Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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dei­ne Lau­heit es erst mög­lich ge­macht …«

      Jetzt lach­te Her­ge­sell aber doch los, und auch der fins­te­re Gri­go­leit ver­stieg sich zu ei­nem Grin­sen, als er in die­ses la­chen­de Ge­sicht sah.

      »Na, las­sen wir das also!«, sag­te Gri­go­leit. »Wir wer­den uns nie ver­ste­hen.« Er strich mit der Hand über die hohe Stirn. »Aber ei­gent­lich könn­test du mir einen klei­nen Ge­fal­len tun, Her­ge­sell.«

      »Ja, ger­ne, Gri­go­leit.«

      »Ich habe da die­sen ol­len schwe­ren Kof­fer, den du eben ge­schleppt hast. In ei­ner Stun­de muss ich wei­ter nach Kö­nigs­berg, dort brauch ich den Kof­fer gar nicht. Willst du ihn nicht so­lan­ge bei dir in Ver­wah­rung neh­men?«

      »Ja, weißt du, Gri­go­leit«, mein­te Her­ge­sell und sah den schwe­ren Kof­fer mit Ab­nei­gung an. »Ich habe dir ja schon ge­sagt, ich woh­ne jetzt in Erkner drau­ßen. Das gibt eine ziem­li­che Schlep­pe­rei bis da­hin. Wa­rum gibst du den Kof­fer nicht ein­fach hier auf der Ge­päck­auf­be­wah­rung auf?«

      »Ja, warum? Wa­rum ist die Bana­ne krumm? Weil ich den Brü­dern hier nicht traue. Ich habe alle mei­ne Wä­sche und die Schu­he und die bes­ten An­zü­ge dar­in. Und hier wird so viel ge­klaut. Und au­ßer­dem die Bom­ben, die Tom­mys schmei­ßen doch be­son­ders gern auf die Bahn­hö­fe – dann bin ich all mein Hab und Gut los.«

      Er dräng­te: »Also sag schon ja, Her­ge­sell!«

      »Na, mei­net­we­gen. Mei­ner Frau wird’s nicht recht sein. Aber weil du es bist. Aber weißt du, Gri­go­leit, ich möch­te mei­ner Frau lie­ber gar nicht sa­gen, dass ich dich ge­trof­fen hab. Das regt sie auf, und das ist ihr und dem Kind nicht gut bei ih­rem jet­zi­gen Zu­stand, weißt du?«

      »Schön, schön. Mach das, wie du willst. Die Haupt­sa­che, du be­wahrst ihn mir gut auf. In un­ge­fähr ei­ner Wo­che kom­me ich vor­bei und hole mir den schwe­ren Bro­cken. Sag mir mal dei­ne Adres­se. Schön, schön! Also denn auf bal­di­ges Wie­der­se­hen, Her­ge­sell!«

      »Auf Wie­der­se­hen, Gri­go­leit!«

      Karl Her­ge­sell trat in den War­te­saal, um sich nach Tru­del um­zu­se­hen. Er fand sie in eine dunkle Ecke ge­drückt, den Kopf an die Rück­leh­ne der Bank ge­legt, fest schla­fend. Ei­nen Au­gen­blick sah er sie an. Ihr Atem ging sach­te. Sach­te hob und senk­te sich die vol­le Brust. Der Mund war leicht ge­öff­net, aber das Ge­sicht war sehr blass. Es sah sor­gen­voll aus, und auf der Stirn stan­den klei­ne hel­le Schweiß­trop­fen, als habe sie sich sehr an­ge­strengt.

      Er sah nie­der auf die Ge­lieb­te. Dann, mit ei­nem plötz­li­chen Ent­schluss, fass­te er den Kof­fer Gri­go­leits und ging mit ihm zur Ge­päck­auf­be­wah­rung. Nein, für Karl Her­ge­sell war es jetzt das Wich­tigs­te auf der Welt, dass Tru­del sich nicht trü­be Ge­dan­ken mach­te und sich auf­reg­te. Nahm er den Kof­fer nach Erkner mit, so muss­te er ihr von Gri­go­leit er­zäh­len, und er wuss­te, dass jede Erin­ne­rung an das »To­des­ur­teil« da­mals sie sehr er­reg­te.

      Als Her­ge­sell mit dem Ge­päck­auf­be­wah­rungs­schein in der Brief­ta­sche zum War­te­saal zu­rück­kommt, ist Tru­del auf­ge­wacht und malt sich gra­de das Mäul­chen rot. Sie lä­chelt ihm, ein we­nig blass, zu und fragt: »Was hast du dich denn eben mit so ei­nem groß­mäch­ti­gen Kof­fer ab­ge­schleppt? Da war be­stimmt kein Kin­der­wa­gen drin, Kar­li!«

      »Groß­mäch­ti­ger Kof­fer!«, tut er ver­wun­dert. »Ich habe doch kei­nen groß­mäch­ti­gen Kof­fer! Ich kom­me eben erst, und mit dem Kin­der­wa­gen war es Es­sig, Tru­del.«

      Sie sieht ihn stau­nend an. Ihr Mann be­lügt sie? Aber warum denn? Was hat er für Heim­lich­kei­ten vor ihr? Sie hat ihn doch eben hier ganz deut­lich hier am Tisch ste­hen se­hen mit dem Kof­fer, und dann hat er kehrt­ge­macht und den Kof­fer aus dem War­te­saal ge­schleppt.

      »Aber, Kar­li!«, sagt sie ein biss­chen ge­kränkt. »Ich habe dich doch eben erst hier mit dem Kof­fer am Tisch ste­hen se­hen!«

      »Wie soll ich denn zu ei­nem Kof­fer kom­men?«, er­wi­dert er ein biss­chen ge­reizt. »Das hast du ge­träumt, Tru­del!«

      »Ich ver­steh nicht, warum du mich plötz­lich an­schwin­delst! Das ha­ben wir doch noch nie ge­macht!«

      »Ich schwind­le dich nicht an, das ver­bit­te ich mir!« Jetzt ist er ziem­lich er­regt, sein schlech­tes Ge­wis­sen macht ihn so. Er be­sinnt sich und fährt et­was ru­hi­ger fort: »Ich habe dir ge­sagt, ich bin eben erst ge­kom­men. Von ei­nem Kof­fer weiß ich nichts, das hast du ge­träumt, Tru­del!«

      »So, so«, sagt sie nur und sieht ihn un­ver­wandt an. »So, so. Na schön, Kar­li. Dann habe ich eben ge­träumt. Re­den wir nicht mehr da­von.«

      Sie senkt den Blick. Es schmerzt sie tief, dass er Heim­lich­kei­ten vor ihr hat, und die­ser Schmerz wird noch bren­nen­der da­durch, dass auch sie Heim­lich­kei­ten vor ihm hat. Sie hat dem Otto Quan­gel ver­spro­chen, dass sie ih­rem Mann nichts von dem Wie­der­se­hen, ge­schwei­ge denn von der Kar­te er­zäh­len wird. Aber recht ist es nicht. Ehe­leu­te sol­len kei­ne Ge­heim­nis­se vor­ein­an­der ha­ben. Und nun hat auch er wel­che vor ihr.

      Karl Her­ge­sell schämt sich auch. Es ist schänd­lich, wie scham­los er die Ge­lieb­te be­lügt, und er hat sie so­gar an­ge­schnauzt, weil sie die Wahr­heit sagt. Er kämpft mit sich, ob er ihr nicht doch lie­ber von dem Zu­sam­men­tref­fen mit Gri­go­leit be­rich­tet. Aber er ent­schei­det: Nein, das wür­de sie noch mehr auf­re­gen.

      »Ver­zeih, Tru­del«, sagt er und drückt rasch ihre Hand. »Ver­zeih, dass ich dich an­ge­ranzt habe. Aber ich habe mich so über die Ge­schich­te mit dem Kin­der­wa­gen ge­är­gert. Hör mal zu …«

      36. Die erste Warnung

      Wenn er jetzt in der Werk­statt an eine Grup­pe Schwat­zen­der her­an­trat, so wünsch­te er manch­mal, wenn sie von Po­li­tik spra­chen, sie möch­ten nicht so schnell aus­ein­an­der­ge­hen. Er hör­te jetzt ger­ne, was an­de­re über den Krieg sag­ten.

      Aber sie ver­san­ken so­fort in mür­ri­sches Schwei­gen, es war sehr ge­fähr­lich ge­wor­den, zu schwat­zen. Der ver­gleichs­wei­se harm­lo­se Tisch­ler Doll­fuß war längst ab­ge­löst wor­den; wer sein Nach­fol­ger war, konn­te Quan­gel nur mut­ma­ßen. Elf sei­ner Leu­te, dar­un­ter zwei Män­ner, die schon über zwan­zig Jah­re in der Mö­bel­fa­brik ge­ar­bei­tet hat­ten, wa­ren spur­los ver­schwun­den, mit­ten aus der Ar­beit her­aus, oder sie ka­men ei­nes Mor­gens nicht mehr. Nie wur­de ge­sagt, wo sie ge­blie­ben wa­ren, und das war ein Be­weis mehr da­für, dass sie ir­gend­wann ein­mal ein Wort zu viel ge­spro­chen hat­ten und dar­um ins KZ ge­wan­dert wa­ren.


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