Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
auch kleine vorsichtige Verschwörungen an gegen die Habsucht der Kalfaktoren, die Tyrannei der Vorgesetzten, den schmutzigen Geiz der Verwaltung. Er hatte seine Hände in allem, und diese klugen sehnigen Hände konnten sehr erfolgreich sein; viel machte Hans Hagen der Verwaltung zu schaffen, dieser Totenkönig im Totenhaus.
Und wie ein König zog er seine Tribute ein – genau wie draußen. Genau, wie er draußen die Mädchen und Frauen bezaubert und unbedenklich jedes Geschenk von ihnen angenommen hatte, so machte er es auch hier. Ich habe nie gesehen, dass Hans Hagen etwas verlangte, um etwas bat. Das hatte er auch gar nicht nötig, seine Anhänger sorgten auch so für ihn. Ein Wachtmeister erzählte mir, dass, solange Hans Hagen in der Arrestzelle saß, ein ständiges Kommen und Gehen dort war, jeden unbewachten Augenblick lauerten sie ab, um ihm etwas zuzustecken. Ständig wurde an dem Spion geflüstert, dessen Scheibe man zerbrochen hatte, um ihm das kostbarste Gut in der Anstalt, Streichhölzer, hineinzureichen.
Lag ein anderer Kamerad im Arrest, so war er vergessen, niemand dachte mehr an ihn. Sein Wiederauftauchen wurde ebenso gleichgültig hingenommen wie sein Verschwinden. Nicht so bei Hans Hagen. Ich habe es selbst gesehen, oft und oft, wie sie zu ihm kamen, diese Ärmsten der Armen, die der Hunger in den Eingeweiden kniff. Ein Außenarbeiter brachte ihm eine Gurke, ein anderer eine Tasche voll Pellkartoffeln, hier ein Stückchen Brot, eine Zwiebel, ein paar Stängel Petersilie, Mohrrüben, Falläpfel, Salz, eine Handvoll aufgesammelter Zigarettenstummel. Und all das sind große, schwer errungene Kostbarkeiten in diesem Bau, keiner ist da, der von seinem Überfluss abgeben kann, alle opfern sie aus dem Notwendigsten. Und Hans Hagen nahm alles, alles. Er lächelte, er dankte, er machte einen Scherz. Er konnte so reizend danken. Und dann drehte er den Rücken, und der Geber war vergessen.
Mir hat Hans Hagen manchmal von seinem Überfluss abgegeben, genau in der raschen, spontanen Art, die ihm eigen war. Ich saß trübselig vor meiner Wassersuppe, und Hans Hagen rief: »Da, Sommer, fangen Sie auf!« Und vom Nebentisch flog ein Stück Brot zu mir herüber, und er lachte herzlich, wenn ich es mir ungeschickt auffing; über dem Lachen schon hatte er ganz vergessen, dass er mir eben etwas sehr Kostbares geschenkt hatte, für das ich ihm dankbar zu sein hatte. So war er; ohne Erinnerung. So steht er vor mir: ohne Vergangenheit und Zukunft, nur dem Tage lebend, dem Tag hingegeben, in der Minute weilend.
Mir aber machte es Kummer, dass ich mich so von ihm beschenken ließ, dass ich seine Gesellschaft, sein liebenswürdiges Geplauder hinnahm, ohne irgendwie meine tiefe Dankbarkeit zu zeigen. Wer war ich schon? Ein kleiner, mittelmäßiger, entgleister Kaufmann! Ja, keine drei Tage, und ich gehörte zu den ergebensten Bewunderern Hans Hagens. Nicht zu seinen blindesten – ich durchschaute ihn schnell genug. Ich schlief schlecht, ich hatte jede Nacht viele Stunden, über Hans Hagen nachzudenken, ich war es müde, immer nur über Magda und mein trauriges Schicksal zu grübeln. Ja, ich zerbrach mir den Kopf, wie ich ihm danken könnte, aber ich hatte ja nichts, gar nichts. Ich war der Allerärmste im Bau. So bin ich für immer in Hans Hagens Schuld geblieben.
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Es gehörte zu den Unbegreiflichkeiten unserer Verwaltung, dass sie in dieser Schar von sechsundfünfzig abgelebten, tierischen und verbrecherischen Männern auch zwei junge Burschen leben ließ, einen Siebzehn- und einen Achtzehnjährigen. Man hätte denken sollen, dass dieses Haus, dessen Wände ständig von Zoten, Flüchen, Streitereien widerhallten, dessen Atmosphäre von Hass und Niedertracht getränkt war, alles andere als ein geeigneter Erziehungsort für Jugendliche war, vor denen noch ein ganzes Leben lag. Aber sie waren unter uns, nicht nur vorübergehend, sondern für die Dauer, sie teilten unseren Schlafsaal, unseren Tisch und unsere Arbeit. Ich zweifele auch nicht daran, dass sie unsere Art zu denken und zu fühlen teilten, und wenn sie etwas von uns Älteren unterschied, so dies, dass ihre Schlechtigkeit wohl von einem Schimmer der Jugend verklärt, aber berechnender und feiler war als die unsere.
Es waren beides hübsche Jungen; der eine, Kolzer mit Namen, scheidet hier bei meinem Bericht über Hans Hagens seltsame Lebensumstände ganz aus, vielleicht spreche ich später in anderem Zusammenhang noch von ihm. Der andere, der Achtzehnjährige, Schmeidler hieß er, gehörte zu Hans Hagens engstem Kreis. Weiter gehörte zu diesem engsten Kreis noch der schon oben erwähnte Liesmann, der finstere wortkarge Schläger mit dem schwarzen Lederlappen vor dem rechten Auge, und, auch zu diesem Kreis gehörig, eine lange, seltsame, etwas donquichottehafte Figur von neunundzwanzig Jahren, ein halber Pole, Brachowiak mit Namen.
All diesen Dreien war, im Gegensatz zu Hans Hagen, gemeinsam, dass sie seit ihrem sechsten Jahre in öffentlichen Anstalten gewesen waren. Sie waren im Waisenhaus untergebracht gewesen und in der Fürsorgeerziehung, sie hatten ins Gefängnis gemusst und waren schließlich in diesem Hause gelandet. Obwohl sie sich immer gegen seinen Zwang auflehnten und über ihn murrten, fühlten sie sich doch nur wohl in solchen Häusern, ihre vergiftete Atmosphäre war ihnen Lebensatem. Alle drei waren schon mehrfach probeweise in die Freiheit entlassen worden, und alle drei hatten sich in ihr nicht bewährt: Schon nach vier, sechs Wochen waren sie wieder in die festen Häuser zurückgekehrt, meist zuerst in ein Gefängnis, da sie draußen jede Arbeit scheuten und nur von Diebstahl leben wollten.
Mit einem ungläubigen Erstaunen hörte ich zuerst, dass Liesmann, den ich ständig in des strahlenden Hagen Nähe sah, der sein vertrautester Freund war, mit dem alles geteilt wurde, dass also Liesmann derjenige war, mit dem sich der König Hagen so wild geschlagen hatte, dass ihm das acht Wochen strengen Arrest eingetragen hatte. Aber ich musste es glauben, ich hörte es vom Oberpfleger selbst, dass, von kleineren Schlägereien abgesehen, Hagen sich schon dreimal »erfolgreich« mit Liesmann geprügelt hatte: Einmal hatte er ihm die Kinnlade ausgerenkt, einmal die Hand durchstochen und beim letzten Mal ihm das Auge so verletzt, dass Liesmann die Sehkraft darauf fast völlig eingebüßt hatte.
Ja, ich musste es schon glauben, denn Hagen selbst war es, der einmal die schwarze Klappe von Liesmanns Auge fortzog, mir das starre, finstere Auge zeigte und sagte: »Da habe ich dem Hein reingeschlagen. – Kannst du jetzt schon wieder ein bisschen sehen, Heini?« Rührend besorgt klang das.
»So, als hätte ich zu lange in die Sonne gesehen …«, antwortete Liesmann friedlich.
Ja, sie waren die besten Freunde, sie sorgten füreinander. Liesmann ging los und schaffte Tabak an, er erpresste die Schwächeren bedenkenlos, schlug sie, und den Raub teilten sie sich dann. Sie sorgten