Amerikanische Reise 1799-1804. Alexander von Humboldt
Gespräche und Besuche in Wien halfen ihm dabei. So hat er z. B. mit dem älteren Jacquin und dem Metallurgen v. Tiharsky aufschlussreiche eudiometrische Versuche angestellt. Zudem war der jüngere Jacquin hochverdient um die Einführung der antiphlogistischen Chemie in Wien und hatte in Humboldt einen Partner gefunden, der ähnliche wissenschaftliche Methoden vertrat.
Alexander v. Humboldt zur Zeit seiner sechsjährigen Reisevorbereitungen auf die Tropen in der Neuen Welt (Federzeichnung von Friederike Beck)
Die literarischen Arbeiten vermehrten sich noch, als Freiesleben das Manuskript des Werks Ueber die unterirdischen Gasarten … nach Wien sandte. Er hatte aus dem »Paquet einzelner Zettel und Notizen … ein Gerüst zusammengestellt« und den Stoff so fleißig bearbeitet105, dass Alexander sein Werk »kaum darin wiedererkennen« konnte. »Du hast Dir mehr, mehr Mühe damit gegeben, als die Sache verdient, nicht bloß Materialien geordnet, sondern viele neue dazugeschafft … Es wird mir nun ein Leichtes sein, ein Buch daraus zu machen …« konnte er Freiesleben mitteilen.106 Er selbst hat das Manuskript dann noch durchgefeilt, die Herausgabe aber musste er seinem Bruder Wilhelm überlassen.
Die Reisepläne forderten Humboldts ganze Kraft. Im Augenblick sah es allerdings aus, als sollten sie sich nie erfüllen. Die Familie des Bruders und Haeftens sorgten sich, ob man mit den Kindern bei den unsicheren Zuständen nach Ober- und Mittelitalien gehen könne. So reiste der ältere Humboldt mit seiner Familie, mit Wilhelm v. Burgsdorff und dem Bildhauer Friedrich Tieck am 11. Oktober 1797 von Wien ab und fuhr über München, Schaffhausen, Zürich und Basel nach Paris.107 Alexander hielt dagegen noch an seiner Italienreise fest und wollte zunächst mit den Haeftens in der Schweiz die Beruhigung der politischen Lage abwarten. Er dachte, dort seine Vorbereitungen weiter zu betreiben, und liebäugelte vor allem mit einem erneuten Besuch Genfs.
Die Ankunft Leopold v. Buchs in Wien wies einen anderen Weg. Dieser hatte bereits geschrieben, er wolle sich in Italien »häuten und … in Äther kleiden«. »Ich habe mich herzlich über ihn gefreut«, meinte Alexander. »Es ist ein trefflicher, genievoller Mensch, der viel und richtig beobachtet – aber das ganze Wesen – wie aus dem Monde. Mich deucht, das Alleinsein auf der Reise hat ihm schon wieder geschadet. Ich habe ihn zu einigen Menschen herumgeführt, aber meist ist es unglücklich abgelaufen. Gewöhnlich setzt er gleich nach dem ersten Besuch die Brille auf und untersucht im äußersten Stubenwinkel die Sprünge in dem glasierten Ofen, auf die er ganz erpicht ist, oder er schleicht wie ein Igel an den Wänden umher und betrachtet die Simse. Er versichert mich selbst dabei, daß er im Alleinsein oft ¼ St[unde] lang fast alle Besinnung verliere. Übrigens ist er unendlich interessant und liebenswürdig – ein Schatz von Kenntnissen, mit denen er mir sehr nützlich wird. Er bleibt 14 Tage hier, geht dann über Ischl und Gmunden nach Salzburg, bleibt einige Wochen bei mir und will im Winter durch Tirol nach Italien. Sein Gemütszustand ist gewiß bedenklich und, ich glaube, meist physischen Ursachen, angestrengtem Denken und Mangel an Nahrung zuzuschreiben. Ich bin in ihn gedrungen, mehr zu essen und einmal einige Monate recht sinnlich zu leben.«108
Beide kamen überein, im Winter in Salzburg meteorologische, eudiometrische, astronomische und barometrische Messungen durchzuführen. Alexander verabschiedete sich im Oktober in Wien. Er verließ die österreichische Hauptstadt »recht ungern«109, das Ende dieser »köstlichen Zeit« bedrückte ihn110. Wien hatte ihm derart viele Anregungen geschenkt, dass er dankbar sein musste. Doch die Unruhe der Weltstadt störte ihn auf die Dauer, er verlangte nach einem ruhigeren Ort, der indes in Grenznähe liegen sollte, um bei einer günstigen Wendung sofort nach Italien reisen zu können.111 Der ältere Bruder hatte ohnehin nach Italien und Frankreich gehen wollen. Ihm bedeutete die Änderung der zeitlichen Folge nicht viel. Bei Alexander war es anders. Er durfte keine Zeit vergeuden. In Linz sprach er mehrere Gelehrte und besuchte von dort aus Gmunden, den Traunfall und den Traunsee; er reiste »der schönen Gegend wegen« sehr langsam und meinte: »Ich gestehe, daß ich in der Schweiz kaum solche große Naturszenen kenne, als diese Oberösterreichischen.«112
So kam Humboldt erst am 26. Oktober 1797 in Salzburg an. Leopold v. Buch folgte ihm später nach. Hier begann erneut die intensive Übung im Gebrauch von Spiegelsextant, Barometer und Eudiometer u. a. sowie eine nochmalige Lektüre vieler Reisewerke. Er schrieb am 31.12. 1797 von Salzburg an Josef van der Schot: »Ich erfülle meine Zwecke treulich, die ich mir vorgesetzt, aber da diese Zwecke keine anderen als die des Lernens, Studirens, Einübens mit meinen physikalischen und astronomischen Instrumenten, Präparirens zur westindischen Reise sind, so läßt sich selbst dem Freunde wenig davon erzählen … Ich lese und schreibe ununterbrochen fort, laufe in Sturm und Regen mit dem Electrometer in Luftschichten [?] umher und durchblättere alle Reisebeschreibungen, die ich schon sonst gelesen und von denen die Bibliothek des hiesigen Botanikers Baron Moll (der aber selbst keine Pflanze kennt) leider! eine Menge enthält … Mein Plan ist noch immer, Mitte Februar nach Italien aufzubrechen und Sommer 1799 in Deutschland zu sein, wo Sie mich haben wollen.«113 Er hoffte immer noch, van der Schot als Reisegefährten gewinnen zu können. Mit Grüßen bedachte er vor allem Joseph Barth, die beiden Jacquin, Nikolaus Thomas Host – und nicht zuletzt Franz Boos: »Wenn ich von Dankbarkeit rede, so habe ich aber besonders unseres Freundes Boos114 zu gedenken. Sagen Sie diesem, wie innigst ich ihn liebe und hochschätze.«115
Humboldt hatte nur zwei Monate in Salzburg bleiben wollen, es wurde ein halbes Jahr daraus, und er schrieb innerlich verzweifelt an Joseph Franz Jacquin: »Könnte ich doch nur nach Westindien – aber wenn man sechs Wochen zur See ist, bringt einen ein Kaper dahin zurück, wo man ausläuft. Ich denke, das alles in Paris deutlicher zu sehen.«116
Von seinem Lehrer Zach angespornt, bestimmte er die Polhöhe Salzburgs, führte eine große Zahl von Höhenmessungen zwischen dieser Stadt und Aussee aus und analysierte den Sauerstoffgehalt der Luft, die zu gleicher Zeit in verschiedener Höhe in Flaschen gefüllt wurde. Am 19. Dezember 1797 bestimmte Buch mit Alexanders neuem Senkbarometer den Gaisberg, gegenüber von Humboldts Wohnung. 453 Toisen über dem Spiegel der Salzach füllte Buch eine Flasche mit Luft, ohne sie mit Wasser zu sperren und zu dichten, um die »Azotirung«, die Anreicherung mit Stickstoff, zu vermindern. »Der eingeriebene Stöpsel war so luftdicht, daß das Wasser, als sich die Flasche unter seiner Oberfläche öffnete, mit Gewalt in die Höhe stieg. Ich untersuchte diese Gebirgsluft und eine andere, die ich in demselben Momente im Thale gesammelt hatte.« Die höhere Luft war sauerstoffärmer, und so galt Voltas am Legnone gewonnene Erkenntnis auch für Berge, die diese zweimal an Höhe übertreffen.117 Lust am Experimentieren, überlegte Versuchsanordnung und Wiederholungen waren stets für Humboldts Vorgehen bezeichnend, und so wurde die gleiche Messung nochmals durchgeführt. Buch kletterte trotz Schnee und Eis wieder auf den Gaisberg. Die gleichzeitigen Thermometerbeobachtungen ergaben dabei eine Temperaturumkehr, d. h. die kältere Luft lag wie eingeschnürt im Tal. Während Buch auf dem Gaisberg + 8½ °R maß, stellte Alexander im Tal nur + ¾ °R fest! Die Sauerstoffabnahme mit der Höhe bestätigte sich erneut.118
In dieser Zeit benutzte Humboldt häufig die Bibliothek des Freiherrn Karl Ehrenbert v. Moll119, eines fähigen und weithin bekannten Naturforschers, in dessen »Jahrbüchern der Berg- und Hüttenkunde« von nun an auch Aufsätze von ihm erschienen. Moll hatte bereits 1785 mit seinem Freund Franz de Paula Schrank in zwei Bänden Naturhistorische Briefe über Österreich, Salzburg, Passau und Berchtesgaden herausgegeben. Darin waren u. a. Beobachtungen über Härte und Temperatur des Gletschereises, Statistiken und anthropogeographische Tatsachen mitgeteilt worden. Sie lernten auch die Patres Dominikus Beck, von dessen meteorologischen Messungen und Höhenbestimmungen Humboldt allerdings nicht viel hielt, und Prof. Ulrich Schiegg kennen.
Seit Hacquets Eingreifen bemühte man sich auch in Österreich, auf dem von Scheuchzer und Saussure eingeschlagenen Wege voranzukommen. Dabei war eine erhebliche geographische Arbeit geleistet worden, deren Reflex Humboldt zugutegekommen ist. Im südlichen Bayern war damals kein einziger Ort astronomisch bestimmt gewesen. Auf den Karten unterliefen Abweichungen von 5–6’ »nach allen Weltgegenden«.120 Humboldt versuchte, wirkliche Festpunkte für die Kartographie zu schaffen,