Amerikanische Reise 1799-1804. Alexander von Humboldt

Amerikanische Reise 1799-1804 - Alexander von  Humboldt


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Hoffnungen wurden bald von schweren Sorgen überschattet. Es hieß »allgemein«, die Franzosen wollten Ägypten besetzen.168 Lord Bristol war Engländer und würde wahrscheinlich sein Vorhaben aufgeben müssen. Humboldt sah aber auch jetzt noch andere Möglichkeiten und meinte, zunächst an der ägyptischen Reise festhalten zu sollen. Sollte der Frieden zwischen Frankreich und der Türkei erhalten bleiben, wollte er die Fahrt allein von Marseille aus antreten, da sie nun einmal »eine so schöne Anwendung« seiner »Zwischenzeit« bis zum Antritt der westindischen Expedition sei.169

      Alles war in der Schwebe und schien sich eher zum Schlechten als zum Guten zu wenden. Es schien richtig, nach Paris zu gehen. Dort sei es ihm möglich zu entscheiden, wohin er seinen »Lauf« richten könnte, teilte er J. R. Forster mit.170 Am Tag vor seiner Abreise klagte er nochmals in einem Brief an den jüngeren Jacquin: »Könnte ich doch nur nach Westindien …«171 Die Familie Haeften hatte Salzburg verlassen und hielt sich seit März 1797 in Bayreuth auf, um den Schwiegervater noch einmal zu sehen. Sie wollten in den ersten Tagen des Mai wieder in Paris mit Humboldt zusammentreffen.172

      In Salzburg hatte Humboldt die Ruhe gefunden, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu lösen und die »Präparation« auf seine »große Reise« weiter zu vollenden. Am 24. April 1798 konnte er endlich nach Paris aufbrechen, nachdem er die Pässe verspätet erhalten hatte. Er reiste über Berchtesgaden, München, Augsburg und Stuttgart nach Rastatt, wo der Friedenskongress seit 1797 tagte.173 Dort traf er den französischen Mineralogen Faujas de Saint-Fond und besprach sich mit ihm. Der bevollmächtigte preußische Minister, Graf Goerz, stand tausend Ängste aus, als Humboldt einer Einladung zum Besuch des Kongresses nicht pünktlich Folge leistete und »eine ganze Stunde später und dazu noch erhitzt, im Reisefrack und Stiefeln von einer Besichtigung der badischen Berge, unter diese diplomatischen Gottheiten eintrat, welche jedoch der Herr Graf alsbald au fait zu setzen wußte durch die leise gesprochenen Worte: ›Es ist ein Gelehrter!‹«.174

      Auf der Weiterreise nach Paris entnahm Humboldt der »Straßburger Zeitung«, Lord Bristol sei in Mailand auf Befehl des Direktoriums verhaftet worden, »weil man ihn beschuldigte, der geheime Zweck seiner ägyptischen Reise sei, auf irgend eine Weise zum Vortheile Englands an den Nilufern zu wirken«.175 Seine Befürchtungen hatten sich also bestätigt. Selbst seine persönliche Sicherheit schien gefährdet, wenn man bei Bristol seine Briefe fände. Doch er kam »ungehindert« nach Paris176, wo er am 12. Mai 1798 eintraf. Auf Nachrichten des Lords und Bischofs brauchte er nicht mehr zu warten. Umso besser konnte er nun in Paris nach neuen Möglichkeiten ausspähen, seine Instrumentensammlung vervollständigen und eine kürzere Fahrt nach Afrika zur sinnvollen Ausnützung der »Zwischenzeit« bis zum Antritt der westindischen Expedition vorbereiten. Nach seinem eigenen Zeugnis waren die Pläne, die Afrika oder dem Orient galten, eindeutig Lückenbüßer, die ihm niemals das große Ziel Westindien ersetzen sollten.

      Die Ereignisse überstürzten sich. Am 19. Mai verließ Napoleons ägyptische Expedition Toulon. Das Gerücht erwies sich als Wahrheit und schnitt Alexander damit endgültig von Lord Bristol ab. Die Familie Haeften verließ – wie geplant – im August Paris, da Christiane ein Kind erwartete, und kehrte auf ihre Familiengüter nach Goch, südlich von Kleve, zurück.177 Die Freunde ahnten nicht, dass sie sich zum letzten Male gesehen hatten.

      15. HUMBOLDT IN PARIS

       Die wissenschaftliche Hauptstadt der Welt

      Der ältere Bruder hatte Alexander ähnlich wie in Jena auch in der französischen Hauptstadt die Wege geebnet. Ihm bedeutete das erneute Erlebnis Frankreichs nur die Klärung seiner »Deutschheit«. Schon den Wiener Gelehrten hatte er nichts abgewinnen können, den französischen Naturwissenschaftlern aber schien ihm die Tiefe zu fehlen, die Alexanders Arbeiten innewohnte. Wilhelm wollte damals durch den Vergleich des deutschen und französischen Nationalcharakters Grundlagen einer neuen Wissenschaft, der vergleichenden Anthropologie, gewinnen.178 Mit leisem Ärger stellte er fest, dass den Franzosen das Verständnis für die Eigenart der deutschen Literatur fehlte.179 Mitten in Paris sehnte er sich nach Jena, zu Goethe und Schiller zurück, ohne einige Anregungen, die Paris vermittelte, zu bestreiten.180 Seine Beschreibung des französischen Nationalcharakters deckte sich in vielen Zügen mit seiner Einschätzung des jüngeren Bruders Alexander: mehr Verstand als Geist, mehr nach außen als nach innen gerichtet.181

      Alexander besaß jene »Urbanität«182, die den meisten Deutschen mangelte, und eine ins Einzelne gehende Untersuchung dürfte ergeben, dass seine Persönlichkeit schon damals das Bild, das sich ein Franzose von einem Deutschen machte, in der angenehmsten Weise beeinflusste. Die Pariser hatten in Forster und Schlabrendorff große, den französischen Ideen verhaftete Deutsche kennengelernt. Sie kannten Goethes Werther. Dennoch wussten sie vom deutschen Wesen sehr wenig und neigten dazu, auch das wahrhaft Neue zu übersehen, das sich langsam in Deutschland ausgebildet hatte und wegen dessen man auch in Frankreich eigentlich von »Allemagne« sprach. Politisch war dieser Begriff wesenlos, in der Idee, der Dichtung, der Philosophie und zunehmend auch in der Wissenschaft wurde er immer bedeutungsvoller. Von »Allemagne« reden, schloss in gewissem Sinn bereits die Anerkennung von Rankes späterem Begriff der »Kulturnation Deutschland« ein.

      Im Haus des älteren Humboldt hatten sich neben den Reisebegleitern W. v. Burgsdorff und Friedrich Tieck auch Graf Schlabrendorff und einige französische Gelehrte zusammengefunden. Es dauerte nicht lange, bis Alexander in Paris so bekannt war wie in Berlin, Wien oder Genf.183 Bei Delamétherie verkehrte er im Hause; schon als 23-Jähriger hatte er dem Herausgeber des »Journal de Physique« einen Aufsatz eingesandt. Ebenso lernte er Fourcroy, Guyton, Vauquelin, Thénard, Robiquet, den Chemiker Graf Chaptal, den Astronomen, Mathematiker und Geodäten Delambre und seinen Schüler Lalande, ebenso Laplace, die Botaniker Jussieu, Desfontaines, Lamarck und den Zoologen Cuvier kennen. Den Geologen Dolomieu sah er zum zweiten Mal. Der Mathematiker Borda, Mitglied des »Bureau des Longitudes«, unterstützte und ermutigte seine magnetischen Beobachtungen, so dass er nun seine Instrumente noch für diese Aufgabe ergänzte.

      Paris war die wissenschaftliche Hauptstadt der Welt. Seine Instrumentenindustrie übertraf London und Genf, seine Naturwissenschaftler galten als führend. Humboldt erschien den Franzosen als der Repräsentant der Wissenschaft in Deutschland überhaupt. Er hatte sich schon früh, in den Tagen seines Studiums in Freiberg, darum bemüht, von seinen Erkenntnissen in Paris mitzuteilen. Man hatte ihn nicht zurückgestoßen, ihn auch nicht angreifen können, wohl aber seine späteren Experimente mit Zweifeln betrachtet. Nun war er selbst erschienen und hatte alle bezaubert, Gegenmeinungen geschickt pariert, Angriffe aus der Überfülle seines Gedächtnisses in den Tatsachen seiner empirischen Forschung erstickt.

      Fourcroy hatte ihm vorgeworfen, er ziehe aus seinen chemischen Experimenten voreilige Schlüsse – jetzt experimentierte Humboldt mit geschickten Händen vor den Mitgliedern des National-Instituts und las in fließendem Französisch in dessen Sitzungen allein drei vv. Anlässlich der Tagung im Februar 1799 meinte der gleiche Fourcroy, man verdanke Herrn Humboldt mehrere wertvolle Entdeckungen, er sei in der Entwicklung der modernen Physik (= Naturforschung) vorteilhaft bekannt, obgleich er sich infolge seiner Jugend erst einige Jahre damit beschäftigen konnte. Er meinte weiter: »Die Klasse, die ihn mehrere Monate in ihren Sitzungen gehabt und die dabei selbst über seine ausgedehnten Kenntnisse, seinen Scharfsinn, seine Ausdauer und seinen Mut beim Experimentieren sich ein Urteil gebildet hat, wird zweifellos mit mir der Ansicht sein, daß sein Mémoire: ›Über die Absorption des Sauerstoffs durch einfache Erden und seinen Einfluß auf die Bodenkultur‹ verdient184, in den Veröffentlichungen des Instituts abgedruckt zu werden.«185 Gay-Lussac griff das Mémoire über die »Chemische Zerlegung des Luftkreises« nach seiner Veröffentlichung an. Humboldt aber verwandelte diesen Angriff Jahre später in eine treue, gegenseitige, wissenschaftlich folgenreiche Freundschaft.

      Deutsche Bücher konnte damals ohne Anstoß als einer von wenigen Delambre lesen. Lalande hatte sich erst im hohen Alter mit dem Deutschen beschäftigt, als er den Wert der wissenschaftlichen Arbeit des Nachbarvolkes erkannte. 1799 schrieb er, er »predige überall,


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