Im Sonnenwinkel Staffel 5 – Familienroman. Patricia Vandenberg
ich habe noch nicht viel Kraft darin.«
»Richtig kaputtgebrochen?«, fragte Steffi mitleidig. »Das tut doch weh.«
»Jetzt nicht mehr«, antwortete Veronica, »aber ich muss ihn noch schonen.«
»Tut mir aber sehr leid«, versicherte Martina. »Jill kann auch mal laufen. Hörst du, Jill, Veronica hat einen schlimmen Arm.«
»Wo?«, fragte die Kleine.
Veronica zeigte die Narbe, die von der Operation zurückgeblieben war.
»Wehweh«, flüsterte Jill, »heile Kätzchen heile machen.«
»Tut mir sehr leid«, meinte Steffi. Jill pustete schon kräftig. »Bei ihr hilft’s immer, wenn sie hinfällt«, erklärte Steffi.
»Macht Papi auch«, sagte Jill, und dann streichelte sie den Arm auch noch.
Veronica wurde es ganz seltsam ums Herz. Da kamen drei fremde Kinder in ihr Haus und waren gleich so zutraulich. Sie selbst hatte nie viel Gelegenheit gehabt, sich mit Kindern zu befassen, und empfand sie doch nicht als Last. Ja, es war ihr viel leichter, wenn sie daran dachte, dass diese Kinder nun lange um sie sein würden.
Doch dann nahte Arndt.
»Wir müssen wieder starten«, erklärte er. Nur flüchtig sah er Veronica an. »Anfang nächster Woche werden wir kommen. Ich habe noch allerlei zu regeln.«
»Können wir nicht gleich hierbleiben, Papi?«, fragte Steffi bittend. »Wegen Veronica können wir es schon. Sie hat es gesagt.«
»Das geht doch nicht«, entgegnete Arndt gepresst.
»Warum nicht?«, fragte Veronica. »Wenn Sie uns die Kinder anvertrauen.«
»Das wäre doch wohl eine Zumutung«, murmelte er.
»Das finde ich nicht«, erwiderte Veronica. »Wir können uns gleich aneinander gewöhnen.«
»Das ist wohl schon geschehen«, stellte er fest, und seine Stimme klang verwundert. »Ich kann nur staunen. Die Kinder können ziemlich bockig sein.«
»Stimmt doch nicht«, warf Martina ein. »Ist doch nur die Griebel schuld, weil wir gar nicht richtig spielen können.«
»Will bei meine Rom bleiben!«, verlangte Jill kategorisch. »Ist lieb mit Jill. Hat bloß wehen Arm. Habe aber puste, puste gemacht.«
»Bitte, Papi, lass uns hier!«, bat Steffi. »Sonst müssen wir noch mal so weit fahren.«
»Mag ich auch nicht«, half Martina ihrer Schwester.
»Ich bin sprachlos«, sagte Arndt.
*
Nun hatten sie drei Kinder im Haus, deren Vater sich dem Bitten gebeugt hatte.
Otti hatte die beiden Gästezimmer hergerichtet, die Betten frisch bezogen und noch einmal Staub gewischt, obgleich eigentlich keiner zu finden war, denn sie war immer sehr eigen gewesen.
»Na, Tante Otti, wie finden wir das?«, fragte Veronica lächelnd.
»Mir ist alles recht, wenn du wieder lachst«, entgegnete Ottilie. »Komisch ist es schon, Dr. Baldung ist ein netter Herr. Ist ja ein Jammer, wenn Kinder so früh ihre Mutter verlieren.«
»Hat er etwas über sie gesagt?«, fragte Veronica.
»Kein Wort.«
Und die Kinder hatten ihre Mutter auch noch mit keinem Wort erwähnt. Es war wirklich merkwürdig. Ihrem Vater weinten sie auch nicht nach.
»Papi kommt ja bald«, hatte Martina nur erklärt, als Jill ihn vordem Einschlafen doch vermisste. »Die Griebel wird staunen.«
Sie waren sehr zufrieden und auch sehr brav. Veronica hatte nicht den geringsten Grund zur Klage.
Steffi und Martina waren schon sehr selbständig, und auch Jill hatte den Grießbrei, den Ottilie bereitet hatte, sehr manierlich mit dem Löffel gegessen. »Smeckt gut«, hatte sie immer wieder beteuert.
Und nun schliefen sie, drei blonde Engel, die Veronicas Leben plötzlich reich gemacht hatten.
»Ich glaube, etwas Besseres hätte uns gar nicht passieren können«, sagte Ottilie später zu ihrem Mann. »Unsere Veronica kann wieder lachen.«
»Wenn sie mir bloß nicht die Blumenbeete zertrampeln«, brummte Paul.
»Dann bist du wenigstens immer beschäftigt«, lachte seine Frau. »Tu nicht so grimmig, ich kenne dich doch. Du hast sie doch auch schon ins Herz geschlossen, dieses Dreimäderlhaus.«
*
Frau Griebel war tatsächlich sprachlos, als Arndt ohne die Kinder zurückkam, und noch mehr, als er ihr erklärte, dass er von der nächsten Woche an ihrer Dienste nicht mehr bedürfe. Selbstverständlich würde er ihr das Gehalt bis zum gesetzlichen Kündigungstermin zahlen.
Sie äußerte sich empört darüber, dass er seine Kinder bei völlig fremden Leuten gelassen hatte, wo sie sich doch für sie aufgeopfert hatte.
»Sie sind dort gut aufgehoben«, erklärte er, und er staunte selbst, wie überzeugt er davon war.
Es war schon eigenartig und irgendwie war er sogar eifersüchtig, dass alle drei sich im Handumdrehen diesem jungen Mädchen zugewandt hatten, von dem er selbst gar keinen richtigen Eindruck gewonnen hatte.
Wie hatte er die Kinder nur einfach dortlassen können! Er machte sich nachträglich Gewissensbisse und spürte erst jetzt, wie müde, ja fast gleichgültig er geworden war. Und dabei liebte er seine Kinder doch über alles. Es ging doch gar nicht an, dass er nur eine nebensächliche Rolle in ihrem Leben spielte.
Er suchte die Telefonnummer heraus, die er notiert hatte, und rief in der Villa Hellwege an.
Es meldete sich Veronica. Sie nannte nur ihren Vornamen. Die Kinder schliefen längst, sagte sie. Sie hätten gut gegessen und wären sehr brav gewesen.
Ob sie mich gar nicht vermissen, fragte er sich und fühlte einen stechenden Schmerz.
Sie waren alles, was ihm geblieben war neben seiner Arbeit, und nun schenkten sie diesem fremden Mädchen so rasch eine tiefe Zuneigung, wie sie sie bisher nur ihm entgegengebracht hatten.
Innerlich lehnte er sich dagegen auf, und fast bereute er es, sich für dieses Haus entschieden zu haben, das ihm doch wie ein Paradies erschienen war. Alles hatte zwei Seiten.
Und dabei sollte ich froh sein, nicht wieder eine Betreuerin für die Kinder suchen zu müssen, dachte er, bevor er einschlief.
*
Für Veronica begann der werdende Tag köstlich. Ein kleines Etwas krabbelte in ihr Bett, schlang die Arme um ihren Hals, und ein feuchtes Lippenpaar drückte sich an ihre Wange.
»Jill ist wach«, flüsterte das Stimmchen. »Wollte gucken, ob du da bist.«
Veronica hatte es so eingerichtet, dass Jill im Zimmer neben ihr schlief. Sie meinte, dass man ein so kleines Kind auch nachts nicht ohne Aufsicht lassen könne, und hatte die Verbindungstür aufgelassen.
Und nun war Jill putzmunter da, kuschelte sich an sie, suchte ihre Nähe, wohl auch die Wärme, und jauchzte leise.
Sie war ein süßes Geschöpfchen. Sie hatte blondes Haar, wie ihre Schwestern auch, aber sie hatte dunkle Augen, während Steffis und Martinas die gleiche Farbe hatten wie die ihres Vaters.
Wie mochte die Mutter dieser Kinder ausgesehen haben, wie mochte sie gewesen sein, überlegte Veronica. War sie gestorben, oder war die Ehe geschieden?
Seltsamerweise konnte sie sich das letztere nicht vorstellen. Arndt Baldung war einfach nicht der Typ, den man mit einer Scheidung in Einklang bringen konnte.
Wieso eigentlich nicht, fragte sich Veronica beklommen. Nach einer so kurzen Bekanntschaft konnte man das doch wahrhaftig nicht feststellen, und außerdem hatte er sie kaum beachtet. Ja, es wurde ihr bewusst, dass er an ihr