Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
den Schwachen gehörte. Sagen Sie ihm auch den Spruch, den ich unter mein Wappen schrieb, den Spruch: »Ich will«. Es kam aber immer das, was ich nicht wollte, und was ich wollte, das kam nicht.
Seit einigen Nächten plagt mich ein Traum. Ich schreite durch einen langen, dunklen Gang. Am Ende ist eine starke Thüre. Aus einem Spalt sehe ich ein glänzendes Licht. Ich weiß nicht, warum ich durch die Thüre will. Ich reiße daran mit aller Kraft. Sie geht aber nicht auf. Und immer mehr reiße ich und reiße mir die Hand blutig. Dann wache ich auf und liege in Schweiß. Alle Nacht. Was ist das nur für eine Thüre? Ich weiß es nicht. Wenn nur Sie . . . Sie machten wohl die Thüre auf . . . . Ohne Sie komme ich nicht durch die Thüre. Erzählen Sie den Traum meinem Bruder. Und ihr . . . .
Ach, was habe ich da gestern geschrieben, sie ist ja tot. Ich bin so schwach. Ihr Gesicht sehe ich immer, ihre blonden Haare wickeln sich um meine Finger. Jetzt habe ich noch einen Traum; jetzt kommt sie immer selber. Sie hat einen Schleier und ist schön und lebt. Heute Nacht kam sie so an mein Bett. Ich schrie vor Freude, weil sie lebte und alles gut war. Da kam sie noch näher, riß den Schleier ab. Es war ein Totenantlitz, das sagte: »Ich bin deine vergeudete Jugend.« Da schrie ich wieder, nebenan im Stall krähte der Hahn, ich erwachte. Heute bin ich wieder klar. Wenn nur die Träume und die Thüre nicht wären! Wenn ich doch beten könnte! Was beten! Ich will nicht. Aber meinem Bruder sollen Sie alles sagen. Meinem Vater nichts. Der hat sie ja wie eine Tochter geliebt. Der kann mir nicht verzeihen. Oder doch vielleicht, wenn er wüßte, daß ich in der Qual liege.
All mein Geld habe ich den Leuten gegeben, die mich von der Straße aufgehoben haben und hier liegen lassen. Der Pfarrer wird den Brief besorgen. Heute kommt er zum Siegeln.
Wenn nur Sie da wären . . . . Herr Pastor, der Brief ist für meinen Bruder. Leben Sie wohl.
Veit von Kerdern, Lieutenant.«
* * *
Ich hielt inne. Die alte Frau trocknete sich die Augen, mein Vater sah ernst vor sich nieder.
Dann nahm ich das zweite Blatt und las:
»Mein Pflegesohn! Ich sage Dir zu dem Briefe nichts weiter, es bleibe Dir alles so, wie es der Fieberkranke selbst geschrieben hat. Alles andere sind Dinge, die in ihren Einzelheiten vergessen und vergraben sein sollen. Es hing viel falsches Gold, viel Flitter an dieser Liebe, Eitelkeit und Kurzsichtigkeit und gefährliche Tändelei. Tausendmal tausendmal hat dieselbe Geschichte schon gespielt, tausendmal tausendmal wird sie noch spielen, die Welt zuckt die Achseln darüber und geht ihre Wege weiter. Du nimm den Brief und lies daraus das nackte, unverhüllte Ende solcher Geschichten. Das wollte Dein Bruder. Gott gebe ihm sein ewiges Leben. Ich hoffe, es ist ihm die Thüre noch aufgethan worden. Ich schöpfe diese Hoffnung aus einem Briefe des dortigen Pfarrers, den ich vernichten mußte. Wenn Du einmal ganz allein mit Deinem Vater zusammen bist, vielleicht vor einer Schlacht, dann laß ihn den Brief lesen. Ich habe es versucht und keinen Erfolg gehabt. Vielleicht findest Du die rechte Stunde.
»Nun aber noch ein paar Worte, weil ich Dir sehr zugethan bin.
»Es ist ein gewaltiges Wesen in dem schwachen Weibe. Wohl keiner von uns Männern geht durch das Leben, ohne daß er einmal unter diesem Einflusse gestanden wäre, sehr vielen geben die Frauen überhaupt unmerklich ihre Lebensrichtung.
»Möge Dir Gott, der Dir die Mutter versagt hat, solche Frauen in den Weg führen, die Dich emporheben und in hellen Kreisen halten. Aber unterscheide die Frauen wohl, und höre aus der Tiefe meiner Erfahrung ein untrügliches Kennzeichen:
»Du wirst mit Männern mancher Art zusammenkommen und wirst an ihnen die verschiedensten Weltanschauungen kennen lernen, Du wirst solche sehen, die am Alten hängen mit allen Fasern ihres Seins, Du wirst auch solche sehen, die das Alte weggedacht, meist wohl wegverloren haben. Und diese werden in der Mehrzahl sein, sie gehen ihre Wege, leugnen die alten Lehren ihrer Kindheit, zehren, ohne es zu wissen, noch immer mit dem Verstande an der reichen Erbschaft des Glaubens und können so ihren irdischen Beruf wohl ausfüllen. Aber das Weib, das Gott verloren hat und sich frei dünkt, das hat auch sich selbst verloren und ist eine Unfreie geworden; denn das Weib ist ja zum Glauben geboren, es muß glauben und vertrauen in allen Lebenslagen. Es muß der Mutter glauben, weil es vom Leben nur sehr wenig sieht, es muß dem fremden Manne glauben und vertrauen, der es zur Ehe begehrt, und wehe ihm, wenn es in stolzer Sicherheit den Glauben an seinen Gott verliert. Denn das Weib trägt ein großes Herz in der Brust, in diesem Herzen wohnen seine besten Güter, Glauben und Vertrauen, und wenn dies Herz gottverlassen wird, dann liegt es bald ganz öde und kalt, und böse Geister halten ihren Einzug in den verlassenen Raum.
»Solche Frauen meide. Sie sind arm und können Dir nichts geben, und wenn sie auch noch so geistreich wären. Meide solche, sie sind tönendes Erz und klingende Schellen.« – –
Ich nahm das Heft des Obersten und las weiter:
»Behalte die Briefe; sie sind ganz mürbe, weil ich sie immer bei mir getragen habe. Auf dem Briefe meines Bruders siehst Du halbverwaschene Zeilen. Es sind Thränen, die mein Vater am Abend vor Polozk darüber vergossen hat. Ich saß dabei und sah ihn zum erstenmal weinen und wußte, daß er ihm nun verziehen habe.
»Noch eines, Georg! Du gehörst zu denen, welche sich bald die Herzen der Menschen durch ihr einnehmendes Wesen gewinnen, und viele Wege werden sich Dir in Eile ebnen, welche andern oft lange unzugänglich sind. Mißtraue dieser Eigenschaft; denn nichts verdirbt den Charakter mehr, als die allgemeine Beliebtheit. Es ist schön, mit vielen Menschen in Frieden zu leben; befreundet kannst Du nur mit wenigen sein; das liegt im Wesen der Freundschaft. Zudem ist das Leben ein Kampf allerorts, und es geziemt dem Manne dieses: wenn sein Name genannt wird, dann sollen die einen sich freuen, die andern aber die Zähne aufeinanderbeißen. Geh keinem Ehrenhandel aus dem Wege; denn die Ehre gleicht einem Ei ohne Schale. Sorge, daß das Recht auf Deiner Seite sei, versuche alles, damit der Friede erhalten werde. Stehst Du aber, dann stehe ohne Haß. Sonst wehe Dir! Gehe im Frieden und kämpfe. Wieso im Frieden gehen und kämpfen? Georg, das Leben des Jünglings ist ein Ringkampf des Geistes mit dem Fleisch. Den kämpfe brav und nimm Dir zu Herzen den Wahlspruch meines Vaters:
»Sei unverdrossen und laß und laß nit ab.«
* * *
Ich hatte geendet und wollte das Heft weglegen. Da sagte die alte Frau, ich solle doch auch den Brief lesen, der zwischen den letzten Blättern liege. Ich sah nach und fand ihn. Der Brief lautete also:
»Lieber Vater! Wenn Du diese Zeilen vor Augen bekommst, dann habe ich einen schweren Gang hinter mir und habe alle, die mir lieb sind, verlassen. Ich las oft in dem Hefte, das Du mir gabst. Ich danke Dir für alles, was Du mir darin geschrieben hast. Vater, Hermann wird Dir alles erzählen, wie es mit diesem unseligen Duell gewesen ist. Ich bin schwer daran gegangen; aber ich mußte ja die Ehre meiner Braut verteidigen. Hermann wird Dir alles sagen, er muß gleich zu Dir reisen. Vater, ich glaube, Du hättest sie sehr geliebt. Sie hat ein großes Herz, wie es Dein Lehrer schrieb, und gute Geister wohnen darinnen. Hermann wird Dir ihren Namen nennen. Besuche sie, ich glaube, sie wird sehr schwer leiden. In den nächsten Wochen hätte ich Dir über sie geschrieben. Gräme Dich nicht, lieber Vater. Es ist ja nur eine kurze Zeit. – Eines wußte ich in der letzten Woche nicht: ob ich noch beten könne mit diesem Vorhaben. Jetzt weiß ich es, ich kann's. Und ich werde auch morgen so stehen, wie Du mir geschrieben hast: ohne Haß.
Lebe wohl, lieber Vater. Grüße die Tante von mir, die gute Tante. Es ist doch gut, daß die Mutter nicht mehr lebt. Gott behüte Dich, Vater. Die Welt ist mir sehr enge, überall stoßen sich meine Gedanken. Aber hoch über mir wölbt sich der Himmel. Gott sei uns allen gnädig!
Dein Georg.«
* * *
Es war schon dunkel, als wir nach einem langen Rundgang durch die Prachtgemächer des Schlosses in der altmodischen Stube Abschied nahmen.
Dann fuhren wir in dem offenen Wagen vom Hofe. Noch einmal schwenkten wir die Hüte und riefen ein Lebewohl zurück.
Sternklar war die Nacht. Hinter uns versank