Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman - Marie Francoise


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Ihre Gedanken waren schon ganz woanders.

      »Stell dir vor, Darinka, ich muß am Montag das erste Mal zum Frauenarzt«, erzählte sie.

      »Zum Frauenarzt?« wiederholte Darinka gedehnt. »Was willst du denn da?«

      Katrin zuckte die Schultern. »Ich habe letzte Woche zum ersten Mal meine Tage bekommen, und da dachte meine Mutter, es wäre jetzt an der Zeit, einen Frauenarzt aufzusuchen.«

      »Deine Tage«, murmelte Darinka. Sie hatte keine Ahnung, wovon die Freundin sprach, genierte sich aber, ihre Unwissenheit zuzugeben.

      Prüfend sah Katrin sie an. »Du hast sie noch nicht, was?«

      Darinka überlegte, was sie nun antworten sollte. Wenn sie nein sagte, dann hielt Katrin sie vielleicht noch für ein Kind. Sagte sie aber ja, so konnte sie in Gefahr geraten, daß die Freundin mit ihr über diese ominösen Tage näher sprechen wollte.

      »Nein«, antwortete sie daher. Lieber wurde sie für ein Kind gehalten, bevor sie womöglich als Lügnerin entlarvt wurde.

      Katrin winkte ab. »Sei froh! Meine Güte, das ist vielleicht ein ekelhaftes Zeug! Und dieser Termin beim Frauenarzt baut mich auch nicht gerade auf. Stella war bei einer Ärztin in der Kreisstadt. Die soll furchtbar grob sein. Stella hat bei der Untersuchung angeblich schrecklich geweint.«

      Darinka schluckte. »Und… wohin gehst du?«

      »Zu Dr. Daniel. Mutti ist schon seit vielen Jahren bei ihm. Die letzten fünf Jahre mußte sie deswegen immer nach München fahren, aber ab Montag praktiziert er wieder hier in Steinhausen.« Katrin schwieg kurz. »Ich habe ihn ja früher schon ab und zu mal im Ort gesehen, und er ist auch sehr nett, aber Angst habe ich trotzdem. Immerhin ist er ja ein Mann, und der fummelt dann bei mir da unten rum.« Mit einer ausholenden Bewegung umschrieb sie ihren Unterleib.

      »Mußt du denn unbedingt hin?« wollte Darinka wissen. »Ich meine… immerhin bist du doch auch erst zwölf geworden. Und Frauenarzt… ich dachte immer, der ist nur für Frauen.«

      Katrin zuckte die Schultern. »So was Ähnliches bin ich ja auch, seit ich meine Tage habe. Stell dir vor, ich könnte jetzt ein Kind bekommen.«

      Darinka schwieg. Sie hatte von all diesen Dingen keine Ahnung. Ein einziges Mal hatte sie ihre Großmutter gefragt, woher denn die Babys kommen, aber Oma hatte behauptet, die brächte der Storch. Das hatte Darinka natürlich nicht geglaubt, aber sie hatte nicht gewagt weiterzufragen. Dieses Thema war ihrer Großmutter sichtlich unangenehm gewesen.

      Für einen Moment kämpfte sie mit sich, ob sie Katrin fragen sollte. Offensichtlich kannte sich die Freundin auf diesem Gebiet ja bestens aus, doch die Scham über ihre Unwissenheit hielt Darinka erneut davon ab. Katrin würde sie vermutlich nur auslachen.

      »Was glaubst du, sollte ich auch mal zu Dr. Daniel gehen?« fragte sie statt dessen.

      Katrin schüttelte den Kopf. »Das wäre doch Unsinn, Darinka. Du hast ja noch nicht mal deine Tage. Was willst du dann beim Frauenarzt?«

      Darinka dachte an das Blut und die Schmerzen, die immer wiederkehrten. Ob das vielleicht diese seltsamen Tage waren? In diesem Augenblick beschloß sie, bei Dr. Daniel einen Termin zu vereinbaren. Wie Katrin erinnerte auch sie sich noch an den Arzt, der vor fünf Jahren ganz plötzlich aus Steinhausen weggegangen war. Er hatte ihr ein paarmal Äpfel aus seinem Garten geschenkt und ab und zu mal eine Tafel Schokolade.

      »Ich glaube, ich gehe jetzt doch noch auf eine Stunde ins Freibad«, erklärte Katrin und riß Darinka damit aus ihren Gedanken. »Willst du wirklich nicht mitkommen?«

      Darinka schüttelte den Kopf. »Nein, Katrin.« Und dann fiel ihr plötzlich eine glaubhafte Ausrede ein. »Ich habe Oma versprochen, ihr beim Marmeladeeinkochen zu helfen.«

      Katrin nickte, dann winkte sie der Freundin kurz zu. »Also, bis bald!«

      Darinka legte sich in der Wiese zurück. Ihre Gedanken beschäftigten sich wieder mit Dr. Daniel, und der Entschluß, gleich am Montag in seiner Praxis anzurufen, festigte sich.

      *

      Den restlichen Samstag über und fast den halben Sonntag hatte Dr. Daniel versucht, wenigstens einen Teil der Erinnerungen an Christine aus seiner Wohnung zu verbannen. Vor allen Dingen das Schlafzimmer hatte er völlig umgestaltet, sonst hätte er keine ruhige Nacht darin verbringen können. Die Sehnsucht nach seiner Frau hätte ihn schier umgebracht.

      Jetzt sah er sich in der zum Teil neugestalteten Wohnung um und war zufrieden mit seinem Werk. Das Klingeln an der Tür riß ihn aus seiner Betrachtung.

      »Das müssen die Kinder sein!« rief er erfreut und eilte die Treppe hinunter.

      »Hallo, Papa!« Seine einundzwanzigjährige Tochter Karina umarmte ihn so stürmisch, als hätte sie ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, dann strich sie sich das lange goldblonde Haar zurück und strahlte ihren Vater an.

      »Es ist schön, wieder hier zu sein«, erklärte sie voller Überzeugung.

      In der Zwischenzeit hatte Stefan Daniel seinen betagten Kleinwagen abgeschlossen und kam nun auch auf die Villa zu. Seine dunklen Locken drehten sich widerspenstig nach allen Seiten und gaben ihm trotz seiner vierundzwanzig Jahre noch etwas Lausbubenhaftes.

      Dr. Daniel ging ihm ein paar Schritte entgegen und legte einen Arm um seine Schultern.

      »Stefan, ich freue mich, daß ihr gekommen seid«, meinte er.

      Der junge Mann lächelte. »Wir müssen dir bei deinem neuen Einstand doch beistehen.« Dann blickte er an der Fassade empor und gestand: »Für uns ist es auch nicht ganz einfach.«

      Dr. Daniel drückte ihn einen Augenblick an sich. »Ich weiß schon, Stefan. Ihr vermißt eure Mutter noch immer. Aber… mir fehlt sie auch ganz schrecklich.«

      »Gehen wir hinein?« fragte Karina, und an ihrer Stimme konnte Dr. Daniel hören, daß sie plötzlich Angst vor diesem Schritt hatte.

      Er ging seinen Kindern voran die Treppe hinauf und trat dann in die Wohnung. Karina und Stefan folgten ein wenig zögernd und sahen sich dann fast ängstlich um.

      »Es sieht… ein wenig anders aus als früher«, bemerkte Stefan.

      Dr. Daniel nickte. »Das mußte ich tun, sonst hätten mich die Erinnerungen erdrückt.«

      Karina schmiegte sich einen Moment lang an ihren Vater. »Ich bin froh, daß du es getan hast. Mutti hätte sicherlich nicht gewollt, daß die Villa zu einem Mausoleum wird, und wir nur in der Erinnerung an sie weiterleben.«

      »Genau das habe ich mir auch gedacht«, stimmte Dr. Daniel seiner Tochter zu.

      Erst jetzt trat Irene auf den Flur. Sie hatte sich absichtlich im Hintergrund gehalten, um ihrem Bruder und seinen Kindern erst mal Gelegenheit zu einer ausgiebigen Begrüßung zu geben.

      »Tante Irene«, rief Karina erfreut aus. »Meine Güte, wir haben uns ja seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

      Stürmisch umarmte sie die geliebte Tante.

      »In Zukunft werdet ihr mich regelmäßig zu Gesicht bekommen«, versprach Irene. »Vorausgesetzt, ihr findet ab und zu den Weg von München nach Steinhausen.«

      »Heißt das, du bleibst jetzt hier?« wollte Stefan wissen, nachdem auch er die Tante begrüßt hatte.

      Irene nickte. »Ich muß mich doch ein bißchen um euren Vater kümmern, nachdem ihr beide ihn schon so schmählich im Stich gelassen habt.« Mißbilligend schüttelte sie den Kopf. »Daß man in eurem Alter schon eine eigene Wohnung braucht. Wir sind eben zu Hause geblieben, bis wir geheiratet haben, und dann begann ein neuer Lebensabschnitt, aber…«

      »Aber Karina und ich studieren«, fiel Stefan ihr ins Wort, während er liebevoll einen Arm um ihre Schultern legte.

      »Schau mal, Tante Irene, deine Ansichten sind total veraltet. Heutzutage soll ein junger Mensch selbständig sein, bevor er sich in einer Ehe bindet.«

      Irene nickte.


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