Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman. Marie Francoise
und Opa sehen nur abends fern, wenn ich im Bett bin. Und für Kinderstunden bin ich schon zu alt.«
»Das meine ich aber auch«, stimmte Dr. Daniel zu, dann legte er einen Arm um Darinkas Schultern. »Keine Angst, Mädchen, ich werde mit deinen Großeltern reden. Sie tun das bestimmt nicht, um dir weh zu tun. Ich bin sicher, daß sie keine Ahnung haben, wie falsch sie sich verhalten. Aber ich verspreche dir, daß ich das in Ordnung bringen werde.« Er lächelte. »So, und jetzt bezahlen wir erst mal.«
Wieder fühlte Darinka Hemmungen aufsteigen, als sie den Wagen zur Kasse schob. Doch die Dame, die dort saß, schien keineswegs pikiert zu sein, als Darinka ihre Waren auf das Fließband legte. Sie tippte die Preise ein, als würde es sich um Butter, Käse oder Marmelade handeln, und allmählich konnte Darinka glauben, daß das, was sie in den vergangenen Monaten erlebt hatte, wirklich völlig normal war.
*
Kaum zu Hause angekommen, trat Dr. Daniel ans Telefon und wählte eine Münchner Nummer.
»Daniel!« meldete sich eine forsche Frauenstimme.
»Grüß dich, Karina, ich bin’s«, gab ihr Vater sich zu erkennen.
»Papa!« Das junge Mädchen war hörbar erfreut. »Mensch, das ist vielleicht eine Überraschung! Hast du Sehnsucht nach mir?«
Dr. Daniel lachte. »Natürlich das weißt du doch. Allerdings muß ich gestehen, daß ich nicht deswegen anrufe. Ist Stefan schon zu Hause?«
»Ja, er ist da. Augenblick, Papa.«
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Stefan an den Apparat kam.
»Du wolltest mich sprechen, Papa?« fragte er, und seiner Stimme war anzuhören, daß er mit nichts Angenehmen rechnete.
»Ja, Stefan, es geht um den alten Cassetten-Recorder, der noch in deinem Zimmer oben steht, und um den kleinen Fernsehapparat mit der Zimmerantenne. Brauchst du die Sachen noch?«
Stefan war über diese unerwartete Frage so erstaunt, daß er einen Moment brauchte, um antworten zu können.
»Nein, warum?«
»Ach, es geht um die kleine Darinka Stöber. Erinnerst du dich an sie?«
Wieder brauchte Stefan ein paar Sekunden, um den Namen richtig einzuordnen. Dann fiel ihm ein, daß er damals, als sie alle zusammen noch in Steinhausen gewohnt hatten, ab und zu eine zierliche Siebenjährige mit langem schwarzem Haar und traurigen dunklen Augen gesehen hatte.
»Ja, natürlich«, erklärte er. »Das Mädel, das so früh die Eltern verloren hat, nicht wahr?«
Dr. Daniel nickte, obwohl sein Sohn das nicht sehen konnte. »Richtig. Darinka lebt bei ihren Großeltern und die sind ein wenig… na ja, sagen wir altmodisch eingestellt. Sie selbst hören offensichtlich nur Volksmusik und erwarten von Darinka, daß sie sich auch nur dafür interessiert. Und mit dem Fernsehen sieht es ähnlich aus. Darinka hat während des Gesprächs mit mir eine Bemerkung fallen lassen, die vermuten läßt, daß sie unter Gleichaltrigen allmählich in eine Außenseiterposition rutscht, und da dachte ich…«
»Laß nur, Papa«, fiel Stefan ihm ins Wort. »Bring der Kleinen die Sachen. In meinem Zimmer verstauben sie ohnehin nur.«
»Danke, Stefan, das ist lieb von dir«, meinte Dr. Daniel.
»Ich weiß«, entgegnete sein Sohn, und an seiner Stimme hörte Dr. Daniel, daß er grinste. »Ich bin überhaupt ein netter Mensch.«
Dr. Daniel lachte. »Und eingebildet bist du auch nicht.«
Er zögerte einen Moment und fragte dann: »Kommt ihr am Wochenende wieder?«
»Papa, heute ist Montag«, wandte Stefan ein. »Glaubst du wirklich, Karina und ich wissen heute schon, was wir am Wochenende machen werden?«
»Ich komme nach Steinhausen!«, erklang im Hintergrund Karinas Stimme.
»Hast du gehört, Papa?« fragte Stefan. »Deine Tochter wird dich mit ihrem Besuch beehren. Auf mich wirst du möglicherweise verzichten müssen. Ich habe in den vergangenen Jahren am Stadtleben Gefallen gefunden. Hier ist einfach mehr los als in Steinhausen.«
Nur mit Mühe konnte Dr. Daniel einen Seufzer unterdrücken. Seit Stefan von zu Hause ausgezogen war, und er ihn nicht mehr so unter Kontrolle hatte, befürchtete er manchmal, daß sein Sohn das Studium ein wenig schleifen ließ. Irgendwie schien er sich für alles andere mehr zu interessieren.
»Stefan, deine Arbeit… ich meine, dein Studium… das leidet doch hoffentlich nicht unter deinen… anderen Interessen«, brachte Dr. Daniel zögernd hervor.
»Papa, mußte das jetzt sein?« fragte Stefan gereizt. »Ich habe dir gestern doch schon gesagt, daß ich ein guter Arzt werden will. Warum kannst du mir nicht einfach vertrauen?«
»Es tut mir leid, Stefan«, erklärte Dr. Daniel ein wenig zerknirscht. »Es ist nicht mangelndes Vertrauen, das mich so reden läßt. Ich weiß, wie ehrgeizig du sein kannst, wenn du willst. Aber ich weiß auch, wie leichtsinnig du manchmal bist, wenn es ums Lernen geht. Das warst du in der Schule schon. Du hast einige Male schlechte Noten bekommen, weil du dich nicht lange genug hinter deine Bücher geklemmt hast.«
»Ich war immer ein guter Schüler«, begehrte Stefan auf, dann fügte er mit offener Bitterkeit hinzu: »Dafür hast du mit deiner unerbittlichen Strenge schon gesorgt.« Er schwieg kurz. »Und was mein Studium betrifft, so habe ich dir gestern ebenfalls gesagt, daß das eine Sache ist, die nur mich etwas angeht.«
Dr. Daniel seufzte. »Ja, und genau das ist es. Es wäre für mich oftmals leichter, wenn du mit mir über dein Studium sprechen würdest.«
»Das will ich aber nicht, und so leid es mir tut, Papa, du mußt das akzeptieren.« Stefan wußte, daß er seinen Vater mit diesen harten Worten verletzte, und plötzlich tat ihm sein Verhalten leid. Er hatte das dringende Bedürfnis, seinem Vater etwas Nettes zu sagen, und er wußte auch genau, was Dr. Daniel hören wollte. »Papa, mach dir keine Sorgen. Ich mache nächstes Jahr mein Examen, und ich verspreche dir, daß du stolz auf mich wirst sein können.«
Diese Worte trieben Dr. Daniel Tränen der Rührung in die Augen, und für einen Moment wünschte er sich, seinen Sohn hier zu haben, um ihn in den Arm nehmen zu können.
»Ich war immer stolz auf dich, Stefan«, gestand er leise. »Und… ich hab dich sehr lieb, mein Junge.«
»Ich hab dich auch lieb, Papa – wenn ich es auch nicht immer so zeigen kann.«
*
Am Dienstagmorgen kam endlich der Brief, auf den Dr. Daniel schon so dringend wartete. Einen Augenblick lang hielt er den Umschlag in der Hand und betrachtete ihn. Was mochte der Inhalt dieses Briefes wohl für Kerstin Wenger bedeuten?
Dann riß Dr. Daniel das Kuvert mit einem entschlossenen Ruck auf und faltete den Briefbogen auseinander. Mit geübtem Blick überflog er die Zeilen, dann atmete er auf.
»Frau Kaufmann, bringen Sie mir bitte die Karte von Kerstin Wenger«, bat er seine Sprechstundenhilfe, und als er das Gewünschte in Händen hielt, hob er den Telefonhörer ab und wählte die angegebene Nummer.
Kerstin war selbst am Apparat, und an ihrer etwas gehetzten Stimme erkannte Dr. Daniel, daß sie immer noch große Angst hatte.
»Frau Wenger, Sie müssen sich keine Sorgen mehr machen«, erklärte Dr. Daniel gleich nachdem er sich zu erkennen gegeben hatte. »Der Befunde war eindeutig negativ. Das heißt, daß es sich nicht um Krebs, sondern nur um eine Entzündung handelt.«
»Gott sei Dank«, seufzte Kerstin, und Dr. Daniel konnte sogar durchs Telefon ihre Erleichterung hören.
»Ich stelle Ihnen ein Rezept aus, das Sie sich im Laufe des Tages abholen sollten«, fuhr er fort. »Es handelt sich dabei um ein Antibiotikum, das Sie eine Woche lang nehmen müssen. Am ersten Tag nehmen Sie zwei Tabletten, an den folgenden Tagen jeweils eine. Und in zwei Wochen kommen Sie dann bitte zur Nachuntersuchung.«
»Ist in Ordnung,