Der Bergpfarrer Paket 3 – Heimatroman. Toni Waidacher
Haustochter nickte.
»Ja. Ihre Verlobte, nicht wahr? Sie hatte wohl vor, Sie zu überraschen, nehme ich an. Doch gerade, als die Damen in den Saal gehen wollten, wurde Ihrer Verlobten unwohl. Sie mußte sich ein wenig hinlegen. Die Damen haben das Zimmer am Ende des Flures. Auf derselben Etage wie Sie. Nummer einhundertelf.«
Ulli sah sie erstaunt an.
»Die Damen, sagen Sie? Frau von Werenhofen ist nicht allein?«
»Nein.« Anna Wieslinger schüttelte den Kopf und schaute in das Anmeldebuch. »Sie wird von einer Frau Reuter begleitet.«
Ulli nickte.
»Aha.«
Petra also. Das hätte er sich ja denken können.
Er bedankte sich und ging die Treppe hinauf. Als er vor der Tür des Zimmers stand, zögerte er einen Moment. Von drinnen waren gedämpfte Stimmen zu hören. Ulli nahm allen Mut zusammen und klopfte an.
*
Sebastian Trenker war schneller mit seiner Arbeit vorangekommen, als er gedacht hatte. Jetzt saß er in der Besucherecke seines Arbeitszimmers und schaute nachdenklich vor sich hin. Der Gedanke, daß Blasius Eggensteiner und Markus Bruckner gemeinsam etwas im Schilde führten, beschäftigte ihn, seit Max erzählt hatte, daß er den Geistlichen ins Rathaus habe gehen sehen.
Aber was konnte das sein?
In Gedanken war Sebastian schon viele Möglichkeiten durchgegangen. Aber natürlich war es müßig, wenn der entscheidende Hinweis fehlte. Es mußte etwas mit den beiden Gemeinden zu tun haben, überlegte der Bergpfarrer, mit St. Johann und Engelsbach.
Noch einmal überdachte er, was ihm schon zuvor durch den Kopf gegangen war. Sein Blick war dabei auf eine Karte gerichtet, die an der Wand hinter seinem Schreibtisch hing. Sie zeigte in recht großem Maßstab die drei Gemeinden des Wachnertales; eben St. Johann, Engelsbach und Waldeck.
Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
Es mußte jetzt sechs oder sieben Jahre her sein, daß die alte Magda Steinhäuser verstorben war. Eine in sich gekehrte Frau, die zurückgezogen gelebt hatte und kaum Kontakt mit ihren Mitmenschen gepflegt hatte. Sie war Besitzerin mehrerer Grundstücke gewesen, von denen sie eines der Kirche, St. Anna, vermacht hatte.
Sebastian stand auf und trat an die Karte, und was er dort sah, ließ eine Ahnung in ihm aufsteigen. Dieses bewußte Grundstück lag genau an der Gemeindegrenze zu St. Johann.
Lag hierin das Geheimnis begründet, das den Bürgermeister und den Seelsorger aus Engelsbach verband?
Nach dem Tode des letzten Geistlichen von St. Anna war die Pfarrstelle jahrelang unbesetzt geblieben. Wahrscheinlich hat in all dieser Zeit niemand mehr an das Legat gedacht. Bis auf Markus Bruckner möglicherweise. Wenn der jetzt auf die Idee gekommen war, das Grundstück der Kirche klammheimlich abzukaufen…, dann konnte er dort tun und lassen, was er wollte.
»Mal seh’n, was Ottfried dazu meint«, überlegte Sebastian halblaut.
Natürlich würde Blasius Eggensteiner das Grundstück nicht so ohne weiteres veräußern können. Anders als beim Jagdschloß ›Hubertusbrunn‹, das Sebastian Trenkers Eigentum war, gehörte es dem Pfarrer von St. Anna nicht.
Indes kannte der Bergpfarrer die wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Pfarrei und wußte, daß sein Amtsbruder schon mehrfach bei Bischof Meerbauer darüber geklagt hatte, daß ihm finanzielle Mittel fehlten, um seinen dringenden seelsorgerischen Aufgaben nachkommen zu können. Wenn er jetzt um die Erlaubnis bat, dieses Grundstück verkaufen zu dürfen, würde der Bischof möglicherweise keine Einwände haben. Für die Kirche war es im Moment nur ein Stück Land, das brachlag. Mehr Wert würde es haben, wenn der Bebauungsplan geändert würde…
Sebastian nickte. Es paßte alles zusammen. Markus Bruckner bot Pfarrer Eggensteiner einen annehmbaren Preis. Nicht zu hoch, aber auch nicht so wenig, daß dieser ablehnen konnte. Vielleicht zahlte der Bürgermeister sogar aus eigener Tasche, denn ein armer Mann war er nicht.
War er erst einmal als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, würde er dafür sorgen, daß der Gemeinderat den Bebauungsplan änderte, und mit dem Verkauf der einzelnen Parzellen hätte er sich eine goldene Nase verdient. Oder er verpachtete das Grundstück an ein Konsortium, wie er es schon einmal geplant hatte, das dann darauf einen dieser monströsen Hotelneubauten errichtete.
Der gute Hirte von St. Johann nickte vor sich hin.
Noch konnte es gut sein, daß seine Vermutungen nicht in allen Einzelheiten stimmten. Doch im großen und ganzen glaubte Sebastian sicher zu sein, daß es sich so und nicht anders verhalten müsse.
Bruckners verlegene Reaktion am Telefon war ein erster Hinweis gewesen, daß der rührige Bürgermeister mal wieder etwas geplant hatte, das ihm schon zu Zeiten ein Denkmal als Wohltäter der Region setzen sollte. Und jetzt schien auf einmal alles sonnenklar zu sein.
Zufrieden setzte sich Sebastian wieder in seinen Sessel und ging noch einmal die Fakten durch. Ein Gespräch mit Ottfried Meerbauer würde gleich nächste Woche auf der Tagesordnung stehen. Und dann würde er sich noch einmal mit dem Bruckner-Markus unterhalten müssen.
Diesmal aber nicht am Telefon, sondern von Angesicht zu Angesicht. Er war gespannt, was der Bürgermeister ihm auf seine Fragen antworten würde.
Der Geistliche freute sich jetzt schon auf das Gespräch!
*
Petra öffnete und ließ ihn eintreten. Ulli nickte ihr zu.
»Würde es dir etwas ausmachen, mich mit Constanze allein zu lassen?« bat er. »Wir können sonst auch in mein Zimmer gehen.«
»Schon gut«, antwortete sie. »Ich wollte ohnehin ein bißchen an die frische Luft.«
Sie nahm ihre Jacke und verließ das Zimmer.
Ulli ging zu Constanze, die immer noch im Sessel saß. Bei seinem Eintreten hatte sie aufgesehen. Ein gequältes Lächeln umspielte ihre Lippen.
»Hallo«, sagte sie leise.
Er setzte sich ihr gegenüber.
»Warum bist du hergekommen?« fragte er.
Die hübsche Frau rang die Hände.
»Weißt du das nicht selbst?« fragte sie zurück. »Kannst du dir das nicht denken?«
Er nickte. Natürlich konnte er das. Er hätte sogar damit rechnen müssen, daß sie in Aachen alles stehen und liegen ließ und herkam.
Ulli räusperte sich.
»Ich wünschte, du hättest es nicht unter diesen Umständen erfahren«, sagte er. »Viel lieber wäre es mir gewesen, ich hätte mich zu Hause mit dir ausgesprochen und nicht am Telefon.«
Constanze lachte bitter auf.
»Wo ist da der Unterschied? Ob zu Hause oder per Telefon, Schluß ist Schluß. Aber warum, Ulli? Deshalb bin ich dir nachgereist, um diese Frage beantwortet zu bekommen.«
»Natürlich. Das ist dein gutes Recht. Aber zunächst möchte ich mich entschuldigen, daß ich nicht gewartet habe, bis ich wieder zu Hause bin. Ich wollte es, doch an diesem Abend, da war mir so klar, daß ich Eva die Wahrheit sagen mußte. Über uns und unsere Beziehung, die doch schon lange keine mehr war.«
»Eva heißt sie also. Aha, nun weiß ich wenigstens ihren Namen.«
»Ich verstehe, daß du verbittert bist«, sagte er eindringlich. »Aber ich versichere dir, daß Eva nichts mit meiner Entscheidung zu tun hat.«
»Bist du dir da wirklich so sicher?« rief sie mit erhobener Stimme. »Wenn du sie nicht kennengelernt hättest, würdest du mich dann auch abgelegt haben wie einen getragenen Anzug? Ganz abgesehen von all dem, was du damit aufs Spiel setzt?«
Ulli schüttelte den Kopf.
»Dein Vergleich ist nicht fair. Ich betrachte dich nicht als einen alten Anzug,