Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman - Marie Francoise


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Mittagessen kannst du an eine Erdbeertorte denken?«

      Karina zuckte die Schultern. »So bis in zwei, drei Stunden habe ich bestimmt wieder Hunger. Also, was ist? Gehen wir?«

      Dr. Daniel und Stefan wechselten einen kurzen Blick, dann standen beide auf.

      »Na schön«, stimmte Dr. Daniel zu. »Auf, zum Waldcafé.«

      *

      Um seine Frau ein wenig abzulenken, hatte Helmut Wenger an diesem strahlend schönen Sonntagnachmittag einen kleinen Spaziergang vorgeschlagen. Hand in Hand schlenderten sie durch den angenehm kühlen Wald, der gleich am Ortsrand von Steinhausen begann.

      Ganz tief atmete Helmut durch. »Diese Luft hier! Wenn man die atmet, dann kann man kaum glauben, daß ein paar Kilometer weiter eine riesige Chemiefabrik steht.«

      »Die uns noch irgendwann alle umbringen wird«, vollendete Kerstin bitter.

      Helmut zuckte die Schultern. »Was soll ich dagegen tun? Der alte Bergmann ist sturer als zehn Esel.« Dann winkte er ab. »Heute will ich nicht darüber reden. Es ist Sonntag. Ab morgen muß ich mich ohnehin wieder mit dem ganzen Mist befassen.«

      Inzwischen hatten sie den zwischen majestätischen Tannen sehr idyllisch gelegenen Waldsee erreicht. Das glasklare Wasser glitzerte im Licht der hereinfallenden Sonne und lud zum Baden ein, doch wenn man die eisige Quelle kannte, die den See speiste, konnte man sich diesen Wunsch schnell wieder verkneifen.

      »Hier könnte man alle Sorgen vergessen«, seufzte Kerstin und blickte versonnen auf den See hinaus.

      Impulsiv nahm Helmut sie in die Arme. »Vielleicht ist alles ja nur halb so schlimm. Dr. Daniel hat doch gesagt, daß es nicht zwangsläufig Krebs sein muß.«

      Kerstin zuckte die Schultern. Das redete sie sich auch immer wieder ein, aber die Angst in ihr blieb trotzdem.

      »Gehen wir noch auf einen Sprung ins Waldcafé?« versuchte Helmut abzulenken. Gerade heute wollte er keine trübsinnige Stimmung aufkommen lassen. Vielleicht war es das letzte Mal, daß er und Kerstin so unbeschwert zusammensein konnten.

      Kerstin zögerte. Eigentlich hatte sie keine Lust, sich jetzt unter andere Menschen zu mischen. Andererseits war der Gedanke an die ausgezeichneten Kuchen und Torten, die es im Waldcafé gab, zu verlockend, als daß sie hätte ablehnen können.

      »Einverstanden, Helmut, gehen wir ins Waldcafé«, stimmte sie zu.

      Doch auf diesen Gedanken schien fast ganz Steinhausen gekommen zu sein, denn als das Ehepaar das hübsch gelegene Café erreichte, waren die Tische im Garten vollständig belegt.

      Kerstin und Helmut wechselten einen Blick.

      »Was machen wir denn jetzt?« fragte Kerstin dann. »Ich habe keine große Lust, mich bei diesem schönen Wetter in die Gaststube zu setzen.«

      »Frau Wenger!«

      Die männliche Stimme ließ sie herumfahren, und dann sah sie sich ganz unverhofft Dr. Daniel gegenüber.

      »Herr Doktor«, erklärte sie überrascht. »Sie sind auch hier?«

      Dr. Daniel lächelte. »Meine Tochter hat uns sozusagen gewaltsam hergeschleift.« Dann wandte er sich Helmut zu und reichte ihm die Hand. »Guten Tag, Herr Wenger. Wir haben uns ja eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

      »Stimmt. Ich freue mich, daß Sie wieder hier sind.«

      »Möchten Sie sich nicht zu uns setzen?« bot Dr. Daniel an. »Zumindest so lange, bis ein Tisch frei wird.«

      Kerstin nickte. »Das Angebot nehmen wir gern an, Herr Doktor.«

      Sie und Helmut folgten dem Arzt zu einem der größeren Tische direkt am Waldrand.

      Die Begrüßung fiel sehr herzlich aus, dann nahmen Kerstin und Helmut Platz, und auf einmal breitete sich leichte Befangenheit aus. Dr. Daniel ahnte den Grund.

      »Ich glaube nicht, daß Sie sich allzu große Sorgen machen sollten«, erklärte er so leise, daß nur Kerstin ihn verstehen konnte. »Wie ich Ihnen in München schon sagte, kann es sich auch um eine Entzündung handeln.«

      »Wenn es nur so wäre«, seufzte Kerstin, dann sah sie den Arzt mit allzu flehendem Blick an. »Ich habe schrecklich Angst, Herr Doktor.«

      Dr. Daniel zögerte einen Moment. Er hätte gern eingehender mit Kerstin Wenger gesprochen, doch im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht war hier im übervölkerten Garten eines Cafés wohl nicht der passende Ort dazu.

      »Kommen Sie morgen früh zu mir in die Praxis«, schlug er daher vor. »Dann können wir noch einmal ausführlich über alles sprechen.«

      Kerstin war sichtlich erleichtert. »Danke, Herr Doktor.«

      Und plötzlich entspann sich auch ein lockeres Gespräch. Irene gab ein paar lustige Begebenheiten aus dem Büro in Kiel, in dem sie bis vor ein paar Jahren gearbeitet hatte, zum besten, über die alle herzhaft lachen konnten, und Helmut Wenger imitierte seinen Chef so perfekt, daß sich die kleine Gesellschaft köstlich amüsierte.

      »Ich nehme an, daß sich in der CHEMCO in den vergangenen fünf Jahren nicht viel verändert hat«, vermutete Dr. Daniel, nachdem die Wellen der Heiterkeit ein wenig verebbt waren.

      Helmut Wenger winkte ab. »Sie kennen doch den alten Bergmann! Da muß erst ein ganz schrecklicher Unfall geschehen, damit er endlich mehr Sicherheitsvorkehrungen trifft.«

      »Na, das wollen wir ja nicht hoffen«, entgegnete Dr. Daniel besorgt. »Unfälle in Chemiewerken fordern meistens große Opfer.« Er schwieg kurz. »Hat er inzwischen wenigstens einen Werksarzt eingestellt?«

      Helmut schüttelte den Kopf. »Er denkt nicht einmal daran. Seit Wochen rede ich mir den Mund fusselig, aber jedesmal speist er mich mit der lapidaren Bemerkung ab, ein Werksarzt wäre völlig überflüssig.«

      Fassungslos schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Wie begründet er denn eine solche Behauptung?«

      »Überhaupt nicht. Das heißt…, einmal hat er gesagt, wenn ein Unfall passiert, dann könnte ein Werksarzt auch nicht viel ausrichten, denn Verletzte könnten nur in einem Krankenhaus richtig versorgt werden.«

      »Womit er nicht ganz unrecht hat«, gestand Dr. Daniel ein. »Natürlich gehört in eine Firma in der Größenordnung der CHEMCO ein Werksarzt, denn nicht jeder Unfall erfordert gleich eine Einweisung ins Krankenhaus. Aber wenn natürlich etwas wirklich Schwerwiegendes passiert, dann genügt es eben meistens nicht, wenn nur ein Arzt anwesend ist.«

      Helmut Wenger nickte. »So wie damals, als das mit Metzler passiert ist.« Obwohl der Vorfall mit seinem einstigen Kollegen schon über zwanzig Jahre zurücklag, erschütterte ihn die Erinnerung daran noch immer. Vielleicht deshalb, weil er selbst erst gerade volljährig gewesen war und den schrecklichen Unfall völlig hilflos hatte miterleben müssen.

      Auch Dr. Daniel erinnerte sich noch genau an die tragische Geschichte.

      »Soviel ich weiß, hätte der Mann damals nicht sterben müssen, wenn er schnell genug in eine Klinik gekommen wäre«, meinte er.

      Helmut Wenger nickte. »Und wenn vor allem ein fähiger Arzt in der Nähe gewesen wäre, der Erste Hilfe hätte leisten können. Aber Metzler mußte sterben, und seine Frau stand plötzlich mit drei Kindern allein da.« Er schwieg kurz und dachte dabei an den fünfzehnjährigen Jungen, der so voller Haß auf den Chef der CHEMCO gewesen war. »Wissen Sie eigentlich, was aus Wolfgang geworden ist?«

      Dr. Daniel nickte. »Er hat Medizin studiert und ist dann nach Amerika gegangen. Angeblich wollte er an die Mayo-Klinik.« Er schmunzelte. »Und ich halte ihn für ehrgeizig genug, daß er es auch geschafft hat.«

      »Könntet ihr euch jetzt vielleicht wieder etwas allgemeineren Themen zuwenden, damit wir auch ein wenig mitreden können?« fragte Karina. »Immerhin hat das alles stattgefunden, bevor ich zur Welt gekommen bin, und für Geschichte hatte ich noch nie viel übrig.«

      Dr. Daniel lachte. »Stimmt.


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