Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
und viel war zu lesen auf welsch von vertu, honneur und fidélité, unter traurige Abschiedsworte hatte ein anderer in der Weinlaune ein nichtsnutziges Sprüchlein hingeschmiert – jetzt stand es da seit hundert Jahren –, wir sahen feste Männerzüge bei zierlicher Frauenhand, alles bunt durcheinander, gleichsam Federzeichnungen aus einer entschwundenen Zeit.
Dann kamen alte, schöngemalte Stammtafeln mit Wappen und Arabesken, kunstvolle Ketten und Ringe – längst moderten die Finger und Gelenke, die sich stolz mit ihnen geschmückt hatten – und während die Matrone das alles zeigte, erzählte sie ruhig und freundlich von Freud und Leid der Vergangenheit; ich hätte stundenlang schauen und hören mögen.
»Was ist denn das?« rief da auf einmal der Vater und zeigte auf ein großes Pastellbild in einer verschossenen, blauen Samtkapsel.
»Auch ein Kerdern«, sagte die Dame leise. »Vielleicht später von ihm. Sehen Sie sich einstweilen das Bild an.« Dabei wandte sie sich ab und begann, die Sachen wieder in die Laden zu legen.
Es war das Kniestück eines Knaben von hinreißender Schönheit. Er hatte ein goldgesticktes Jagdgewand an, die kleine Rechte umspannte den Griff eines Hirschfängers, mit der Linken hielt er den schwarzen Federhut. Trotzig schaute er aus blauen Augen, der schmale Mund war fest geschlossen, das ungepuderte Haupthaar hing ihm in die eckige, große Stirne und fiel in schwarzen Locken auf die Schultern hernieder.
Lange besahen wir das Bild. »Sollte man's glauben, daß er zum Geschlechte gehört?« sagte der Vater. »Er sieht so fremd aus!«
Dann gaben wir die Kapsel unserer Wirtin hinüber.
Es war Essenszeit geworden. Zwei Stunden hatten wir uns mit den alten Sachen beschäftigt und hatten geglaubt, es wären nur wenige Minuten. Daß die Urkunde auch hier nicht lag, wußten wir, als die Greisin den Schreibtisch schloß und uns zu Tische bat. Sie hatte uns wohl alles gezeigt, was sie besaß, und so fragten wir sie auch nicht mehr weiter danach.
Der Vater gab der Cousine den Arm, ich ging allein hinter den beiden in das Speisezimmer. Mir dünkt, ich hätte nichts dagegen gehabt, wäre eines der lieblichen Mädchen aus seinem Goldrahmen dort oben herabgestiegen und hätte gesagt: »Ihren Arm, s'il vous plaît, monsieur cousin!« – –
Nach dem Diner schlenderten der Vater und ich auf den verschlungenen Wegen des Parkes umher. Die Ruhe nach all den vielen Eindrücken that uns sehr wohl.
Als wir wieder in die Nähe des Schlosses kamen, sahen wir die alte Dame unter ihren Blumen auf der Terrasse stehen. Wir traten herzu und verloren uns im Gespräche mit ihr bald wieder unter die Bäume. Nach dieser Seite des Parkes waren wir vorhin nicht gekommen. Je weiter wir gingen, desto tiefer hingen die Zweige über den Weg herein, feines Gras lugte zwischen dem Kies hervor, und die Bäume standen so dicht, daß kein Sonnenstrahl durch ihr Geäste dringen konnte. Offenbar gab unsere Verwandte die Richtung an, und ich wunderte mich, daß sie uns in diesen abgelegenen Teil des Parkes führte.
Da lichteten sich plötzlich die Bäume, wir traten auf einen freien Platz und standen vor einem kleinen Mausoleum aus blendend weißem Marmor.
»Das Grab meines seligen Mannes,« sagte die alte Frau und trat still mit gefalteten Händen an das niedere; schwarze Gitter der Thüre. Dort stand sie mit geneigtem Haupte und schien zu beten, und auch wir standen ehrfürchtig vor der geweihten Stätte und entblößten die Häupter.
Wir kehrten sodann auf demselben Wege zurück auf die Wiese, die hinter dem Schlosse lag, und gingen unter die große Linde, die mit ihren langen Ästen wie mit einem Zeltdache die grüne Fläche beschattete.
Die Dame bat, wir sollten uns an den kleinen Gartentisch unter den Baum setzen. Sie selbst ging ins Haus und kam nach kurzer Zeit wieder.
Ich bemerkte, daß ihr Antlitz ein klein wenig lebhafter als vordem gefärbt war. Sie setzte sich nun auch zu uns und legte ein Quartheft, das in festes, schwarzes Papier gebunden war, vor sich auf den Tisch.
Dann sprachen wir von verschiedenen Dingen. Sie erzählte uns von ihrem Leben, das im Sommer und im Winter gleichmäßig und ohne große Veränderungen dahinfließe. Nur der Herbst bringe mancherlei Abwechslung; da kämen die Kinder ihres Sohnes aus der Hauptstadt und genössen ihre Ferien in dem großen Park, auf dem weiten Hofe, in den Ställen und, wenn es gerade regne, in dem Stübchen der Großmutter.
»Ich habe Ihnen noch nichts von meinem Bruder, dem Oberst, erzählt,« sagte die Greisin plötzlich, »und von seinem Sohne und,« setzte sie leise hinzu, »von dem alten Bild in der blauen Samtkapsel.« Dann wandte sie sich zu mir und fragte: »Wollen Sie dieses Heft nehmen und das vorlesen, was darinnen steht? Ich weiß, daß es für Sie beide von Interesse sein wird.«
Ich nahm das Heft und schlug es auf. Eine schöne, klare Schrift sah mir entgegen. Ich begann zu lesen:
»Mein Sohn Georg! Du wirst in den nächsten Tagen das Haus Deines Vaters verlassen, und ich werde allein zurückbleiben. Du weißt, daß ich beim Abschiednehmen nie viele Worte mache; ich bin niemals ein Mann von vielen Worten gewesen. Aber Dein Gehen betrübt mich sehr, ich weiß ja gar nicht, ob ich bei meinem Alter und bei meiner schlechten Gesundheit Dich noch sehen werde.
Deshalb entschloß ich mich, Dir einen kleinen schriftlichen Abschied auf die Hochschule mitzugeben und darinnen einiges aufzuzeichnen, was Dir Fingerzeige für Deine Zukunft zu geben vermag. Merke sie; denn die Worte der Alten sind Wegweiser für die Jungen; wenn sie sich danach richten, dann werden sie nicht viel in der Irre gehen; wenn sie aber auf eigene Faust ihre Straße suchen, dann müssen sie oft großes Weggeld zahlen.
Ich wurde gerade erst fünfzehn Jahre alt, als der Krieg gegen Rußland begann. Alle Welt war voll von dem Namen Napoleon. Ihr jungen Leute wißt das gar nicht, wie sehr dieser Mann damals nicht allein über die Länder, sondern auch über die Herzen der Menschen herrschte. Aber es war eine Herrschaft des Schreckens, und wenn man an ihn dachte, so dachte man dabei nur an Krieg und Not.
Mein Vater haßte diesen Mann, wie er sonst nie einen Menschen haßte. Oft sagte er von ihm: »Gott hat ihn aus seiner Niedrigkeit emporgehoben, wie er der giftigen Pest aus dem Sumpfe hervorzukriechen gebietet, wenn er ihrer zur Züchtigung der Menschen bedarf. Ist seine Zeit um, dann wird er ihn vor aller Welt wegwerfen, was wir vielleicht bald erleben werden.« Er hat es nicht mehr erlebt; aber, bei Gott, ich hab' es gesehen!
Ich wollte, so jung ich war, mit in den Krieg gegen die Russen.
Ich weiß es noch, wie wenn es gestern gewesen wäre: es war ein kalter Abend, und den ganzen Tag über waren starke Regengüsse gefallen. Die Stadt lag voll von Truppen, und bis in den Abend dauerte das Trommeln. Ich hatte eine besondere Ungeduld, ging im dämmerigen Zimmer auf und ab und zählte die Minuten an den Zeigern der Wanduhr. Dabei dachte ich, daß es jetzt wohl längst entschieden wäre. Aber ich wußte nicht, wie.
Der Reitknecht des Vaters kam, zündete die Kerzen an und deckte den Tisch. Er warf neue Scheiter in den Kamin, und das Feuer schlug hoch empor. Dann ging er.
Meine Ungeduld wurde größer. Ich trat an den Kamin und stieß den Feuerhacken unter die brennenden Klötze, ich trat ans Fenster und sah in die Dunkelheit. Ich weiß es genau, was ich an jenem Abend that.
Zuletzt warf ich mich in den alten Lehnstuhl des Vaters, und nun begegnete mir etwas Seltsames. Eine Mahnung magst Du es nennen.
Ich erfuhr des öftern solche Mahnungen, wenn mir im Leben wichtige Veränderungen bevorstanden. Gewöhnlich war es irgend eine starke Erinnerung. So auch damals, als ich nicht Herr über meine Ungeduld zu werden vermochte.
Meinem Stuhle gerade gegenüber hing das Bild meiner Mutter, hell beleuchtet. Du kennst es ja, das Bild. Ich hatte – gleich Dir – meine Mutter sehr früh verloren. Ich war noch nicht sieben Jahre alt, als sie starb. Als ich nun so dasaß und ungeduldig wartete und verloren in meinen Gedanken auf das Bild hinsah, da kam es mir auf einmal vor, als schauten die großen, blauen Augen besonders gütig auf mich herab und wollten mein unruhiges Herz zu sich emporziehen. Es ergriff mich eine starke Sehnsucht nach der toten Mutter, und ich mußte weinen. Nun bin ich mir heute nicht klar darüber, ob ich wachte oder träumte, aber das weiß ich: auf einmal war mir's,