Im Sonnenwinkel Staffel 5 – Familienroman. Patricia Vandenberg
versank in Schweigen, aber sie fühlte, dass er sie unausgesetzt betrachtete.
Sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte, und sie ahnte auch nicht, wie anmutig sie in dieser plötzlichen Hilflosigkeit wirkte.
»Wir lieben die Kinder«, stammelte sie.
»Ja, das weiß ich, und dafür bin ich sehr dankbar«, bemerkte er mit weicher Stimme. »Allein dieser Gedanke hilft mir. Ich kann Ihnen jetzt nicht mehr sagen. Wenn ich Sie nur darum bitten dürfte, sich als Hausherrin zu betrachten. Es ist mir sehr peinlich …« Jetzt wusste er nicht mehr weiter. »Wollen wir nicht ins Wohnzimmer gehen?«, fragte er.
»Ich bin gern hier«, meinte Veronica.
»Ich habe als Kind oft bei meinem Vater auf dem Schreibtisch gesessen. Hausherrin war ich noch nie. Das war meine Mutter. Ich war lange fort von hier. Zu lange fast.«
»Setzen wir uns doch«, sagte Arndt. »Nun sind wir einmal im Erzählen. Es tut mir ganz wohl, wenn ich mal Gesellschaft habe.«
»Sie sollen sich jetzt aber nicht veranlasst fühlen, mich auf andere Weise zu akzeptieren«, äußerte Veronica verhalten. »Sie haben das Haus gemietet.«
»Und Ihnen gehört es«, erklärte er wieder mit dem Anflug eines Lächelns. »Es ist schon eine komische Situation.«
»Ich hätte verkaufen müssen, wenn ich keinen Mieter gefunden hätte«, fuhr Veronica leise fort. »Ich dachte, dass ich jetzt Geld verdienen könnte. Das ist vorbei. Natürlich kann ich mir einen anderen Beruf suchen, aber es fiel mir schwer, mit Menschen zusammen zu sein.«
»Jetzt sind Sie es, und Sie machen drei Kinder glücklich«, bemerkte Arndt.
»Das ist auch für mich schön«, flüsterte sie. »Sie ahnen nicht, was es für mich bedeutet.«
Versunken schwiegen sie eine Weile. Dann erhob sich Veronica und wünschte eine gute Nacht. Schon streckte sie ihm die Hand entgegen.
»Es soll sich nichts ändern, und die Kinder brauchen nicht zu wissen, wer ich bin«, bemerkte sie leise.
Er ergriff ihre Hand, neigte sich tief darüber und zog sie an seine Lippen.
»Ich habe Ihnen sehr viel zu danken«, sagte er mit belegter Stimme. »Es ist gut, wenn man in dieses Haus zurückkehren kann.«
Wie sollte sie nun diese Äußerung deuten? Am besten war es, sie schaltete jetzt alle Gedanken aus, sonst konnte sie nicht ruhig schlafen.
*
Veronica hörte Stimmen aus dem Bad, das an die Kinderzimmer angrenzte. Steffi und Martina waren schon auf, und die Tür stand offen.
Veronica wollte sich mit einem fröhlichen Morgengruß bemerkbar machen, aber erschrocken blieb sie stehen.
Steffi drehte ihr den Rücken zu, und sie sah eine lange rote Narbe, die sich vom Schulterblatt bis zur Wirbelsäule hinzog. Nur mit Mühe konnte sie einen ängstlichen Ausruf unterdrücken. Instinktiv wich sie zur Tür zurück und lehnte schwer atmend an der Wand.
Endlich hatte sie sich soweit gefasst, dass sie sich bemerkbar machen konnte.
»Seid ihr schon auf?«, rief sie ziemlich laut.
Martina erschien in der Tür.
»Die Sonne scheint«, lachte sie, und dann flog sie Veronica in die Arme. »Schauen wir uns heute mal die Felsenburg an? Du hast es uns versprochen, Roni.«
Steffi hatte ihren Bademantel an, als sie herauskam.
»Ja, bitte, Roni«, sagte auch sie.
»Wenn der Papi es erlaubt«, erwiderte Veronica, aber sie musste immerzu an die Narbe auf Steffis Rücken denken.
Sie hatte das Kind noch nie nackt gesehen. Steffi hatte immer allein gebadet und sich angekleidet. Hing diese Narbe mit der schweren Krankheit zusammen?
Mama war schuld daran, hatte Martina gesagt, und wieder vermeinte Veronica das angstvolle Weinen in jener Nacht zu hören, in der Steffi bei ihr geschlafen hatte. »Geh weg, du tust mir weh«, hatte das Kind gerufen.
Konnte eine Mutter ihrem Kind so grausam weh tun, dass eine Narbe ein Leben lang daran erinnern würde? Absichtlich weh tun? Diese Frau mit dem schönen Gesicht?
»Was denkst du, Roni? Warum bist du so ernst?«, fragte Martina. »Machst du dir Gedanken, dass Papi nichts redet? Er ist immer so, wenn er von der Reise zurückkommt. Er wird es uns bestimmt erlauben, dass wir uns die Felsenburg anschauen.«
Veronica verriet nichts von den schweren Gedanken, die sie bewegten. Sie zwang sich zu einer heiteren Miene.
Arndt stimmte nicht nur zu, sondern erklärte, dass er sie begleiten wolle. Die Kinder waren erst sprachlos, dann jubelten sie.
Veronica warf ihm einen erstaunten Blick zu, den er aber nicht zu bemerken schien.
Sie fuhren in seinem Wagen. Ohne erst dazu ermahnt zu werden, nahmen die Kinder auf dem Rücksitz Platz. Auch Jill.
»Ich habe es ihnen beizeiten angewöhnt. Hinten sind sie sicherer«, sagte Arndt beiläufig.
Stets war er um die Sicherheit seiner Kinder besorgt. Wie mochte ihm damals wohl zumute gewesen sein, als jenes Unerklärliche, Rätselhafte geschah? Warum war es geschehen, und hatte er sich darum von seiner Frau getrennt?
Veronica schaute zum Fenster hinaus, um nur ja nicht in die Versuchung zu geraten, ihn anzublicken. Aber allein seine Nähe irritierte sie, und sie wurde sich bewusst, dass sie sich viel mehr mit ihm beschäftigte, als für sie gut war.
»Otti hat gesagt, dass wir uns an Herrn von Roth wenden müssen, wenn wir die Burg besichtigen wollen«, bemerkte sie. »Er wohnt im Sonnenwinkel. Komisch, ich kenne diese neue Siedlung gar nicht. So lange war ich fort von daheim.«
Und da tauchten Erlenried und der Sonnenwinkel schon vor ihren Augen auf.
»Das ist ja zauberhaft«, rief Veronica aus. »Endlich mal Häuser, die auch in die Landschaft passen, nicht solche Betonbauten.«
»Unser Haus ist noch viel schöner«, erklärte Martina eifrig.
»Es ist nicht unser Haus, Tini«, sagte Arndt mahnend.
»Kannst du es nicht kaufen, Papi?«, fragte Steffi.
»Es ist nicht käuflich«, entgegnete er mit einem raschen Seitenblick zu Veronica, die wieder errötete.
»Wenn die Dame, der es gehört, aber gar nicht kommt?«, meinte Steffi. »Vielleicht gefällt es ihr überhaupt nicht.«
»Doch, es gefällt ihr sehr gut. Ihr werdet euch daran gewöhnen müssen, dass wir eines Tages wieder von dort wegmüssen.«
»Sagen Sie das doch nicht«, fiel ihm Veronica ins Wort.
»Wir wollen auch nicht weg«, rief Steffi.
Arndt sah Veronica an. Sie konnte diesem Blick nicht mehr ausweichen. Ein Ausdruck war in seinen Augen, der sie lähmte und ihr die Fassung raubte. Und auch er war augenblicklich verwirrt.
»Man kann an Tatsachen nicht vorbeireden«, murmelte er.
*
Es gab viel zu sehen in der Felsenburg, und Magnus von Roth erklärte die Geschichte der Riedings, die hier seit Jahrhunderten ansässig waren, auch für die Kinder so interessant, dass sie andächtig zuhörten.
Nur Jill interessierte sich mehr für den alten Herrn mit dem weißen Haar, der ihr ab und zu verschmitzt zublinzelte. Sie lachte dann schelmisch zurück.
Veronica konnte sich überhaupt nicht konzentrieren. In ihren Ohren tönten Arndts Worte fort: »Man kann an Tatsachen nicht vorbeireden.«
Er wollte also nicht lange in ihrem Haus bleiben. So deutete sie diese Worte. Warum nicht? Weil sie die Besitzerin war und weil er meinte, die Kinder könnten sich zu sehr an sie gewöhnen?
Sie schaute zu ihm hinüber, sah