Im Sonnenwinkel Staffel 5 – Familienroman. Patricia Vandenberg
kostbare Flügel im Salon entlockte Arndt wieder bewundernde Worte.
»Schade, dass er nicht mehr gespielt wird«, sagte er.
»Ich möchte es gern lernen«, meldete sich Steffi zu Wort.
»Ich auch«, echote Martina.
»Ein bisschen kann ich es noch seit meiner Jugendzeit«, erklärte Arndt, »aber als Lehrer tauge ich nicht.«
»Vielleicht kann ich den Kindern Unterricht geben«, entfuhr es Veronica unbedacht.
Nun war sie zum ersten Mal richtig aus der Rolle gefallen und kämpfte mit ihrer Verwirrung, als Arndt sie staunend betrachtete.
»Können Sie spielen?«, fragte er.
»Ganz gut«, erwiderte sie, da es nun galt, den Fehler wieder auszubügeln. »Frau Hellwege brachte es mir bei.«
Das war nicht mal eine Lüge, denn die Anfangsgründe hatte Veronica von ihrer Mutter gelernt.
»Roni kann alles«, äußerte Steffi bewundernd.
»Mächtig schlau ist sie auch«, sagte Martina. »Man kann fragen, was man will.«
»Dann sind Sie wohl ein Universalgenie«, meinte Arndt mit leichtem Spott. »Und das will hier verkümmern?«
»Es verkümmert nicht, und ein Genie bin ich gewiss nicht«, begehrte Veronica auf.
»Spiel uns doch mal was vor«, bat Steffi.
»Es geht nicht mit dem Arm. Beibringen kann ich es euch, aber selbst spielen kann ich noch nicht«, entgegnete Veronica ausweichend.
»War es ein komplizierter Bruch?«, erkundigte sich Arndt teilnahmsvoll.
»Ja. Der Arm musste operiert werden.«
Veronica war dunkle Glut in die Wangen geschossen, als Arndt den Arm ergriff und die Narbe betrachtete.
»Aber Sie sind gesund und können Ihre fünf Sinne gebrauchen«, sagte er leise und mit seltsamer Betonung, die ihr unwillkürlich einen Stich versetzte.
Ein unergründlicher Ausdruck lag auf seinem Gesicht, als sie schnell zu ihm hinüberblickte, aber seine Augen waren geschlossen.
*
Schon am nächsten Tag begann er mit seiner Arbeit. Er war ein Frühaufsteher, wie Veronica feststellen konnte. Sie bemühte sich, nicht allzu viel über ihn nachzudenken, doch das kam von selbst.
Sie sagte den Kindern auch, dass ihr Vater es sicher gern hätte, wenn er ab und zu allein mit ihnen sein könne, aber das hörten sie nur ungern.
Damit Arndt nicht bei der Arbeit gestört wurde, spielte Veronica mit den Kindern hinter dem Haus. Doch mittags erklärte er, dass es ihn gar nicht stören würde, wenn sie auch unten am See wären.
Zu gern hätte Veronica gewusst, womit er sich beschäftigte, aber es schien ihr doch zu kühn, die Kinder danach zu fragen.
Nachmittags kam dann der Lieferwagen. Leicht verlegen fragte Arndt, ob es einen Raum gäbe, in dem er sich ein Labor einrichten könne.
Es gab genügend Räume.
Er entschied sich für den hellen Kellerraum.
»Manchmal kocht Papi was, aber das stinkt meistens«, erklärte Steffi. »Frau Griebel hat immer geschimpft.«
»Hier oben riechen wir es ja nicht«, meinte Veronica.
»Du schimpfst nie«, sagte Martina andächtig.
»Dazu habe ich auch nicht den geringsten Grund«, erwiderte Veronica.
Wenn Arndt nun in seinem Labor war, gab sie den Kindern Klavierunterricht.
So vergingen zehn Tage, und man war schon so aneinander gewöhnt, als wäre es nie anders gewesen. Da erklärte Arndt, dass er für zwei Tage verreisen müsse. Er sagte es ganz beiläufig zu Veronica.
»Es wird öfter der Fall sein«, bemerkte er heiser. »So alle zwei Wochen. Die Kinder sind daran gewöhnt. Ich bin wirklich sehr froh, dass ich mir jetzt um die Kleinen keine Sorgen mehr zu machen brauche. Das war früher noch eine zusätzliche Belastung.«
Das Wort »zusätzlich«, ließ Veronica aufhorchen. Manches war rätselhaft an ihm, ohne dass es störend gewesen wäre. Er war ein verschlossener Mann, doch die zärtliche Liebe, die er seinen Kindern entgegenbrachte, glich das aus.
Die Kinder waren tatsächlich an diese sporadischen Reisen gewöhnt. Sie stellten keine Fragen, und sie machten davon auch kein Aufheben.
Martina sagte nur, dass Frau Griebel immer gemeckert hätte, wenn der Papi fortgefahren sei.
Da es zwei regnerische Tage waren, wurde eifrig Klavier geübt, und weil Arndt nicht im Haus war, versuchte es Veronica auch mit der rechten Hand. Sie war noch sehr unbeweglich, aber die Kinder lauschten doch andächtig. Sogar Jill, die sonst lieber zu Otti ging, wenn ihre großen Schwestern Unterricht bekamen.
»Du spielst schön«, bemerkte Steffi. »Ich möchte auch so spielen können.«
»Du müsstest eigentlich erst einmal zur Schule gehen«, sagte Veronica, die sich schon gewundert hatte, dass davon gar nicht die Rede war.
»Im Herbst«, erklärte Steffi. »Voriges Jahr sollte ich eigentlich schon zur Schule kommen, aber da war ich krank.«
Ihre Augen verdunkelten sich. Ein merkwürdiger Ausdruck lag über ihrem kleinen Gesicht.
»Da war Steffi sehr krank«, berichtete Martina. »War Mama schuld dran.«
Veronica erschrak, aber dann noch mehr, als Steffi zornig ausrief: »Du sollst nicht davon reden! Ich will es nicht! Ich will nichts hören!«
Sie zitterte am ganzen Körper und beruhigte sich erst, als Veronica sie zärtlich in die Arme nahm und tröstend auf sie einsprach.
»Hab’ es ja nicht so gemeint«, sagte nun auch Martina mit Tränen in den Augen.
Das erste Mal war von der Mutter gesprochen worden, und das hatte beinahe Panik ausgelöst. Zumindest bei Steffi, die an diesem Tag eigentümlich still war.
Später, als Martina und Jill schon schliefen, klopfte es leise an Veronicas Tür.
Steffis brennende Augen blickten Veronica an, als sie die Tür öffnete.
»Ich habe so Angst«, flüsterte sie.
»Wovor, meine Kleine?«, fragte Veronica weich, das Kind sanft an sich ziehend. »Komm, bleib ein bisschen bei mir.«
Steffi schmiegte sich in ihren Arm.
»Du darfst Papi nichts sagen, Roni«, flüsterte sie. »Bitte, bitte, red nicht drüber.«
Sie brauchte nicht zu sagen, worüber Veronica nicht reden sollte, denn das ahnte sie.
»Frag ihn auch nicht, warum ich nicht voriges Jahr zur Schule gekommen bin«, fuhr Steffi wispernd fort.
»Es tut mir leid, wenn ich dich damit erschreckt habe«, äußerte Veronica beklommen.
»Du kannst doch nichts dafür. Ich habe dich so lieb, Roni. Otti und Paul auch. Ich möchte es ja so gern vergessen. Erzählst du mir etwas Schönes?«
Es wurde Veronica jetzt nicht ganz leicht, sich eine Geschichte einfallen zu lassen, da sie darüber nachdenken musste, was dieses sonst so frohe Kind quälen könnte. Aber dann erfand sie doch eine Geschichte von einem Glückskäferchen und zwei Veilchen, die miteinander Freundschaft geschlossen hatten.
»Hast du Veilchen gern, Roni?«, fragte Steffi schläfrig.
»Ja, sehr gern. Es sind meine Lieblingsblumen.«
»Ich habe Veilchen auch gern«, flüsterte Steffi und dann schlief sie ein.
Veronica betrachtete das schlafende Kind. Ins Bett konnte sie Steffi nicht tragen, da spielte ihr Arm doch noch nicht mit, und aufwecken