Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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eine kalte Dachkammer nahe beim Laufer Schlagturm, eine kalte Kammer mit geringem Hausrat. Der Mond schaute vom schwarzblauen Himmel in das kleine Fenster und malte die sechseckigen Scheiblein auf die weißen Dielen. Und im bleichen Mondlichte saß Georg Portners alte Magd auf einem Holzstuhle und hielt Klein-Dorel in ein Tuch gehüllt auf dem Schoße.

      »Wie schön der Mond scheint!« staunte das Kind und wandte immer wieder das bleiche Gesichtchen zu der goldfunkelnden Scheibe empor.

      »Leis, Dorel, ganz leis, daß die Frau Mutter und das Brüderlein nit aufwachen!« raunte die alte Magd.

      »Aber mich hungert, Liesi,« sagte das Kind mit weinerlicher Stimme.

      »Leis, Dorel, ganz leis, gut's Dorel, lieb's Dorel!« raunte die Magd. »Nur noch ein bissel Geduld, gleich wird ja der Herr Vater kommen!«

      »Wohin ist der Vater gegangen, Liesi, sag?«

      »Der Herr Vater ist 'gangen, den reichen Vetter besuchen und Geld holen, Dorel, und wenn er das Geld hat, kauft er Brot, und paß nur auf, wie bald er da sein wird mit dem Brot, der Herr Vater!«

      »Liesi, das sagst du jetzt immer schon, und er kommt ja doch nicht. Liesi, da, schau, da brennt mich's, da im Magen!«

      »Komm, Dorel, darauf merken wir gar nit! Horch, Dorel, ich will dir was erzählen! Dorel, was soll ich dir denn erzählen, sag?«

      »Ach ja, Liesi, erzählen!« bat das Kind und schmiegte sich an die alte Magd.

      »Aber was denn, Dorel?«

      »Erzählen!« sagte das Kind und schloß die Augen.

      »Horch nur, dort, wie gut sie schläft, die Frau Mutter, horch nur, wie tief sie schnauft! Nu, was denn, Dorel? Von den drei steinernen Jungfrauen, Dorel?«

      Das Kind schüttelte den Kopf.

      »Oder vom Holzfrauerl?«

      Das Kind schüttelte abermals den Kopf. »Liesi,« flüsterte es und öffnete die großen Augen, »mich hungert.«

      »Oder vom großen Hans?« fragte die Magd eifrig.

      »Das Märlein von Theuern, Liesi! Bitte, bitte, das Märlein von Theuern!«

      »Aber, Dorel, das ist ja gar kein Märlein!«

      »Du hast mir's aber doch so oft erzählt, Liesi?«

      »Vorm Herrenhaus zu Theuern stehen hohe Lindenbäum', und führt eine steinerne Brucken über den Graben. Und auf der steinernen Brucken sitzen zwei steinerne Hirschen, rechts einer, links einer –« begann die alte Magd.

      »Du, Liesi, was ist denn ein Herrenhaus?«

      »Ein großes Haus, wo Herrenleut' wohnen, hat viele Kammern und Stuben.«

      »Und gelt, Liesi, du bist selber einmal schon in Theuern gewesen?«

      »Tapperl, bin ja fünfzig Jahr' drin aus- und eingegangen im Herrenhaus zu Theuern! Und bist ja du selber geboren, Tapperl, im Herrenhaus zu Theuern, weiß noch wie heut.«

      Das Kind sah nachdenklich aus den großen Augen. »Sag, Liesi, warum sind wir denn von Theuern fortgegangen, wenn dort solch ein schönes Haus ist?«

      »Weil da böse Leut' im Land wohnen zu Amberg, nah' bei Theuern, die sind dem Herrn Vater feind und haben uns vertrieben,« raunte die Greisin und machte ein zorniges Gesicht.

      »Und gehen wir also nie mehr nach Theuern, Liesi?« fragte das Kind und sah erwartungsvoll auf.

      »Schon, schon, Dorel, aber noch nit gleich, müssen halt noch ein bissel warten,« flüsterte die Magd geheimnisvoll.

      »Wie lange denn, Liesi?«

      »Nimmer lang, Dorel, dann kommt ein großmächtiger König mit vieltausend Soldaten, und der führt den Herrn Vater schnurstracks nach Theuern zurück.«

      »Mit einer goldenen Krone?« fragte das Kind, und seine Augen leuchteten.

      »Mit einer Krone von Gold und Edelgestein,« raunte die Magd.

      »Aber, Liesi, wo bleiben dann wir?«

      »Wir? Ja, Dorel, wir fahren alle nach Theuern, hinter dem großmächtigen König. Und paß auf, Dorel, horch, da wirst schauen! Hinterm Herrenhaus zu Theuern ist auch ein Garten, und in dem Garten stehen hundert und hundert Apfelbäum' und Birnbäum' –«

      »Voll von Aepfeln und Birnen, Liesi?« fragte das Kind begehrlich.

      »Voller Aepfel und Birn', Dorel.«

      »Liesi, mich hungert, ich möcht' einen Apfel.«

      »Jetzt wart nur, Kind, jetzt muß ich ja doch von Theuern erzählen! Ja, Dorel, in Theuern ist's arg, arg schön. Da rinnt ein Fluß mitten durchs Dorf, und es hat in Theuern einen hohen Kirchturm, und in der Kirchen dort da liegen dein Großvater seliger und deine Großmutter selig begraben, und noch viele, viele Leut' aus deiner Freundschaft.«

      »Hast du meinen Großvater und meine Großmutter gekannt, Liesi?«

      »Ei freilich, warum sollt' ich denn unsre selige Herrschaft nit gekannt haben, Dorel?«

      »Liesi, du mußt aber schon alt sein – sag?«

      »Zweiundsiebenzig, Dorel.«

      »Und ich fünfe vorbei,« sagte das Kind nachdenklich. »Und wie alt bin ich denn gewesen, da wir in dem schönen Hause wohnten, Liesi?«

      »Ein Jahr bist alt gewesen, Dorel, da sind wir fortgezogen.«

      »Du, Liesi, hat der Ohm Hansjörg auch dort gewohnt?«

      »Ei ja freilich, wo denn?«

      »Du, Liesi, wo ist er denn jetzt?«

      »Der ist zu dem großmächtigen König geritten, Dorel,« raunte die Magd.

      »Und die Muhme?«

      »Die ist auch bei ihm, Dorel.«

      »Du, Liesi, mich hungert, ich halt's nimmer aus,« jammerte das Kind. »Da, schau, da brennt mich's im Magen. Gieb mir doch ein Stückel Brot, Liesi!«

      »Aber, Herr Jesus, Dorel, ich hab' ja kein Krümmel Brot. Wart nur, Kind, noch ein bissel nur wart, gleich muß der Herr Vater kommen und bringt uns Brot. Ich will dir ja auch noch viel erzählen von Theuern, sei gut, liebs Dorel.«

      »Ich mag das Märlein von Theuern nimmer hören! Liesi, bitte, geh mit mir zum Bäcker, der hat ja doch Brot, Liesi, weißt, vorn an der Ecke!« bettelte das Kind.

      Der alten Magd rannen zwei dicke Thränen herunter: »Das halt' aus, wer will,« murmelte sie.

      »Was, Liesi?«

      »Sei gut, liebs Dorel.«

      »Bitte, Liesi, bitte!« schmeichelte das Kind und versuchte, sich aus der Hülle zu befreien.

      »Jetzt wart nur ein bissel, Dorel, ich will horchen, ob die Frau Mutter nichts brauchen thut. So – da – nu bleib ganz ruhig stehen.«

      Sie ging auf den Fußspitzen an die Kammerthüre und lauschte. Dann kam sie zurück, schlug hastig das Tuch kreuzweis um das Kind, nahm es an der Hand und ging leise mit ihm aus der Thüre.

      *

      Hans Andre Portner von Rieden stand in seiner warmen Wohnstube, und vor ihm stand sein Neffe Georg.

      »So, so, Jörg, hm. Also auch in Nürnberg? Ich möchte dir gerne Platz anbieten, aber ich habe einen wichtigen Gang – na, soll mir nicht ankommen auf etliche Minuten, bitte, setze dich!«

      »Danke,« kam die Antwort zurück. »Ich will den Herrn Vetter nicht lange stören.«

      »Von stören hab' ich nichts gesagt,« murmelte Hans Andre und blickte an Georg vorbei. »Also in Nürnberg? Das ist ja eine rechte Ueberraschung.«

      »Ich habe den Herrn Vetter jüngst schon vor der Lorenzerkirche gegrüßt, aber da hat mich der Herr Vetter


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