Im Sonnenwinkel Staffel 5 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Im Sonnenwinkel Staffel 5 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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Katjas Mutter, dass Bambi nicht die geringste Sympathie für sie hegte, und das stimmte sie Katjas wegen besorgt.

      *

      Malwine war selbst nach diesem ereignisreichen Tag früh auf den Beinen. Sie brauchte nicht viel Schlaf, und heute wurde sie von einer ganz besonderen Unruhe getrieben.

      Leise betrat sie das Schlafzimmer des Seniors, und auch er schlief nicht mehr.

      »Gib mir meine Tropfen«, bat er.

      Malwine erschrak vor der wächsernen Blässe seines Gesichts. Ihre Finger zitterten, als sie die Tropfen gewissenhaft in das Glas zählte.

      »Auf ein paar mehr oder weniger kommt es nicht mehr an«, sagte Sebastian Roden. »Bring mir den Brief aus meiner Schreibtischschublade, meine Gute.«

      Malwine tat, wie ihr geheißen. Sie starrte auf den Brief, die fremde Marke, die unbekannte Schrift. Sie wusste, dass dieser Brief schon vor zwei Tagen gekommen war, und ein beklemmendes Gefühl legte sich ihr aufs Herz, weil er noch ungeöffnet war.

      »Muss das denn so früh sein?«, fragte sie.

      »Es ist an der Zeit«, murmelte der Kranke. »Du kannst jetzt gehen. Und binde es den Kindern nicht gleich auf die Nase, dass ich schon munter bin.«

      Malwine warf ihm einen langen Blick zu. Sie blieb noch eine Weile an der Tür stehen, als sie dann in die Küche ging, rannen ihr die Tränen über die Wangen.

      Katja wollte sich an diesem Morgen keinen trüben Gedanken hingeben. Als sie erwachte, spürte sie eine Hand an ihrer Wange, und als sie ihren Kopf zur Seite drehte, blickte sie in Jans dunkle Augen. Im nächsten Moment lagen seine Lippen an ihrem Ohr.

      »Wie fühlt man sich als Frau Roden?«, fragte er weich.

      »Sehr geborgen«, erwiderte Katja.

      »Das ist schön. Es soll immer so bleiben.«

      Er hatte es kaum ausgesprochen, als ein Poltern zu vernehmen war.

      Katja fuhr mit schreckgeweiteten Augen empor. Sie saß wie erstarrt, als dann ein Schluchzen zu vernehmen war, aber Jan war schon an der Tür.

      Wie in Trance stand nun auch Katja auf und griff nach ihrem Morgenmantel. Blindlings taumelte sie die Treppe hinauf zu Sebastian Rodens Zimmer.

      Sie sah alles nur verschwommen, Malwine am Bett kniend, das Tablett am Boden, die zerbrochene Kanne, um die der Tee eine Lache gebildet hatte.

      Sie sah Jans versteinertes Gesicht und wagte nicht, in das seines Vaters zu blicken.

      Dann trat Jan auf sie zu und nahm sie in den Arm.

      »Katja«, flüsterte er, »Vater ist …«

      »Nein!«, schrie sie auf. »Nein, nein!« Dann taumelte sie auf das Bett zu und sank neben Malwine in die Knie. Sie war in diesem Augenblick nichts als ein hilfloses, verstörtes Kind.

      Sie merkte nicht, was um sie herum vor sich ging, dass Jan telefonierte, Malwine sich aufraffte und die Scherben wegräumte und den Tee auftupfte. Sie sah nicht, dass ein Bogen Papier zu Boden flatterte, den Jan dann aufhob. Sie stammelte unzusammenhängende Worte, und ihre Augen waren blind von Tränen.

      Jan hob sie empor und trug sie zu ihrem Bett zurück.

      »Es ist nicht wahr! Sag, dass es nicht wahr ist, Jan!«, flüsterte Katja mit erstickter Stimme.

      »Wir werden uns damit abfinden müssen, Kleinchen«, erwiderte er heiser, »so weh es auch tut.«

      Minutenlang hielten sie sich stumm umschlungen. Dann schlug der Gong an.

      »Der Arzt kommt«, sagte Jan. »Bitte, bleib jetzt liegen, Katja.«

      *

      Es ist nur ein Traum, ein schrecklicher Traum, dachte Katja unentwegt. Irgendwann werde ich erwachen und Vater wird wieder bei uns sitzen.

      Aber es war kein Traum, und die Wirklichkeit war voller Hektik. Einmal hörte sie, wie Malwine zu Jan sagte: »Der Brief war schuld.« Aber sie wusste nicht, welcher Brief gemeint war. Ihr Kopf war leer. Sie konnte gar nichts mehr denken, auch nicht, dass gestern erst ihr Hochzeitstag gewesen war.

      Sie wusste nicht, wie die Stunden vergingen, wer das Haus betrat und wieder verließ, und als Malwine ihr liebevoll zuredete, dass sie etwas essen müsse, schüttelte sie nur den Kopf.

      Es war später Vormittag, als Gerlinde Reck durch das Läuten des Telefons geweckt wurde. Sie erhob sich und ging in die Diele. Michael hatte den Hörer am Ohr.

      »Das ist entsetzlich«, hörte sie ihn sagen. »Ja, ich komme, Jan.«

      »Was ist entsetzlich?«, fragte sie schrill.

      »Sebastian ist tot«, erwiderte er deprimiert.

      »Ein schöner Anfang für eine Ehe!«, stieß sie hervor. »Aber er hat es ja nicht anders gewollt.«

      »Sonst hast du nichts zu sagen?«, fragte Michael.

      »Er war todkrank, das konnte man doch sehen. Es war doch eine Hochzeit in Begräbnisstimmung.«

      »Aber er hat sie noch erlebt und war glücklich.«

      »Wie deiner Schwester jetzt zumute sein mag, bedenkst du wohl nicht?«, fragte Gerlinde.

      »Katja wird um Onkel Sebastian trauern«, sagte Michael. Dann ging er zur Tür.

      *

      »Wach auf, Heinz!«, rief Liliane und rüttelte den Schlafenden. »Es ist ein Telegramm gekommen.«

      »Die Geldanweisung?«, fragte Heinz Roden gähnend.

      »Dein Vater ist gestorben,«

      Sekundenlanges Schweigen folgte. Langsam richtete Heinz sich auf.

      »Ohne Geld kann ich nicht mal zur Beerdigung fahren«, bemerkte er.

      »Das Geld wird überwiesen«, erklärte Liliane.

      »Von wem ist das Telegramm?«

      »Von deinem Bruder.«

      Heinz fuhr sich mit der Hand durch das Haar.

      »Er wird sich jetzt bemühen müssen, mit mir auszukommen«, sagte er.

      Liliane runzelte die Stirn.

      »Bist du nicht zu sicher? In vier Wochen kann viel geschehen. Nun musst du sehr schnell gesund werden, mein Lieber.« Sie betrachtete ihn lauernd. »Wenn du allerdings so wie heute aussiehst, wird man dir eine Krankheit wohl glauben müssen.«

      »Ich werde eben jeden Tag einen Kater haben«, entgegnete er. »Dann werden wir mal so langsam starten, Li.«

      *

      Als Stella das Kuvert mit dem schwarzen Rand aus dem Briefkasten nahm, stockte ihr der Atem. Jörg war am Tag zuvor nach England geflogen. Zu ihm konnte sie sich jetzt nicht flüchten in der Beklemmung ihres Herzens.

      Arme Katja, dachte sie.

      Als Bambi aus der Schule kam, wussten es bereits alle. Inge Auerbach sagte es ihr erst, nachdem sie zu Mittag gegessen hatte.

      Ungläubig blickte Bambi ihre Mami an. Ihre Lippen zuckten. Schnell wandte sie sich ab und lief in ihr Zimmer. Dort fand Inge sie an ihrem Schreibtisch sitzend. Sie weinte still in sich hinein.

      Zärtlich streichelte Inge das gesenkte Köpfchen.

      »Nun kann uns Onkel Sebastian nicht mehr besuchen«, schluchzte Bambi. »Er wäre so gern gekommen. Ich habe doch so gebetet, Mami.«

      Manchmal nützten alle Wünsche und Gebete nichts, aber wie sollte dies ein sechsjähriges Kind begreifen, das so tiefer Gefühle fähig war?

      »Es ist auch für Katja so traurig«, flüsterte Bambi. »Sie hat doch keine liebe Mami, die sie tröstet.«

      »Katja hat ihren Mann«, sagte Inge Auerbach.

      Aber auch Jan konnte Katja nicht trösten,


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