Amerikanische Reise 1799-1804. Alexander von Humboldt

Amerikanische Reise 1799-1804 - Alexander von  Humboldt


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Interesse, das Streben nach Erkenntniß als Erkenntniß, aus dem Auge.« Denn: »Alles ist wichtig, was die Gränzen unseres Wissens erweitert und dem Geist neue Gegenstände der Wahrnehmung oder neue Verhältnisse zwischen dem Wahrgenommenen darbietet.«154 Damit wies er der zweckfreien Forschung, dem reinen Erkenntnisstreben, den Weg, ohne sich von der Aufklärung zu trennen, die eben viele Möglichkeiten der Stellungnahme kannte.

      Das Urteil über Humboldts Werk war sehr stark durch die im ersten Band mitgeteilten galvanischen Versuche bestimmt, hauptsächlich wegen des modischen zeitgenössischen Interesses.155 Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass der französische Übersetzer, der Arzt Jadelot, sich 1799 nur des ersten Bandes annahm, weil man auch in Frankreich »offenbar weit mehr am Galvanismus als an einer Erschließung der reizphysiologischen Forschungsprobleme interessiert« war.156

      13. ANREGUNGEN FÜR FORSCHUNGSREISEN

      IN DEN »VERSUCHEN«

       Umriss einer medizinischen Geographie

      In den Versuchen … kündigte sich auch die große Reise, die Humboldt nach den Tropen plante, an. Die Brüder Keutsch, vor allem der ältere dieses Geschwisterpaares, gehörten zu den meistgenannten Personen. Wir erfahren auch von dem wichtigen Buch über das Fallen und Streichen im mittleren Europa, von der weitgehenden Übereinstimmung im Fallen der Urgebirgsschichten, das gar nicht von der Gestalt der Berge abhänge, sondern von unbekannten Attraktionskräften im Innern des Erdkörpers hervorgerufen werde.157 Dazu wurde das Programm einer »medicinischen Geographie« entwickelt und dieser Begriff geprägt.158 Humboldt verstand darunter anthropogeographisch den Einfluss der Natur auf die Gesundheit des Menschen. Er forderte in dieser Hinsicht auch wissenschaftlich begründete Untersuchungen des offensichtlichen Unterschieds von Berg- und Talbewohnern (Beck, Bd. I, S. 23 f. m. Anm. 110). Hin und wieder folgte er allerdings stärker den herrschenden Ansichten. Er sprach von seinem Plan, »eudiometrische Stationen in verschiedenen Klimaten und Erdhöhen anzulegen, in denen man mit gleichen Instrumenten zu gleichen Zeiten (also nach wahrer Zeit) den Luftkreis zerlegte«, und sah es gern, dass der gutmütige Pater Murith, den er in dem Hospiz auf dem St. Bernhard kennenlernte, »mit einem guten Fontanaschen Eudiometer versehen seyn« wollte. »Wo ist ein Punkt in Europa, der ein wichtigeres physikalisches und meteorologisches Observatorium seyn könnte als dieses Kloster, welches 1063 Toisen über der Meeresfläche erhoben ist, auf der Scheidewand zwischen der nord- und südeuropäischen Luftregion liegt und von mehreren wohlwollenden Menschen bewohnt ist!«159 Er sprach vom »Palmenklima« und erläuterte seine Vorstellungen von der Luftzusammensetzung in den Tropen, deren Beständigkeit wahrscheinlich der Grund sei, dass in dieser Zone soviel Krankheiten wüteten.160 Woher kam das dauerhaftere Wohlbefinden der Küstenbewohner Perus und Chiles, der Hirtenvölker auf hohen Gebirgen? Kam es daher, dass sie weniger Schwankungen des Luftdruckes ausgesetzt sind »als die cultivirten Mittelregionen der gemäßigten Zone«?161 Woher kam die schädliche Wirkung gewisser Sumpfwässer und des Regens in den Tropen? Er begnügte sich »für jetzt diese Ideen unentwickelt hinzuwerfen«. Auf seiner großen Reise hoffte er, dies alles ergründen zu können. Obgleich die Geographen seiner Zeit einfach die Prägung des Menschen durch die Natur voraussetzten, legte er sich keineswegs fest, sondern deutete nur Einzelnes als möglich an (vgl. s.o.). Er folgte z. B. Georg Forster, wenn er sagte, Fischnahrung erwecke den frühen Geschlechtstrieb. Völker, die nur von Fisch oder Fleisch lebten, seien zügellos und muskelstark; die Inder, die bloß Kräuter äßen, seien von milderer Gemütsart.162 Doch wissenschaftlich begründet fand er das alles nicht. »Möge es der Nachwelt glücken, diesen geahnten Zusammenhang zwischen der materiellen und moralischen Welt in ein helleres Licht zu setzen!«163 So steckten in diesem Buch deutlich ausgesprochene geographische Anregungen für künftige Forschungen und der Umriss einer medizinischen Geographie. Die Auswahl der Literatur deutete oft auf Westindien hin.

      In den Versuchen über die chemische Zerlegung des Luftkreises und über einige andere Gegenstände der Naturlehre (Braunschweig 1799) fasste Humboldt eine Reihe bereits veröffentlichter Aufsätze zusammen, um ihnen mehr Dauer zu verleihen. Er berichtete über seine chemischen Versuche, beschrieb ein Taschen- oder Senkbarometer sowie ein Absorptionsgefäß, das besonders als Kohlensäuremesser gebraucht werden konnte, behandelte die Kohlensäure, welche im »Luftkreis« verbreitet ist, und teilte Experimente über die Beschaffenheit der Atmosphäre in der gemäßigten Zone mit – z. B. an 164 Tagen angestellte Wetterbeobachtungen in Salzburg, wobei Eudiometer, Hygrometer, Thermometer, Barometer und Elektrometer abgelesen wurden. Bei aller Vorsicht, die er geognostischen Theorien gegenüber stets bewahrte, meinte er, die gesamte Erde sei einst mit Flüssigkeit bedeckt gewesen, aus der sich das feste Land abgesetzt habe. Dabei sei Wasserstoff nach physikalischen Gesetzen frei geworden. Die Fossilien der Flözgebirge unterschieden sich von denen der ursprünglichen Gebirge und deuteten auf ein vormals wärmeres Klima des nördlichen Landes hin.

      14. DER PLAN DER ÄGYPTISCHEN REISE

       Der Sinn einer »Zwischenzeit« »Die Ausrottung des Feudalsystems«

      Im November 1797 hatte Lord Bristol, der Bischof von Derry, Alexander aufgefordert, mit ihm eine achtmonatige Reise nach Oberägypten anzutreten. Mehrere Zeichner sollten ihn begleiten, um Abbildungen ägyptischer Kunstwerke anzufertigen. Eigene Boote waren schon ausgerüstet. Humboldt nahm an, da er nicht mehr daran glaubte, Italien bereisen zu können. Er forderte allerdings, die Reisekosten selbst tragen zu dürfen, um sich in jedem Augenblick von diesem recht merkwürdigen Bischof trennen zu können. Außerdem verlangte er, dass man ihm nach der Rückkehr in Alexandrien gestattete, allein Syrien und Palästina zu bereisen.

      Außer Humboldt waren schon im März des gleichen Jahres Prof. Hirt und die Gräfin Dennis eingeladen worden. Hirt war als deutscher Archäologe in Rom gewesen. Die ebenfalls eingeladene Gräfin Lichtenau war die ehemalige Hauptmätresse Friedrich Wilhelms II. von Preußen, der sie, die in Wirklichkeit Wilhelmine Enke hieß, in den Adelsstand erhoben hatte. Der Lord hatte sich die weibliche Gesellschaft ausgesucht, die zu ihm passte. Auch Goethe hat diesem Lebemann den Bischofstitel weggespöttelt. Humboldt war es bei dieser Einladung nicht ganz wohl, und er betrachtete sie nur als Notlösung. Eine andere Möglichkeit, aus Europa auszubrechen, ergab sich aber nicht.164

      Humboldt stellte seine Vorbereitungen sofort auf das neue Ziel ein. Er beschäftigte sich z. B. mit der ägyptischen Architektur, wobei er nicht ahnen konnte, dass ihm selbst diese Studien später in anderen Zonen interessante Vergleiche mit den Bauwerken indianischer Hochkulturen erlauben sollten. Er betrachtete diese Reise keineswegs als sein Hauptziel – das lag noch immer in Westindien und in den Tropen –, sondern als eine sehr sinnvolle Ausfüllung seiner »Zwischenzeit«.165 Er war sehr unruhig geworden. Die Bestimmungen der Polhöhen, die lange Folge eudiometrischer Beobachtungen, die Arbeit am Abschluss des zweiten Bandes seiner Versuche … und des Werkes Ueber die unterirdischen Gasarten …, der erneute Besuch der dortigen Bergwerke, die seine Liebe zum praktischen Bergbau wieder erweckten – das alles mutete auch wie eine Flucht aus der Unruhe in die Arbeit an. Er müsse leider seine »westindische Reise« aufschieben, schrieb er am 19. April 1798 dem Herausgeber der Jenaer »Allgemeinen Literaturzeitung«, er gedenke einige Sommermonate in Paris zu verbringen, den Winter wolle er in Ägypten verleben. – Schon hatte er aber »von einer Landung in Ägypten« gehört und wusste noch nicht, ob sie ihm förderlich oder hinderlich sein werde.166 Er fühlte sich durch die französischen Kriegszüge mit Recht eingeengt. Die republikanischen Dragonaden fand er ebenso empörend wie die religiösen. Auch vermochte er nicht einzusehen, dass alle Völker zu einer Regierungsform bekehrt werden sollten, da sie doch aufgrund ihrer verschiedenen Bedingungen auch verschiedene Bedürfnisse hätten. Bei aller berechtigten Kritik an den Auswirkungen der Französischen Revolution vergaß er jedoch nie das weltpolitische Verdienst dieser Umwälzung. Sein Blick war bereits in die Zukunft gerichtet, von der er eine Abklärung erwartete. Gegenwärtig genieße man »nur eine Wohltat«: »die Ausrottung des Feudalsystems und aller aristokratischen Vorurtheile, unter denen die ärmeren und edleren Menschenklassen so lange geschmachtet,


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