche­rich!«

      Der Ober­grup­pen­füh­rer Prall aber, der bis­her we­gen An­we­sen­heit noch hö­he­rer Vor­ge­setz­ter die Klap­pe hat­te hal­ten müs­sen, kam noch ein­mal in Esche­richs Zim­mer ge­stürzt: »Sie Ka­mel! Sie Idi­ot! Den­ken Sie, ich las­se mei­ne Ab­tei­lung noch wei­ter durch einen Trot­tel, wie Sie es sind, schän­den? Eine Wo­che ha­ben Sie noch Zeit!« Er schüt­tel­te grim­mig die Fäus­te. »Der Him­mel gna­de Ih­nen, wenn Ih­nen auch in die­ser Wo­che nichts ein­fällt! Ich fah­re Schlit­ten mit Ih­nen!« Und so wei­ter und so wei­ter. Kom­missar Esche­rich hör­te das schon gar nicht mehr.

      In der ihm ver­blie­be­nen ein­wö­chi­gen Gna­den­frist be­schäf­tig­te sich Kom­missar Esche­rich der­art mit dem Fall Kla­bau­ter­mann, dass er sich gar nicht mit ihm be­schäf­tig­te. Ein­mal hat­te er sich durch sei­ne Vor­ge­setz­ten aus der für rich­tig er­kann­ten Ab­war­te­tak­tik her­aus­drän­gen las­sen, und gleich war al­les auf ein falsches Gleis ge­ra­ten, drum hat­te die­ser Enno Klu­ge dar­an glau­ben müs­sen.

      Nicht, dass die­ser Klu­ge sei­nem Ge­wis­sen viel zu­ge­setzt hät­te. Ein wert­lo­ser, jäm­mer­li­cher Plär­rer, das war ganz un­wich­tig, ob der leb­te oder nicht. Aber der Kom­missar Esche­rich hat­te viel Sche­re­rei­en we­gen die­ses klei­nen Biests ge­habt, es hat­te ei­ni­ge Mühe ge­kos­tet, den ein­mal ge­öff­ne­ten Mund wie­der zu schlie­ßen. Ja, in je­ner Nacht, an die er nicht ger­ne dach­te, war der Kom­missar sehr auf­ge­regt ge­we­sen – und wenn der lan­ge, farb­lo­se, graue Mann et­was hass­te, so war es Auf­ge­regt­sein.

      Nein, nicht noch ein­mal wür­de er sich aus der be­harr­li­chen Ge­duld her­aus­lo­cken las­sen – auch nicht von höchs­ten Vor­ge­setz­ten. Was konn­te ihm viel ge­sche­hen? Sie brauch­ten ih­ren Esche­rich, für vie­le Din­ge war er ih­nen ein­fach un­er­setz­lich. Sie wür­den schimp­fen und to­ben, aber sie wür­den schließ­lich doch tun, was das ein­zig Rich­ti­ge war: ge­dul­dig war­ten. Nein, Esche­rich hat­te kei­ne Vor­schlä­ge zu ma­chen …

      Es war eine denk­wür­di­ge Sit­zung. Dies­mal fand sie nicht in Esche­richs Zim­mer, sie fand im Saal un­ter dem Vor­sitz ei­nes der höchs­ten Füh­rer statt. Na­tür­lich wur­de nicht nur der Fall Kla­bau­ter­mann ver­han­delt, es wur­den auch vie­le Fäl­le aus an­de­ren Ab­tei­lun­gen be­spro­chen. Es wur­de ge­ta­delt, ge­brüllt, ver­ächt­lich ge­spot­tet. Und dann kam der nächs­te Fall.

      »Kom­missar Esche­rich, wol­len Sie uns jetzt vor­tra­gen, was Sie uns über den Fall des Post­kar­ten­schrei­bers zu sa­gen ha­ben?«

      Der Kom­missar woll­te es vor­tra­gen. Er gab einen klei­nen Be­richt über das Ge­sche­he­ne und das bis­her Er­mit­tel­te. Er mach­te das aus­ge­zeich­net, kurz, ge­nau, nicht ohne Witz, wo­bei er ge­dan­ken­voll sei­nen Schnurr­bart strei­chel­te.

      Dann kam die Fra­ge des Vor­sit­zen­den: »Und was für Vor­schlä­ge ha­ben Sie nun zur Er­le­di­gung die­ses seit zwei Jah­ren an­ste­hen­den Fal­les zu ma­chen? Zwei Jah­re, Kom­missar Esche­rich!«

      »Ich kann nur wei­ter ge­dul­di­ges War­ten emp­feh­len, et­was an­de­res gibt es nicht. Aber viel­leicht könn­te man den Fall Herrn Kri­mi­nal­rat Zott zur Nach­prü­fung über­ge­ben?«

      Ei­nen Au­gen­blick herrsch­te To­ten­stil­le.

      Dann brach hier und da spöt­ti­sches Ge­läch­ter aus. Eine Stim­me rief: »Drücke­ber­ger!«

      Eine an­de­re: »Erst ver­pfu­schen, dann an­de­re da­mit be­las­ten!«

      Ober­grup­pen­füh­rer Prall ließ don­nernd die Faust auf den Tisch fal­len: »Ich wer­de mit dir Schlit­ten fah­ren, du Aas!«

      »Ich bit­te um voll­kom­me­ne Ruhe!«

      Die Stim­me des Vor­sit­zen­den klang leicht an­ge­wi­dert. Es wur­de still.

      »Wir ha­ben hier eben ein Ver­hal­ten er­lebt, mei­ne Her­ren, das fast ei­ner – Fah­nen­flucht gleich­zu­set­zen ist. Fei­ges Aus­rei­ßen vor den Schwie­rig­kei­ten, die je­der Kampf un­ver­meid­lich bringt. Ich be­dau­re das. Esche­rich, Sie sind von der wei­te­ren Teil­nah­me an die­ser Sit­zung ent­bun­den. War­ten Sie in Ihrem Dienst­zim­mer mei­ne Be­feh­le ab!«

      Der Kom­missar, völ­lig fahl (denn nichts der Art hat­te er er­war­tet), ver­beug­te sich. Dann ging er zur Tür, dort knall­te er die Ab­sät­ze zu­sam­men und brüll­te mit aus­ge­streck­tem Arm: »Heil Hit­ler!«

      Nie­mand be­ach­te­te ihn. Der Kom­missar ging auf sein Zim­mer.

      Die ihm in Aus­sicht ge­stell­ten Be­feh­le er­schie­nen zu­erst in der Ge­stalt von zwei SS-Män­nern, die ihn fins­ter an­starr­ten und von de­nen der eine dann dro­hend sag­te: »Sie ha­ben hier nischt mehr an­zu­rüh­ren, ver­ste­hen Sie!«

      Esche­rich wand­te den Kopf lang­sam zu dem Mann hin, der so mit ihm sprach. Das war ein neu­er Ton. Nicht, dass Esche­rich ihn noch nicht kann­te, aber ihm ge­gen­über war er noch nie an­ge­wen­det wor­den. Ein ein­fa­cher SS-Mann, der Kerl


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