Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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bringt … Er hat doch den Na­men des Füh­rers miss­braucht!«

      Der Schau­spie­ler sah den über­le­ge­nen, spöt­ti­schen An­walt hil­fe­fle­hend an. »Aber es muss doch was ge­sche­hen in mei­ner Sa­che, Er­win!«, sag­te er schließ­lich. »Ich will doch ar­bei­ten! Und der Go­eb­bels hin­dert mich zu Un­recht dar­an!«

      »Ja«, sag­te der An­walt. »Ja!« Und schwieg wie­der. Als aber Har­t­ei­sen ihn so er­war­tungs­voll an­sah, fuhr er fort: »Du bist ein Kind, Max, ein rich­ti­ges groß ge­wor­de­nes Kind!«

      Der Schau­spie­ler, der stets viel von sei­ner Welt­läu­fig­keit ge­hal­ten hat­te, warf un­mu­tig den Kopf zu­rück.

      »Wir sind ja hier un­ter uns, Max«, fuhr der An­walt fort, »die­se Tür ist gut ge­pols­tert, wir kön­nen also of­fen mit­ein­an­der spre­chen. Du wuss­test es doch ei­gent­lich auch, we­nigs­tens ein ganz klein biss­chen, wie viel schrei­en­des, blu­ti­ges, herz­zer­rei­ßen­des Un­recht heu­te in Deutsch­land ge­schieht – und kein Hahn kräht da­nach. Im Ge­gen­teil, sie rüh­men sich noch laut ih­rer Schan­de. Aber weil der Schau­spie­ler Har­t­ei­sen ein ganz klei­nes Weh­weh­chen hat, ent­deckt er plötz­lich, dass Un­recht in der Welt ge­schieht, und schreit nach Ge­rech­tig­keit. Max!«

      Har­t­ei­sen sag­te nie­der­ge­drückt: »Aber was soll ich denn tun, Er­win? Es muss doch et­was ge­sche­hen!«

      »Was du tun sollst? Nun, das ist doch ganz klar! Du ziehst dich mit dei­ner Frau an einen hüb­schen Ort auf dem Lan­de zu­rück und hältst dich fein stil­le. Vor al­lem hörst du mit die­sem un­sin­ni­gen Ge­re­de über ›dei­nen‹ Mi­nis­ter auf und un­ter­lässt die Ver­brei­tung des Gö­ring-In­ter­views. Sonst kann es ge­sche­hen, dass dir der Mi­nis­ter noch et­was ganz an­de­res an­tut.«

      »Aber wie lan­ge soll ich denn da ta­ten­los auf dem Lan­de sit­zen?«

      »Die Lau­nen ei­nes Mi­nis­ters kom­men und ge­hen. Sie ge­hen auch, Max, sei si­cher. Ei­nes Ta­ges wirst du wie­der in Glanz und flo­ri­bus sein.«

      Der Schau­spie­ler schau­der­te. »Nicht das!«, bat er. »Nur nicht das!« Er stand auf. »Und du meinst wirk­lich nicht, dass du in mei­ner Sa­che et­was tun kannst?«

      »Nicht das Ge­rings­te!«, mein­te der An­walt lä­chelnd. »Es sei denn, du hät­test den Wunsch, als Mär­ty­rer für dei­nen Mi­nis­ter ins KZ zu ge­hen.«

      Drei Mi­nu­ten dar­auf stand der Schau­spie­ler Max Har­t­ei­sen im Trep­pen­haus des Bü­ro­ge­bäu­des und hielt ver­wirrt eine Kar­te in der Hand: »Mut­ter! Der Füh­rer hat mir mei­nen Sohn er­mor­det …«

      Um des Him­mels wil­len!, dach­te er. Wel­cher Mensch schreibt denn so was? Er muss wahn­sin­nig sein! Er schreibt sich ja um sei­nen Kopf! Un­will­kür­lich dreh­te er die Kar­te um. Aber dort stand kein Ab­sen­der oder Emp­fän­ger, son­dern: »Gebt die­se Kar­te wei­ter, dass vie­le sie le­sen! – Stif­tet nichts für das Win­ter­hilfs­werk! – Ar­bei­tet lang­sam, noch lang­sa­mer! Tut Sand in die Ma­schi­nen! Je­der Hand­schlag we­ni­ger ge­tan, hilft die­sen Krieg frü­her be­en­den!«

      Der Schau­spie­ler sah hoch. Lich­ter­glän­zend fuhr der Fahr­stuhl an ihm vor­bei. Er hat­te das Ge­fühl, dass vie­le Au­gen auf ihn sa­hen.

      Rasch steck­te er die Kar­te in die Ta­sche, und ra­scher noch riss er sie wie­der her­vor. Er woll­te sie schon auf die Fens­ter­bank zu­rück­le­gen – und Be­den­ken über­ka­men ihn. Vi­el­leicht hat­ten ihn die vom Fahr­stuhl aus hier ste­hen se­hen, die Kar­te in der Hand – und sein Ge­sicht kann­ten vie­le. Die Kar­te wur­de ge­fun­den, es fan­den sich wel­che, die be­ei­de­ten, er habe sie hin­ge­legt. Er hat­te sie ja wirk­lich hin­ge­legt, wie­der hin­ge­legt, hieß das. Aber wer wür­de ihm glau­ben, gra­de jetzt, wo er die­sen Streit mit dem Mi­nis­ter hat­te? Er hat­te so viel But­ter auf dem Kop­fe, und nun dies noch!

      Schweiß trat auf sei­ne Stir­ne, plötz­lich be­griff er, dass nicht nur der Kar­ten­schrei­ber, dass auch er in na­her Le­bens­ge­fahr war, er viel­leicht am meis­ten. Sei­ne Hand zuck­te; er woll­te die Kar­te hin­le­gen, er woll­te sie doch lie­ber fort­neh­men, er woll­te sie zer­rei­ßen, hier an Ort und Stel­le … Aber viel­leicht stand ei­ner oben auf der Trep­pe und be­ob­ach­te­te ihn? Er hat­te in den letz­ten Ta­gen schon ein paar­mal das Ge­fühl ge­habt, be­ob­ach­tet zu wer­den, er hat­te es für Ner­vo­si­tät ge­hal­ten, we­gen die­ser Ge­häs­sig­keit von Mi­nis­ter Go­eb­bels …

      Und viel­leicht war das Gan­ze eine Fal­le die­ses Man­nes, für ihn zu­recht­ge­baut, dass er sich ganz gründ­lich fing? Um al­ler Welt zu be­wei­sen, wie recht der Mi­nis­ter mit der Be­ur­tei­lung des Schau­spie­lers Har­t­ei­sen hat­te? O Gott, er war ja schon wahn­sin­nig, er sah Ge­s­pens­ter! Das tat doch ein Mi­nis­ter nicht! Oder tat er gra­de das?

      Aber er konn­te hier nicht ewig ste­hen blei­ben. Er muss­te sich ent­schlie­ßen; er hat­te jetzt kei­ne Zeit, an Go­eb­bels zu den­ken, er muss­te nur an sich den­ken!

      Er stürmt die hal­be Trep­pe wie­der hin­auf, nie­mand steht dort und be­ob­ach­tet ihn. Aber er klin­gelt schon beim Rechts­an­walt Toll. Er stürmt an der Vor­zim­mer­da­me vor­bei, er knallt die Kar­te auf den Tisch des An­walts, er ruft: »Da! Was ich hier eben im Trep­pen­haus ge­fun­den habe!«

      Der An­walt wirft nur einen kur­z­en Blick auf die Kar­te. Dann steht er auf und schließt sorg­fäl­tig die Dop­pel­tür sei­nes Bü­ros, die der Auf­ge­reg­te of­fen­ge­las­sen hat. Er kehrt zu sei­nem Schreib­tisch­platz zu­rück. Er nimmt die Kar­te wie­der auf und liest sie lan­ge und sorg­fäl­tig, wäh­rend Har­t­ei­sen auf und ab läuft und un­ge­dul­dig Bli­cke auf ihn wirft.

      Jetzt lässt Toll die Kar­te sin­ken und fragt: »Wo, sag­test du, hast du die Kar­te ge­fun­den?«

      »Hier auf der Trep­pe, eine hal­be Trep­pe tiefer.«

      »Auf der Trep­pe! Auf den Stu­fen also?«

      »Sei nicht so wort­klau­be­risch, Er­win! Nein, nicht auf den Stu­fen, son­dern auf der Fens­ter­bank!«

      »Und darf ich dich fra­gen, warum du mir die­ses rei­zen­de An­ge­bin­de auf mein Büro schlep­pen muss­test?«

      Die Stim­me des An­walts klingt schär­fer, der Schau­spie­ler sagt bit­tend: »Aber was soll­te ich denn tun? Die Kar­te lag da, ich habe sie ganz ge­dan­ken­los auf­ge­nom­men.«

      »Und warum hast du sie nicht wie­der zu­rück­ge­legt? Das wäre doch das Selbst­ver­ständ­lichs­te ge­we­sen!«

      »Ein Fahr­stuhl fuhr an mir vor­bei, wäh­rend ich las. Ich hat­te das Ge­fühl, be­ob­ach­tet zu wer­den. Mein Ge­sicht ist so be­kannt.«

      »Noch bes­ser!«, sag­te der An­walt bit­ter. »Und dann bist du ver­mut­lich mit die­ser Kar­te of­fen in der Hand zu mir ge­lau­fen?« Der Schau­spie­ler nick­te düs­ter. »Nein, mein Freund«, sag­te Toll ent­schlos­sen und hielt ihm die Kar­te wie­der hin, »bit­te, nimm sie wie­der. Ich will da­mit nichts zu schaf­fen ha­ben. Wohl­ge­merkt, du kannst dich nicht auf mich be­ru­fen. Ich habe die­se Kar­te nie ge­se­hen. Nimm sie doch end­lich wie­der!«

      Har­t­ei­sen starr­te den Freund


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