Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
doch der Liebe, mit allen ihren Wonnen und Gefahren. Dieser Junge mit dem blonden gewellten Haar, den blauen Augen, einem fast griechischen Profil mit steiler Nase und festem Kinn, da lief er zwischen diesen Männern umher, im kurzen Hemd tüffelte er morgens in den Waschsaal, seine schlanken weißen Glieder befleckte noch keine Schweinsbeule – sie wendeten die Köpfe nach ihm, in ihre Augen kam ein Leuchten, ihr Herz pochte schneller – im trostlosen Haus war dieser Tag wieder nicht ganz trostlos! Die Liebe, auf dem Müllhaufen eine Blume, sie verwirrte dieses Haus; andere Männer strichen lüstern am Rande dieses Kreises und wagten sich nur nicht zu nähern, weil sie die rohe Gewalt Liesmanns und die listigen Jiu-Jitsu-Griffe Hagens fürchteten.
Schmeidler aber, das Kind, die Hure, ließ auch diese fernen, stummen Verehrer nicht außer Acht. Er »kochte sie ab«, er nahm ihren letzten Tabak, für ein Lächeln bekam er Brot, für einen raschen zärtlichen Griff das beste Stück aus dem eben angekommenen Fresspaket. Oh, er sorgte auch für den gemeinsamen Haushalt, der Otsche Schmeidler, er ließ sich nicht nur aushalten, er steuerte auch bei. Und seine beiden Freunde waren großzügig, sie waren Lebemänner, sie drückten ein Auge zu, kurz gesagt, auch der charmante Hans Hagen war ein Zuhälter, nichts mehr und nichts weniger. Er ließ seine Jungenshure laufen, wenn sie nur anschaffte. Habe ich nicht gesagt, dass wir in einer Hölle lebten? Es fehlte nichts in dieser Hölle, auch die Liebe nicht, aber auch die Liebe war verderbt, sie stank!
47
Ich hätte nie so viel von diesem seltsamen Verhältnis erfahren, wäre ich nicht bei unseren kärglichen Mahlzeiten der Tischnachbar von Emil Brachowiak gewesen. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass die Menschen gerne zu ihrem Vertrauten einen stillen, schweigsamen Menschen erwählen, und ich redete während der ersten Wochen meines Aufenthaltes in der Heilanstalt fast nichts. So machte mich Brachowiak zu seinem Vertrauten, in mein Ohr ergoss er täglich seinen Liebeskummer, ja er wollte mich sogar zu seinem Liebesboten machen. Wie manche Stunde sind wir beide nach dem Abendessen auf dem langen Korridor nebeneinander auf und ab gegangen, und er hat unermüdlich auf mich eingeredet.
Ich habe ihn weinen und vor Glück lachen sehen. Draußen wurde es schon dämmerig, an den Wänden lehnten verloren die Kranken; wenn sie an ihren Pfeifen sogen, leuchtete die Glut rot auf; in einer Zelle geheimnisten Hagen, Liesmann und Schmeidler miteinander, und der Ausgestoßene redete immer fieberhafter auf mich ein, ob er dem Medizinalrat »die ganze Schweinerei« aufdecken, also Lampen machen oder besser noch einen Brief an Otsche schreiben sollte.
»›Otsche‹, werde ich ihm schreiben, ›ich habe so viel für dich getan. Zweieinhalb Pakete Tabak habe ich dir geschenkt und einen kleinen goldenen Ring, den ich in der Fabrik gefunden habe. Du hast den Ring gleich an Hagen weitergegeben, ich weiß das wohl, und der hat ihn an einen Polen im Haus verscheuert, für anderthalb Pfund Speck, die aus der Küche gestohlen worden sind. Aber ich will nicht darüber klagen, wenn du wieder nett zu mir bist. Seit gestern früh hast du mir nicht einmal Guten Tag gesagt, du siehst mich nicht mehr an. Du bist wieder gut zu mir, oder ich gehe zum Arzt und mache Lampen. Ich berichte dem Arzt alles, was du mir von den Schweinereien erzählt hast, die Liesmann und Hagen mit dir getrieben haben!‹ So werde ich ihm schreiben.«
»Ich an deiner Stelle würde keine Lampen machen, unter keinen Umständen«, antwortete ich. »Du fällst nur selbst mit rein.«
»Ja schön, aber willst du dem Otsche den Brief bringen, heute Abend noch?«
Aber nein, das wollte ich nicht, aktiv wollte ich an dieser Sache nicht beteiligt sein. Es schadete auch nichts, denn Brachowiak fand leicht einen anderen Boten, und dann berichtete er mir am nächsten Morgen mit vor Entrüstung zitternder Stimme, dass Otsche Schmeidler ihm eine Antwort gesandt habe …
»Nun, was denn für eine Antwort?«, fragte ich. »Will er wieder gut sein?«
»Ich soll ihn am Arsche lecken«, schrie wütend der Brachowiak. »Dieser Rotzjunge, dieser Hurenkerl lässt mir das sagen! Aber warte, Bürschchen, jetzt bin ich endgültig mit dir fertig. Nichts bekommst du mehr von mir, keine einzige Pfeife Tabak mehr!«
Ach, er konnte gut so reden, der Brachowiak, ich wusste es wohl, er hatte kein Fäserchen Tabak mehr, Otsche hatte ihn völlig abgekocht, und Otsche wusste das auch.
Was aber sagte Hagen zu alledem, unser König, dieser liebenswürdige und charmante junge Mann, der immer wenigstens den Schein von Sauberkeit aufrechterhielt? Emil Brachowiak war ja so schamlos in seinem Liebeskummer, er wusste von dem Verhältnis Hagens zu Schmeidler, er sah den Jungen stets in der nächsten Umgebung des Königs, Otsche hatte ihm selbst von den Schweinereien erzählt, die sie miteinander trieben – aber trotzdem lief Brachowiak zu Hagen und klagte ihm, genau wie mir, sein Leid. Und Hagen hörte sich das an, er war liebenswürdig und nett, er sprach trostreiche Worte und sagte seine Vermittlung bei Schmeidler zu. Und hinter dem Rücken Brachowiaks lachten sie über den ausgeplünderten, nutzlosen Narren – oh, welche wahrhaft höllische Atmosphäre von Falschheit und Niedertracht!
Brachowiak war ein geschickter und fleißiger Arbeiter, er bekleidete eine Art Vertrauensposten in der Fabrik, er kam auch viel mit Zivilarbeitern zusammen und verstand sich auf Schmeicheln und Betteln; in kurzer Zeit hatte er wieder Tabak.
»Diesmal bleibe ich fest, diesmal kriegt er nichts ab, nicht eine Pfeife voll!« Und Brachowiak ging den langen Korridor auf und ab, rauchte aus seiner langstieligen Pfeife und blies dem Schmeidler den Rauch ins Gesicht, ohne ihn auch nur zu sehen.
Brachowiak hatte sich krankgemeldet, er ging nicht zur Arbeit, sondern mit mir zur Freistunde, und – siehe da! – dieses Mal war im Grasgarten auch Schmeidler aufgetaucht, Schmeidler ganz allein, ohne Hagen und Liesmann – ein seltener Anblick.
»Ich sehe den Kerl gar nicht an!« versicherte Brachowiak, als wir an Schmeidler vorbeigingen, der auf den Treppenstufen in der Sonne saß. Der leichte Sommerwind bewegte sein blondes Haar, er sah jung, er sah frisch, er sah unverdorben aus.
Als wir zum zweiten Mal vorbeikamen, sagte Brachowiak: »Eben hat er mich schon angelächelt, der Otsche!«
»Bleiben Sie fest«, warnte ich ihn. »Es ist dem Bengel doch nur um Ihren Tabak zu tun. – Übrigens könnten Sie mir auch einmal Tabak schenken für eine Zigarette!«
»Ich habe meinen Tabak gar nicht unten«, sagte Brachowiak rasch. »Nein, der Kerl kriegt nicht ein bisschen. Der will mich ja doch nur wieder abkochen.«
Aber beim dritten Mal sagte Schmeidler ganz freundlich zu uns: »Wollen