Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


Скачать книгу
»Ver­re­cken soll der Hit­ler! Und er wird ver­re­cken! So wahr ich mir mei­nen Arm ab­sä­ge!«

      Sie hat­ten die­sen Wahn­sin­ni­gen nur schwer aus der Ma­schi­ne rei­ßen kön­nen, und na­tür­lich hat­ten sie nie wie­der et­was von ihm ge­hört. Wahr­schein­lich war er längst tot, hof­fent­lich war er das! Ja, man muss­te ver­flucht vor­sich­tig sein, nicht je­der stand so un­be­arg­wohnt da wie die­ses alte, stumpf ge­wor­de­ne Ar­beit­s­tier Otto Quan­gel, den nur noch zu in­ter­es­sie­ren schi­en, ob sie auch ihr Ta­ge­s­quan­tum Sär­ge schaff­ten. Ja, Sär­ge! Von den Bom­ben­kis­ten wa­ren sie zu Sär­gen hin­ab­ge­sun­ken, elen­den Din­gern aus bil­ligs­tem, dünns­tem Aus­schuss­holz, braun­schwarz an­ge­schmiert. Sie stell­ten Tau­sen­de und Zehn­tau­sen­de von die­sen Sär­gen her, Gü­ter­zü­ge, einen Bahn­hof voll von Gü­ter­zü­gen, vie­le Bahn­hö­fe voll!

      Quan­gel, sei­nen Kopf acht­sam nach je­der Ma­schi­ne ge­r­eckt, dach­te oft an all die vie­len Le­ben, die in die­sen Sär­gen zu Gra­be ge­tra­gen wer­den wür­den, hin­ge­mor­de­tes Le­ben, nutz­los hin­ge­mor­de­tes Le­ben, sei es nun, dass die­se Sär­ge für die Op­fer der Bom­ben­an­grif­fe be­stimmt wa­ren, also haupt­säch­lich für alte Leu­te, für Müt­ter und Kin­der …, oder sei es wahr, dass die­se Sär­ge in die KZs wan­der­ten, jede Wo­che ein paar tau­send Stück, für Män­ner, die ihre Über­zeu­gung nicht hat­ten ver­ber­gen kön­nen oder sie nicht ver­ber­gen woll­ten, jede Wo­che ein paar tau­send Sär­ge in ein ein­zi­ges KZ. Oder viel­leicht tra­ten die­se Gü­ter­zü­ge mit Sär­gen wirk­lich den wei­ten Weg an die Fron­ten an – ob­wohl Otto Quan­gel das ei­gent­lich nicht glau­ben woll­te, denn was küm­mer­ten die sich um tote Sol­da­ten! Ein to­ter Sol­dat war ih­nen nicht mehr wert als ein to­ter Maul­wurf.

      Das kal­te Vo­gel­au­ge blinkt im elek­tri­schen Licht hart und böse, ruck­wei­se be­wegt sich der Kopf, der schmal­lip­pi­ge Mund ist fest zu­sam­men­ge­presst. Von dem Aufruhr, dem Ab­scheu, die in die­ses Man­nes Brust le­ben, ahnt nie­mand et­was, aber er weiß, er hat noch viel zu tun, er weiß, dass er zu ei­ner großen Auf­ga­be be­ru­fen ist, und er schreibt nun nicht mehr nur am Sonn­tag. Er schreibt auch wo­chen­tags vor dem Ar­beits­be­ginn. Seit dem Über­fall auf Russ­land schreibt er auch dann und wann Brie­fe, die ihn zwei Tage Ar­beit kos­ten, aber sein Zorn muss sich Luft ma­chen.

      Quan­gel ge­steht es sich ein, er ar­bei­tet nicht mehr mit der al­ten Vor­sicht. Er ist de­nen nun schon zwei Jah­re glück­lich ent­gan­gen, nie ist der ge­rings­te Ver­dacht auf ihn ge­fal­len, er fühlt sich ganz si­cher.

      Eine ers­te War­nung ist ihm da die Be­geg­nung mit Tru­del Her­ge­sell. Statt ih­rer hät­te auch je­mand an­ders auf der Trep­pe ste­hen und ihn be­ob­ach­ten kön­nen, und dann war es um ihn und Anna ge­sche­hen. Nein, es kam we­der auf ihn noch auf Anna an; es kam al­lein dar­auf an, dass die­se Ar­beit ge­tan wur­de, heu­te und alle Tage wei­ter. Im In­ter­es­se die­ser Ar­beit muss­te er hier vor­sich­ti­ger wer­den. Dass ihn die Tru­del da auf der Trep­pe beim Ab­le­gen der Kar­te be­ob­ach­tet hat­te, das war bö­ses­ter Leicht­sinn von ihm ge­we­sen.

      Und da­bei ahn­te Otto Quan­gel nicht, dass der Kom­missar Esche­rich zu die­sem Zeit­punkt be­reits von zwei Sei­ten eine Be­schrei­bung sei­ner Per­son be­kom­men hat­te. Schon zwei­mal vor­her war Otto Quan­gel beim Ab­le­gen der Kar­ten be­ob­ach­tet wor­den, bei­de Male von Frau­en, die dann neu­gie­rig die Kar­ten auf­ge­nom­men hat­ten, aber nicht schnell ge­nug Alarm rie­fen, um den Tä­ter noch im Hau­se zu fas­sen.

      Ja, Kom­missar Esche­rich be­saß jetzt be­reits zwei Per­so­nal­be­schrei­bun­gen des Kar­tenab­le­gers. Es war nur zu be­dau­ern, dass die­se Be­schrei­bun­gen fast in al­len Punk­ten von­ein­an­der ab­wi­chen. Nur in ei­nem Punkt wa­ren sich bei­de Beo­b­ach­te­rin­nen ei­nig, dass das Ge­sicht des Tä­ters ganz un­ge­wöhn­lich aus­ge­se­hen habe, gar nicht wie bei an­de­ren Men­schen. Aber als Esche­rich die­ses un­ge­wöhn­li­che Ge­sicht nä­her ge­schil­dert wis­sen woll­te, stell­te sich her­aus, dass die bei­den Frau­en ent­we­der nicht be­ob­ach­ten konn­ten oder ihre Beo­b­ach­tun­gen nicht in Wor­te zu klei­den wuss­ten. Sie konn­ten bei­de nichts wei­ter sa­gen, als dass der Tä­ter wie ein rich­ti­ger Ver­bre­cher aus­ge­se­hen habe. Be­fragt, wie ein rich­ti­ger Ver­bre­cher ih­rer An­sicht nach aus­sä­he, zuck­ten sie die Ach­seln und mein­ten, das müss­ten doch die Her­ren am bes­ten wis­sen.

      Quan­gel hat­te lan­ge ge­schwankt, ob er die­se Be­geg­nung mit Tru­del der Anna er­zäh­len soll­te oder nicht. Aber er ent­schloss sich dann doch dazu: er woll­te nicht das kleins­te Ge­heim­nis vor ihr ha­ben.

      Und sie hat­te auch ein Recht dar­auf, die Wahr­heit zu er­fah­ren, wenn auch die Ge­fahr, dass durch Tru­del et­was ver­ra­ten wur­de, ganz ge­ring war, auch von ei­ner ganz ge­rin­gen Ge­fahr muss­te Anna wis­sen. Er er­zähl­te es ihr also, ge­nau wie es ge­sche­hen war, ohne sei­nen Leicht­sinn zu be­schö­ni­gen.

      Es war be­zeich­nend für Anna, wie sie rea­gier­te. Die Tru­del und ihre Ver­hei­ra­tung und das er­war­te­te Kind in­ter­es­sier­ten sie gar nicht, aber sie flüs­ter­te, sehr er­schro­cken: »Aber den­ke doch, Otto, wenn da ein an­de­rer ge­stan­den hät­te, ei­ner von der SA!«

      Er lä­chel­te ver­ächt­lich: »Es hat aber kein an­de­rer da ge­stan­den! Und von jetzt an bin ich wie­der vor­sich­tig!«

      Aber die­se Ver­si­che­rung konn­te sie nicht be­ru­hi­gen. »Nein, nein«, sag­te sie hef­tig. »Von nun an wer­de ich al­lein die Kar­ten aus­tra­gen. Auf eine alte Frau ach­tet nie­mand. Du fällst al­len Leu­ten gleich auf, Otto!«

      »Ich bin in zwei Jah­ren kei­nem auf­ge­fal­len, Mut­ter. Das kommt gar nicht in Fra­ge, dass du das ge­fähr­lichs­te Ge­schäft al­lein be­sorgst! Das wär so was, wenn ich mich hin­ter dei­ner Schür­ze ver­steck­te!«

      »Ja«, er­wi­der­te sie är­ger­lich. »Nun komm mir auch noch mit sol­chen dum­men Männ­er­re­dens­ar­ten! Was für ein Un­sinn: dich hin­ter mei­ner Schür­ze ver­ste­cken! Dass du Mut hast, das weiß ich auch so, aber dass du un­vor­sich­tig bist, das habe ich nun er­fah­ren, und da­nach rich­te ich mich. Da kannst du re­den, was du willst!«

      »Anna«, sag­te er und fass­te ihre Hand, »du darfst mir nun auch nicht, wie es an­de­re Frau­en tun, stets den­sel­ben Feh­ler vor­wer­fen! Ich habe dir ge­sagt, ich wer­de vor­sich­ti­ger sein, und das musst du mir glau­ben. Ich hab’s ja zwei Jah­re lang nicht schlecht ge­macht – warum soll es da in Zu­kunft schlecht gehn?«

      »Ich sehe nicht ein«, sag­te sie hart­nä­ckig, »warum ich nicht die Kar­ten ver­tei­len soll. Ich hab’s doch bis­her dann und wann tun dür­fen.«

      »Das sollst du auch wei­ter. Wenn’s zu vie­le sind oder wenn mich das Rei­ßen plagt.«

      »Aber ich habe mehr Zeit als du. Und ich fal­le wirk­lich nicht so auf. Und ich habe jün­ge­re Bei­ne. Und ich will hier nicht vor Angst um­kom­men, alle Tage, wenn ich dich un­ter­wegs weiß.«

      »Und was denkst du über mich? Meinst du, ich sit­ze hier zu­frie­den im Haus, wenn ich weiß, die Anna läuft drau­ßen her­um? Ver­stehst du nicht, dass ich mich schä­men müss­te, wenn du die meis­te Ge­fahr trü­gest? Nein, Anna, das kannst du nicht von mir ver­lan­gen!«

      »So lass uns ge­mein­sam ge­hen. Vier Au­gen se­hen mehr als zwei, Otto.«

      »Zu zwei­en wür­den wir mehr auf­fal­len, ei­ner al­lein


Скачать книгу