Im Sonnenwinkel Staffel 5 – Familienroman. Patricia Vandenberg
war verschlossen. Doch diesmal kam er nicht am übernächsten Tag zurück, und Veronica war in einem peinigenden Angstgefühl gefangen, als er nichts von sich hören ließ. Otti entging das nicht.
»Reg dich doch nicht auf«, sagte sie besorgt. »Er wird aufgehalten worden sein.«
»Wenn er nun einen Unfall hatte«, äußerte Veronica bebend.
»Dann würden wir doch eine Nachricht bekommen haben.«
»Und wenn er unsere Adresse nicht bei sich hat? Wenn niemand weiß, wo er wohnt? Ich habe Angst, Otti, schreckliche Angst.«
Und mehr brauchte sie nicht zu sagen. Otti wusste, was dieser Mann ihr bedeutete, wenn Veronica auch kein Wort darüber verlor.
Veronica tat in dieser dritten Nacht seiner Abwesenheit kein Auge zu. Immer wieder stand sie auf und ging ans Fenster. Sie lauschte auf jedes Geräusch, aber die Nacht war totenstill und wolkenverhangen.
Sie blickte auf die Uhr. Es war fast vier Uhr morgens, und sie hatte noch keine Minute geschlafen.
Da vernahm sie Motorengeräusch. Es kam näher, stockte, um dann nochmals aufzuklingen und ganz zu verstummen.
Sie zog ihren Morgenmantel über und eilte die Treppe hinunter und hinaus ins Freie.
Sie dachte nichts mehr, sie wird getrieben von einer inneren Stimme.
Draußen stand Arndts Wagen, aber ihn konnte sie nicht sehen. Sie lief hin und blickte durch das Fenster. Vornübergefallen lag er auf dem Steuer. Sie riss die Tür auf.
»Arndt!«, rief sie angstvoll, sich nicht bewusst, dass sie ihn beim Vornamen nannte. Er rührte sich nicht.
Sie griff nach seinem Kopf, fühlte eine heiße schweißbedeckte Stirn, doch er reagierte nicht.
Veronica lief ins Haus zurück. Sie weckte Otti und Paul.
»Herr Baldung ist gekommen, aber er ist bewusstlos!«, stieß Veronica hervor. »Helft mir!«
Sie wusste später nicht, wie sie den schweren Mann ins Haus gebracht hatten.
Sie tupfte sein Gesicht mit kühlem Wasser ab, netzte seine Lippen mit Tee, den Otti aufgebrüht hatte. Aber auch das rief ihn nicht ins Bewusstsein zurück.
Um sechs Uhr morgens wusste sie sich keinen Rat mehr. Sie suchte im Telefonbuch nach einem Arzt, aber erst Dr. Riedel aus dem Sonnenwinkel meldete sich.
Er würde sofort kommen, sagte er, aber sie musste ihm noch den Weg beschreiben. Eine Viertelstunde später war er schon da.
Seine Diagnose war beängstigend. Schwerer Erschöpfungszustand und wahrscheinlich eine Lungenentzündung, lautete sie. Er wollte in zwei Stunden wiederkommen, um die Wirkung der Injektion zu beobachten.
*
Steffi war an diesem Morgen zuerst munter. Sie schlich sich in Veronicas Zimmer und fand ihr Bett leer. Es war ganz glatt. Sie raste die Treppe hinunter in die Küche, Otti stand am Herd.
»Wo ist Roni?«, fragte Steffi.
»Pst! Nicht so laut!«, sagte Otti. »Euer Papi ist gekommen, aber er ist krank. Ihr müsst Rücksicht nehmen.«
»Papi war nie krank«, behauptete Steffi, und dann fügte sie leise hinzu: »Nur Mama war krank.«
Otti das Kind gedankenvoll an.
»Jetzt ist der Papi aber krank, Steffi, und Veronica ist bei ihm. Sei ein vernünftiges Mädchen und mach keinen Wirbel.«
»Kann ich nicht mal zu ihm?«, fragte Steffi bebend.
»Besser nicht. Der Arzt kommt noch mal. Warten wir ab, was er sagt. Vielleicht ist es ansteckend.« Etwas anderes wusste Otti als Ausrede nicht zu sagen.
»Wenn sich nun aber Roni ansteckt«, flüsterte Steffi. »Otti, warum ist Papi krank?«
»Kindchen, das weiß ich doch auch nicht. Jetzt geh zu Tini. Ich kümmere mich gleich um Jill.«
»Bestimmt ist Mama wieder dran schuld!«, stieß Steffi hervor. »Sie kann ja so böse sein. Otti, so schrecklich böse, das kannst du dir gar nicht vorstellen.«
Mein Gott, dachte Otti, was steckt da für eine Tragödie dahinter.
»Wo ist sie denn?«, fragte sie.
»Das wissen wir doch nicht. Papi redet nicht darüber. Aber sie ist nicht tot. Sie wird wiederkommen und mich umbringen, und Tini diesmal auch!«
Sie begann herzzerreißend zu schluchzen, und da kam Veronica in die Küche.
»Steffi, was ist denn?«, fragte sie heiser.
»Roni, bleib da! Lass uns nicht allein!«, schluchzte das Kind. Sie warf die Arme um Veronicas Hals und klammerte sich an sie wie eine Ertrinkende.
Über ihre Schulter hinweg tauschte Veronica einen langen Blick mit Otti, die nur den Kopf schüttelte.
»Sei doch ruhig, Steffi«, sagte Veronica tröstend. »Ich kann euren Papi jetzt nicht allein lassen. Er ist krank, aber jemand muss sich um ihn kümmern. Und du kannst uns helfen, wenn du dich um Tini und Jill kümmerst. Wir wollen doch alle, dass der Papi schnell gesund wird.«
Steffi blickte sie aus traurigen Augen an.
»Ich will ja alles tun, was du sagst, Roni«, flüsterte sie, »aber geh nicht weg, lass uns nicht allein!« Und dann lief sie die Treppe hinauf weil Jill rief.
»Ganz was Komisches hat sie gesagt«, murmelte Otti. »Wegen ihrer Mama, dass sie dran schuld ist und dass sie böse sein kann, sehr böse. Weißt du was darüber, Veronica?«
»Daran wollen wir jetzt nicht denken, Otti. Arndt ist sehr krank. Er muss gesund werden.«
Ein leises Stöhnen begleitete diese Worte, und sie dachte verzweifelt: Er muss gesund werden, er darf nicht sterben! Nicht nur der Kinder wegen, sondern auch meinetwegen.
*
»Roni soll kommen«, maunzte Jill. »Meine Roni!«
»Roni kann nicht kommen, Papi ist krank«, erwiderte Steffi. »Du musst jetzt brav sein.«
Martina stand in der Tür und rieb sich die Augen.
»Wieso ist Papi krank? Ist er denn da?«, fragte sie verwirrt.
»Jill auch krank«, jammerte die Kleine. »Roni soll kommen!«
»Nun seid doch mal ruhig!«, erklärte Steffi energisch, sich nun doch als die Große fühlend. »Roni kann nicht überall sein, und Otti auch nicht. Jedenfalls ist Papi krank, und Roni hat gesagt, dass ich mich um euch kümmern soll. Schreit nicht so, damit Papi schlafen kann!«
»Dann wird er schnell wieder gesund«, behauptete Martina, der der Ernst der Situation noch nicht bewusst wurde. Sie hatten es ja auch noch nicht erlebt, dass ihr Vater im Bett liegen musste. Mehr als eine heftige Erkältung hatte er noch nicht gehabt, soweit ihre Erinnerung reichte.
Sie wollten zu ihm, aber die Eröffnung, dass sie das nicht durften, machte sie ängstlich und stumm. Otti hatte keine große Mühe mit ihnen. Sie saßen bei ihr in der Küche am Tisch und frühstückten.
Paul leistete ihnen Gesellschaft, während Otti frisches Bettzeug für Arndt brachte.
Das Fieber war noch gestiegen, und Veronica war erleichtert, als Dr. Riedel wiederkam.
Er hatte gleich die nötigen Medikamente mitgebracht, meinte aber doch, dass es besser sei, wenn man ihn in die Klinik bringen würde.
»Sie könnten das doch gar nicht bewältigen, Fräulein Hellwege«, sagte er nachdenklich.
»Was man will, das kann man«, erklärte sie entschlossen, »und ich will, dass er hierbleibt. Sie sagen mir, was ich tun soll, und das werde ich genau befolgen. Wenn es nötig ist, können wir ja noch eine Pflegerin nehmen.«
Dr. Riedel gab Arndt eine Spritze. Dann schrieb er genau auf, wie die Medikamente zu verabreichen