Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
war rasch, zielsicher, schön. Wie er redete, und seine dunklen Augen leuchteten dabei, wie er auch dem belanglosesten Wort Reiz und Liebenswürdigkeit zu geben vermochte, das war in diesem Elendsmilieu einfach hinreißend.
›Wie kommt dieser junge Gott in solche Hölle?‹, fragte ich mich. Und laut: »Ein Zugang?«
»Nein«, wurde mir geantwortet. »Das ist der Gefangene, der acht Wochen wegen einer Schlägerei im Arrest gesessen hat!« Ich konnte es nicht glauben, ich wollte es nicht. Ich bin später manchmal für kurze Minuten auf dem Gang der Station oder im Grasgarten mit Hans Hagen spazieren gegangen und habe mit immer neuem Entzücken seinem Geplauder gelauscht, sei es nun, dass er von seinen Jugendstreichen in Rochester berichtete – er war jahrelang in England erzogen – oder dass er von seinen kühnen Segelfahrten bis zum Nordkap hinauf berichtete. Seiner Erzählung mir gegenüber nach hat ihm diese Leidenschaft fürs Segeln den Hals gebrochen, er kaufte sich immer größere und schönere Jachten und scheint bei der letzten Jacht einen Versicherungsbetrug begangen zu haben, der ihn mit dem Gesetz in Konflikt, zuerst ins Gefängnis und dann in dieses traurige Haus brachte. Wie gesagt, dies war die Version, die er ganz beiläufig und leichthin mir erzählte.
Wie ich später erfuhr, war er anderen Gefangenen gegenüber offenherziger und ehrlicher gewesen. Er war einer von drei Söhnen eines Rostocker Kaufmanns, der ein sehr gutes Sportartikelgeschäft besaß, eines vermögenden Mannes, der seinen Söhnen eine gute Erziehung geben konnte. Aber mit dem Jüngsten, eben dem Hans, wollte und wollte es nicht gut gehen. Schon in seiner Gymnasialzeit machten Vorkommnisse in der Stadt seine eilige Entfernung aus Deutschland und seine Reise nach England notwendig. Auch dort scheint er nicht gerade ein solides, der Arbeit geweihtes Leben geführt zu haben; mir erzählte er von nächtlichen Ausbrüchen aus Rochester in die Vorstädte Londons und war er gut gelaunt, sang mir Hans Hagen leise, mit hübscher Tenorstimme, kleine Negerlieder vor, die er dort in den Bars und auf den Tanzdielen aufgeschnappt hatte. Auf Englisch natürlich – aber ich fand es doch hübsch, welche Mühe er sich gab, mich zu unterhalten und aufzuheitern.
Endlich nach Rostock wieder heimgekehrt, widmete er sich offiziell dem Studium der Medizin, in Wirklichkeit aber entdeckte er seine Leidenschaft für die See und das Segeln. Er kaufte sich seine erste Jacht, und ich glaube kaum, dass es sein Vater war, der diesen Kauf finanzierte. Auch ein gut gehendes Sportartikelgeschäft kann nicht für einen Sohn von Dreien Zehntausende aufwenden, denn die Jacht war ja nur ein Mittel zum Zweck: Hans Hagen wollte auf ihr auch gut leben, mit seinen Freundinnen weite, kostspielige Reisen machen, im Heimathafen jede Nacht ausgehen und nie nach dem Gelde sehen.
In dieser Zeit entdeckte er, wie leicht ein gut aussehender junger Mann der guten Gesellschaft Geschäfte machen kann, auch wenn er keinen Pfennig Geschäftskapital besitzt. Er makelte Häuser, besorgte Effekten, vermittelte Autos, schloss Lebensversicherungen ab, ließ sich Provisionen von rechts und von links geben. Sein glänzender, findiger, blitzschneller Kopf ließ ihn jede Gelegenheit zu guten Geschäften ausspähen, rasch handeln. Bedenkenlos benutzte er seine Gewalt über Frauen, es gab auch nicht viele Männer, die seinem Charme widerstehen konnten.
Aber mit den reichlich fließenden Einnahmen stiegen auch seine Bedürfnisse; immer lagen sie einen Schritt vor den Einnahmen, und seine Kasse war immer leer. Er aber wusste nur eines: Dass er dieses ihm allein zusagende Leben des Genusses um jeden Preis fortsetzen wollte, immer unbedenklicher wurde er in der Wahl der Mittel, die ihm Geld verschaffen mussten: Er stahl Autos von der Straße, vergriff sich sogar an den Handtaschen mit ihm tanzender Damen – kurz, er wurde ein Hochstapler und ein Dieb. Lange konnte das nicht gut gehen.
Ein erster Fall wurde vertuscht, da er doch der Sohn eines angesehenen Vaters war, ein zweiter brachte ihn ins Gefängnis und aus dem Gefängnis in dieses traurige Haus, in dem er schon sechs Jahre lebte.
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Sechs Jahre – ich wollte meinen Ohren nicht trauen! Dieser junge Mann lebte schon sechs lange Jahre in dieser trostlosen Umwelt, und er hatte sich alle Spannkraft und allen Zauber der Jugend bewahrt! Nichts von der hoffnungslosen Trauer, nichts von dem hässlichen Neid hier hatte auf ihn abgefärbt, wie ein flüchtiger Gast wirkte er, eben erst gekommen, schon wieder im Begriff zu gehen, allen Zauber blühender Welt um sich! Welche Kräfte mussten in diesem Hans Hagen wirken, welche unzerstörbaren Energien, dass ein Mann nach diesen sechs Jahren, nach acht Wochen scharfen Arrestes noch immer nichts von seiner Kraft verloren, noch immer den Schimmer der großen Welt mit sich trug! Es war mir ein Rätsel, ich war schon von ein paar Tagen Aufenthalt hier völlig zermürbt und niedergedrückt. Ich habe später lange über Hans Hagen nachgedacht, und ich glaube, ich habe die Gründe gefunden, die ihn so unverändert stark sein ließen.
Zum Ersten drang nichts tief in ihn ein, so konnte ihn auch nichts tief verletzen. Er lebte so auf der Oberfläche, seine glänzende Begabung lockte ihn hierhin und dorthin, immer betätigte er sich, aber nichts tat er. Er konnte alles, auch hier im Bau, den Wachtmeistern machte er »Fassonschnitt«, er schnitt ihnen die Haare auf eine ungewohnt kühne, elegante Art, er mauerte besser als ein Maurer, er gab Unterricht in Stenografie, Englisch, Französisch, Russisch, er arbeitete schwer in der Fabrik, er tischlerte und hatte auch schon die Schweine versorgt – er konnte alles, aber er konnte alles auf eine unverbindliche, schillernde Art, er war die Unzuverlässigkeit in Person, nichts haftete.
Aber der Hauptgrund seiner Unveränderlichkeit, seiner unbesiegbaren Jugend war der, dass er hier im Totenhaus eigentlich kaum anders lebte als draußen. Gewiss, die Umwelt hatte sich verändert, aber Hans Hagen nicht mit ihr. Wenn er draußen die Frauen bezaubert hatte, so hier die kranken Männer. Auch den Stumpfesten ließ er nicht außer Acht, er ruhte nicht, bis ein Schimmer seines Charmes ihn berührt hatte. Es war einfach lächerlich, wie sie alle aufblühten, wenn er mit ihnen sprach.
Ich sehe sie noch zusammenstehen: den fetten Mecklenburger Bauern Reddemin, den sie wegen Querulantentums in diesem Haus untergebracht hatten, Bezieher unwahrscheinlicher Fettpakete, und Hans Hagen, der sich einmal selbst in einem unbedachten Augenblick als »Tangojüngling« bezeichnet hatte. Gegensätzlicheres war schlechthin nicht denkbar. Es schien keine Brücke zwischen den beiden zu geben: dem flachen Genussmenschen und dem zähen, alten, fast siebzigjährigen Bauern mit dem Bullenkopf, den das unermüdliche Beharren auf einem vermeintlichen Recht in diese Mauern