Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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ich nimmer erwartet in meinen alten Tagen. Ja, das letzte Examen, das hab ich wohl alleweil vor Augen gehabt und hab mir gar viel auf die Gnade des Heilands zu gut gehalten. Hab demütig vor unsern Herrgott hintreten wollen und bin, wenn ich's recht bedenk, wohl doch stolz gewest auf das, was ich inner der vierzig Jahren gethan hab: ist mir seltsam, wie viele Winkel das menschliche Herz hat, so einer selber nit kennt. Ich fürcht mich vor der Prüfung, so die Neuburgischen jetzo mit mir und meinem Werk anfangen werden. Zwar für mein eigene Person ist's mir nit leid; mich könnten sie meinethalben morgen ins Elend treiben, dieweil es allerorten auf Erden ganz gleich weit in den Himmel hinauf ist. Aber, Jörg, ich sag Euch, das wird wohl, soviel ich die Menschen kenne, einen schreckhaften Abfall geben, und darauf hab ich große Angst. Jetzt wird's bald heißen, wie anderer Orten auch, Ehr und Hab und Gut mit Unehr und mit dem Bettelstab eintauschen – oder papistisch werden. Und da werden gar viele, die bis jetzt gedacht haben, daß sie gut lutherisch sind, auf einmal die Sach von einer andern Seiten anschauen. Da kommen dann die irdischen Respekt auf Weib und Kind, und viele schwere Gedanken machen den geraden Weg dunkel. Anreizungen und Bedrängnisse werden zusammenhelfen, und bald wird's so sein, daß nur grad keiner anfangen mag, weil's ja der Nachbar auch noch nit than hat. Dann wird dann bloß einer das Exempel geben dürfen, damit die andern alle nachlaufen. Ja, Jörg, in dem Feuer werden nit viel bleiben. Nit als ob unsere Sach schwach wär; aber die Menschen sind schwach, allenthalben dieselbigen.

      Da ist mir's jetzt ein großer Trost gewesen, daß ich just Euch zuerst gesehen hab, wie mir das alles durch den Kopf gegangen ist.«

      Und dann hat er mir die Hand gedruckt und ist weiter gegangen. Ich hab nichts gesagt. Aber es ist mir auf einmal ein starker Muth ins Herz gezogen, ich hab mich höher aufgerichtet und hab mir mit leiser Stimm den Vers gesungen:

      »Und wenn die Welt voll Teufel wär

       Und wollt uns gar verschlingen,

       So fürchten wir uns nit so sehr,

       Es soll uns doch gelingen. – –

       Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib,

       Laß fahren dahin. Sie habens kein Gewinn,

       Das Reich muß uns doch bleiben.«

      Der das zuerst gesungen hat, der hat gewußt, was um die Anfechtung ist, und hat sie bezwungen. Warum sollten wir sie nit auch bezwingen?

      So kriegt einer gar oft einen großen Mut, wenn ein anderer mit einem traurig gewest ist. Es ist grad, als ob's leichter zum tragen wär.

      Indem sind wir auf den Fleck kommen, wo meine eigenen Grundstück anheben, wo ein Acker am andern, eine Wiesen an der andern liegt bis weit hin zu dem Föhrenwald drüben, der auch mir zugehört, wohl an die dreihundert Tagwerk.

      An dem Fleck bin ich oft gestanden mit meiner seligen Hausfrauen, und da haben wir uns immer gefreut, wenn ein neues Äckerl ums andere hat hinzu gekauft werden können, und gar oft haben wir hinübergeschaut auf die böheimischen Berge, und ich hab meiner Katharina von den alten Geschichten erzählt und hab meine Freud gehabt, daß der Stamm jetzt im fremden Land so gute Wurzeln getrieben hat. Und wenn wir dann wieder heimwärts gangen sind, so hat von drüben her das Wildauer Schloß geschauet, und haben wir gewußt, daß da ein Weib im Glück sitzt, meine Schwester. Wie ich das jetzt alles denk, muß ich mich umschauen; da ist das Schloß am alten Fleck gestanden, aber ich bin alt geworden, und alles ist anders als ehevor. Meine Hausfrau ist tot, der alte Wildauer ist tot, und das Unglück hat sich zu seinem Weib an den Herd gesetzt; überall draußen ist Krieg und Totschlag, mein Jörg ist verschollen, und jetzt wollen sie uns auch noch unsern Glauben nehmen. Da ruf ich mein Enkelkind, das ist das einzige, was ich hab; das kommt herzu und fragt mich, ob wir heimgehen. »Ja, Kind«, sag ich, »wir wollen heimgehen,« und murmel zwischen den Zähnen:

      »Und wenn die Welt voll Teufel wär.«

      Ich wollt mein Enkelkind heimführen und hernach zu meiner Schwester nach Wildau gehen. Denn ich hab immer wieder an dem Hans sein Begehr denken müssen.

      Wie ich jetzt ins Städtl komm, seh ich vor dem Rathaus einen großen Haufen von denen Burgern, Weiber, und Kinder, und wie sie mir Platz machen, liegt da ein toter Mann mitten auf der Straßen auf einer Tannzweigbahren. Frag ich die Leut, was denn das wär; ich konnt's auch nit erkennen, ob der Mann aus dem Ort wär, weil sein Angesicht voll Blut und Geschmötz war. Antwortet der Burgermeister, das wär der Conntz Schwarz, den hätt die Wurzenliesel im roten Holz gefunden und der Hirt Andres hätt ihn auf der Bahre heraufgetragen, weil sie nit gewußt hätten, was Gerichtsbrauch wär. Er müßt erschossen worden sein.

      Währenddem er das sagt und ich's jetzt auch kenne, daß es der Conntz Schwarz ist, drängt sich sein Weib durchs Volk, ganz weiß, ohn einen Laut; alle machen ihr Platz, sie aber fällt auf den Leichnam, wischt ihm das Blut und den Unrat aus dem Gesicht, schaut ihm in die Augen, die schon ganz starr sind, reißt ihm's Pfaid auf, greift nach dem Herzen und wie sie sieht, daß alles aus ist, thut sie einen gräßlichen Schrei und bleibt liegen. Ich tret hin zu ihr, pack sie bei der Hand und sprech ihr Trostwort zu. Aber sie hat mich nit gehört. Zuletzt hab ich sie mit Gewalt forttragen lassen.

      Den Toten haben sie ins Rathaus gelegt. Ich aber bin auch hineingegangen, damit ich das protocollum über den Fall aufnähme, wie meines Amts als Richter ist.

      Da kommt der Hirt zu mir und sagt, er möcht mich unter vier Augen sprechen. Ich heiß alle hinausgehen, er aber hebt an und erzählt mir, wie daß vor zwei Tagen der Wildauer mit dem Conntz Schwarz in den Wald gegangen wäre und sie große Heimlichkeiten mit einander geredet hätten. Er wär im Jungholz gelegen und hätt's alles gehört. Frag ich, was das für Heimlichkeiten gewesen wären. Sagt der Hirt, sie hätten heftig miteinander gestritten und er hätt nur immer gehört, wie der Conntz Schwarz vom Botenmathes geredt hätt, den sie in der vorigen Wochen auf der Nürnberger Straßen erschlagen gefunden haben, und daß er wohl wüßt, wer's gethan hat, und daß er um fünfzig Gulden schweigen thät.

      Da ist mir's kalt und heiß geworden. »Weiter!« hab ich gesagt.

      Ja, weiter wüßt er nichts, sagt der Hirt, was sie noch mehr geredet hätten, das hätt er nimmer verstanden. Sie wären weiter ins Holz hineingangen. Hätt auch nichts von den Sachen ausgesagt, weil er sich nit in fremde Sachen einmengen wollt. Er wär froh, wenn er Frieden hätt. Heut aber, vor einer Stund, wär der Schwarz wieder ins rote Holz gangen, und bald darauf wär auch der Wildauer denselbigen Weg kommen. Er hätt nit sonderlich drauf geachtet, denn er wollt seine Ruh haben. Auch das hätt er nit sonderlich beachtet, wie bald darauf weit drinnen im Holz ein Schuß gefallen wär. Denn es werd gar oft geschossen. Wie aber nach einer Weile die Wurzenliesl aus dem Holz geloffen wär und geschrien hätt, daß der Conntz Schwarz tot drinnen läg, und wie er's richtig so gefunden hätt, da hab er ihn mit seinem Buben heraufgetragen und mach jetzt seine Aussag. Bät aber, daß man ihn nit in Ungelegenheiten bringen möchte.

      Wie ich das alles hör, mein ich, daß mich die Füß nimmer tragen. Denn jetzt konnt ich mir nit wohl was anders denken, als daß meiner Schwester Sohn ein zwiefacher Mörder wär.

      Ich sag dem Hirten, er soll's nit weiter reden und in der Nähe bleiben. Hernach schick ich gleich zween Amtsknecht nacher Wildau und laß den Hans vor mich fordern. Anders konnt ich's von Pflichtwegen nit machen. Aber bald darauf sagt im Ort einer dem andern ins Ohr, daß der Wildauer mit in den Handel verwickelt sein müßt.

      Wie ich meine Schreiberei fertig hab, geh ich ins Schloß hinauf in meine Behausung.

      Dabei hab ich mir meine Gedanken gemacht über dies und über das. Vor den Hausthüren hab ich im Vorübergehen die Leut beisammenstehen gesehen, die haben über die Sachen geredet, der eine so, der andere anderst. Und allenthalben haben sie sich an mich hergemacht und haben mich um meine Meinung gefragt von wegen der Religionsänderung, so die Neuburgischen mit uns vorhätten. Hab ihnen gesagt, was ich selber gewußt habe. Wie ich aber vor dem roten Ochsen vorbeikomme, waren die Fenster offen, und ich hör aus dem Geschrei eine gar laute Stimme, und wie ich horch, ist's der Ochsenwirt, der haut grad in den Tisch hinein und schreit: »Und wenn der Teufel selber nacher Hohendreß käm, papistisch werden wir nit.« Und sie schrieen alle, und war ein großes Saufen.

      Oben auf dem Kirchenplatz


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