Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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war noch im­mer ein wirk­lich groß­ar­ti­ger Mann, die­ser Kemp (bis auf sei­ne bei­den Ste­cken­pfer­de), im Üb­ri­gen hielt er sich völ­lig iso­liert, und die an­de­ren Kran­ken wag­ten ihn auch nie, zu be­läs­ti­gen oder in ihre Strei­te­rei­en zu zie­hen. Ge­gen die Ver­wal­tung, be­son­ders ge­gen den Me­di­zi­nal­rat, der ihn sei­ner An­sicht nach ge­gen je­des Recht hier fest­hielt, war er von ei­nem glü­hen­den Hass be­seelt; Be­rich­te, die er mir über die Durch­ste­che­rei­en, Rechts­brü­che und Miss­hand­lun­gen die­ser lei­ten­den Her­ren mach­te, klan­gen oft fast über­zeu­gend und wa­ren doch nie rich­tig. Un­se­ren Ober­pfle­ger nann­te er nur »den Strolch und Mas­sen­mör­der«.

      Es war schon rich­tig, dass reich­lich vie­le von den Kran­ken star­ben; das aber lag, ganz ab­ge­se­hen von dem man­geln­den Le­bens­wil­len die­ser ab­ge­stumpf­ten Ge­schöp­fe, be­stimmt nicht an dem Ober­pfle­ger, son­dern an dem gan­zen Sys­tem mit dem Geiz, der Un­ter­er­näh­rung und Unsau­ber­keit. Je­der zwei­te Mann von uns war mit »Schweins­beu­len« be­deckt, hat­te eine Fu­run­ku­lo­se; auch ich wur­de schon we­ni­ge Wo­chen nach mei­ner An­kunft da­von be­fal­len. Der Kör­per be­saß eben nicht die ge­rings­te Wi­der­stands­kraft, je­dem Krank­heits­keim er­lag er so­fort, die Tu­ber­ku­lo­se gras­sier­te und hol­te im­mer wie­der neue Op­fer.

      Üb­ri­gens wur­den die Tu­ber­ku­lö­sen nur »die Pie­per« ge­nannt, nach ih­rem pfei­fen­den At­men. Ir­gend­wel­che Ge­füh­le wur­den an einen Er­krank­ten oder Ster­ben­den nicht ver­schwen­det, und so­viel ist rich­tig, dass un­ser Ober­pfle­ger ein har­ter Mann war, der Sen­ti­men­ta­li­tä­ten nicht kann­te. Die meis­ten Kran­ken schie­nen ihm un­nüt­ze Ge­schöp­fe, die doch zu nichts mehr gut wa­ren. Es war schon bes­ser, sie ver­schwan­den von die­ser Erde. Und lei­der hat­te er da­mit nicht ein­mal so un­recht.

      Mein drit­ter Weg­ge­nos­se war ein klei­ner, stäm­mi­ger Mann An­fang der Sech­zig, mit Na­men Zei­se. Er war ein fins­te­rer Mann, sei­nen ei­ge­nen An­ga­ben nach hat er weit über die Hälf­te sei­nes Le­bens in Ge­fäng­nis­sen, Zucht­häu­sern und An­stal­ten ver­bracht. Er war ein un­ver­bes­ser­li­cher Dieb, aber ein klei­ner Dieb, der im­mer nur ganz ge­rin­ge Wer­te er­beu­tet hat­te. Er war aber der An­sicht, dass sei­ne Die­bisch­keit völ­lig be­rech­tigt war, er war eben am Tisch des Le­bens im­mer über­vor­teilt wor­den und glaub­te so das Recht zu ha­ben, sich sei­nen An­teil selbst zu neh­men.

      Alle an­de­ren Men­schen wa­ren ja noch viel schlim­me­re Die­be, und vor al­lem die Wacht­meis­ter und Pfle­ger im Bau hat­ten alle »zu viel Kleb­stoff« an den Fin­gern. Er wuss­te ge­nau, was der Wacht­meis­ter von un­se­rer Be­kö­s­ti­gung un­ter­schla­gen, was je­ner Pfle­ger sich aus der Fa­brik von den dort ar­bei­ten­den Kran­ken hat­te steh­len las­sen. Er wuss­te es aber nicht nur, son­dern er schrieb dar­über auch stän­dig An­zei­gen an die Staats­an­walt­schaft, die er auf ei­nem streng ge­heim ge­hal­te­nen Weg aus dem Bau un­ter Um­ge­hung der Zen­sur hin­aus­schmug­gel­te. Frü­her hat­te ihm das meis­tens eine zu­sätz­li­che Ge­fäng­niss­tra­fe we­gen wis­sent­lich falscher An­schul­di­gung und Be­am­ten­be­lei­di­gung ein­ge­tra­gen. Aber die Staats­an­walt­schaft war es wohl müde ge­wor­den, und seit Jah­ren er­folg­te auf all sei­ne An­zei­gen über­haupt nichts mehr: Es war, als hät­te er sie nie ge­schrie­ben. Das aber er­höh­te noch sei­ne Wut, es be­wies ihm, dass »die Brü­der alle un­ter ei­ner De­cke steck­ten«.

      Die­ser Mann hat­te nichts zu er­zäh­len, nichts von sei­nem frü­he­ren Le­ben, nichts von Men­schen, die er ein­mal gern­ge­habt, nichts von sei­nen Ein­brü­chen, nichts von sei­nen oft­ma­li­gen, manch­mal er­folg­rei­chen Flucht­ver­su­chen, die ihn jetzt für den Rest sei­nes Le­bens in eine Ein­zel­zel­le ge­führt hat­ten. Nein, meist gin­gen wir stumm ne­ben­ein­an­der­her, wech­sel­ten ein paar Wor­te über den un­zu­rei­chen­den Schwei­ne­fraß und schwie­gen wie­der. Und doch ging ich gern mit die­sem fins­te­ren, ver­bit­ter­ten Mann. Wohl, weil ich fühl­te, dass er je­nes win­zi­ge biss­chen Ge­fühl, ohne das wohl kaum ein Mensch le­ben kann, an mich ge­hängt hat­te, in sei­ner fins­te­ren Art na­tür­lich. Bot er mir doch so­gar von sei­nem Ta­bak an – und der war doch für ihn, den lei­den­schaft­li­chen Rau­cher, im­mer knapp!

      Am Sonn­tag spiel­ten wir bei­de manch­mal Schach mit­ein­an­der. Auch da­bei war er zank­süch­tig und recht­ha­be­risch, woll­te einen falschen Zug im­mer wie­der zu­rück­neh­men, er­laub­te mir aber nicht, einen an­de­ren Stein zu zie­hen, wenn ich erst ein­mal eine Fi­gur be­rührt hat­te. Oft warf er in jä­hem Zorn die Fi­gu­ren auf dem Schach­brett durch­ein­an­der, mich fins­ter an­fun­kelnd und be­schimp­fend. Dann stopf­te er sich eine neue Pfei­fe, stell­te die Fi­gu­ren wie­der auf und be­gann gleich­mü­tig, als sei nichts ge­sche­hen, eine neue Par­tie.

      Ge­nos­sen schon die­se drei Spa­zier­ka­me­ra­den den schlimms­ten Ruf bei der Ver­wal­tung, so brach­te mich mein vier­ter Ge­sell­schaf­ter, der Schus­ter Buck, erst recht in ein bö­ses Licht. Oben sag­te man sich: Aus de­nen, mit de­nen du um­gehst, wer­den wir se­hen, wer du bist – und das schlim­me Ur­teil, das bald alle, vom Wacht­meis­ter bis zum Me­di­zi­nal­rat, über mich fäll­ten, habe ich nur mei­ner Un­ge­schick­lich­keit bei der Wahl mei­ner Ge­fähr­ten zu dan­ken.

      Zu mei­ner Ent­schul­di­gung kann ich nur an­füh­ren, dass die­se vier wirk­lich die ein­zi­gen wa­ren, mit de­nen man sich auf mei­ner Sta­ti­on wirk­lich ein­mal et­was er­zäh­len konn­te. Hät­te ich auf sie ver­zich­tet, hät­te ich tag­aus, tagein ohne ein mensch­li­ches Wort her­um­trot­ten müs­sen, und das war mehr, als man von mir ver­lan­gen konn­te. Ich habe nie gut in mei­nem Le­ben al­lein sein kön­nen, schon in den be­hag­li­chen Um­stän­den drau­ßen war ich be­un­ru­higt, wenn Mag­da auch nur zwei Tage ver­reist war – wie hät­te ich un­ter die­sen so ver­än­der­ten, schwe­ren Le­bens­ver­hält­nis­sen mein schwe­res Da­sein er­tra­gen kön­nen – ewig ganz al­lein?

      Ich bin ge­warnt wor­den, ich gebe es zu, aber kei­ne War­nun­gen konn­ten mich von et­was zu­rück­hal­ten, was mir le­bens­not­wen­dig er­schi­en. Heu­te gel­te ich im gan­zen Bau auch als ein »Feind der Ver­wal­tung« und wer­de ent­spre­chend be­han­delt, ob­gleich ich nie et­was ge­gen die­se Ver­wal­tung ge­tan habe. Frei­lich, dass ich nicht ge­ra­de wohl­wol­lend über sie den­ke, geht aus dem Ge­schrie­be­nen und noch zu Schrei­ben­den her­vor.

      Was mich ei­gent­lich zu dem Schus­ter Buck zog, weiß ich selbst nicht. Er war ein un­ge­bil­de­ter, selbst­ge­fäl­li­ger, ab­sto­ßen­der Mensch, ein fei­ger Int­ri­gant, alle hass­ten ihn. Aber auch alle, selbst mei­ne an­de­ren drei Spa­zier­ge­fähr­ten, die doch in ih­rem Hass ge­gen die Ver­wal­tung mit ihm ei­nes Sin­nes wa­ren. Sie spra­chen aber nie auch nur ein Wort mit ihm.

      Schus­ter Buck – er war drau­ßen Schus­ter ge­we­sen und war es nun auch drin­nen – ver­si­cher­te


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