Leni Behrendt 6 – Liebesroman. Leni Behrendt
Adele zu Ende denken konnte, sprach der Hausherr den Namen aus.
»Unser braver Stephan hat Sie wohl nicht zu knapp unter die Lupe genommen, meine Damen?« fragte er schmunzelnd, worauf Adele gleichfalls schmunzelnd zurückgab: »Das kann man wohl sagen. Wir mußten erst dem Kreuzfeuer seiner und der drei Hunde Blicke standhalten, ehe wir die Gnade hatten, das Schloß betreten zu dürfen. Er nannte uns zwar nicht direkt Gesindel, sprach jedoch das Wort bedeutsam aus.«
»Ganz Stephan«, lachte die Hausherrin und die andern mit ihr. »Seitdem wir mit Fremdlingen einige böse Erfahrungen gemacht haben, beehrt unser Getreuer jeden hier Auftauchenden mit seinem Mißtrauen. Er ist von der fixen Idee besessen, uns schützen zu müssen. Daher wird jeder Fremde zuerst in das Turmgemach geführt und streng bewacht, von ihm und der Dogge Satan.«
»Wir etwa auch?« fragte Adele so entsetzt, daß die andern wieder herzlich lachen mußten. »Almut, da reißen wir aus!«
»So ängstlich, gnädige Frau?« fragte Marbod amüsiert. »Keine Bange, Sie sind nebst Töchterlein als ungefährlich von unserer Hauspolizei anerkannt und sogar als ›Menschen‹ und nicht als ›Leute‹ eingestuft worden. Und das hat bei unserm unbestechlichen Stephan schon etwas zu bedeuten.«
»Zu viel Ehre«, verbeugte sich Adele. »Ich bin nun neugierig zu erfahren, wie die Bewachung vor sich gegangen ist.«
»O nein –«, widersprach der Hausherr vergnügt. »Ganz so stilecht ging die Sache denn doch nicht vor sich. Haben die Damen denn gar nicht gemerkt, daß Sie eingeschlossen waren?«
»Nein –!« riefen sie wie aus einem Munde.
»Das tut unser Braver immer für alle Fälle. Dann verbringt er die Nacht in einem Stübchen, das neben dem Turmgemach liegt, hat Satan bei sich und sogar einen Revolver. Wehe dem, der einen Fluchtversuch wagen wollte –!«
»Oh, Möpschen –!« jubelte Almut, die ihre Keckheit bereits wieder hatte. »Dann können wir ja von Glück sagen, daß wir uns so unverdächtig verhalten haben.«
»Nein. Denn wie mein Sohn bereits sagte, sind die Damen von der Hauspolizei als ›Menschen‹ eingestuft worden. Sonst hätte Stephan Sie wahrlich den Weg zu uns nicht gehen lassen, sondern Sie in aller Würde mit Satans Hilfe heute früh aus der Burg hinauskomplimentiert, ohne uns von Ihrer Gegenwart unterrichtet zu haben. Ja, ja, wir stehen hier sehr unter der Fuchtel des Gestrengen.«
»Wie lange ist er denn schon hier?« erkundigte Almut sich mit blitzenden Augen.
»Solange ich denken kann, gnädiges Fräulein. Denn als ich das Licht der Welt erblickte, war er ein Knabe von sechs Jahren, als Sohn des Kammerdieners meines Vaters und der Kammerfrau meiner Mutter auf der Wettersburg ehelich geboren. Stephan betrachtete mich sogar als ein persönliches Eigentum, war mein sorgsamstes Kindermädchen. Wohl mir, daß meine Frau Gnade vor seinen Augen fand, sonst hätte er mich mit Nichtachtung gestraft sein Leben lang«, schloß er lachend.
»Wie wahnsinnig interessant –«, begeisterte sie sich mit blanken Augen. »Alles, was ich höre und hier erlebte, habe ich nur in alten Büchern gelesen und für Phantasie gehalten. Ach, ich wünschte, ich brauchte nie mehr von hier fort.«
»Dem steht ja nichts im Wege, mein Fräulein«, meinte Gräfin Erdmuthe liebenswürdig. »So ein frischfröhliches junges Menschenkind kann uns in unserer Einsamkeit nur angenehm sein. Also leisten Sie uns mit Ihrer Frau Mutter nur Gesellschaft, solange Sie mögen, das wird vielleicht auch für Sie beide eine Erholung sein. Im Winter reist es sich im Auto nicht gut, zumal in einer Gegend, die Ihnen unbekannt zu sein scheint.«
Jetzt schoß Almut das Blut bis zur Stirn hinauf. Verlegen die Augen senkend, murmelte sie: »Das mit dem Bleibenwollen war doch nur ein Scherz, Frau Gräfin. Wir sind Ihnen doch fremd und –«
Um den Mund der Dame zuckte ein humorvolles Lächeln, und humorvoll klang es auch, als sie sagte: »Nun, mein kleines Fräulein. Niemand, so fremd sind Sie uns nicht mehr. Haben uns im ›Wilden Jäger‹ doch bereits ganz nett angefreundet. Übrigens können Sie ja gar nicht fort. Jedenfalls nicht früher, bis die Schneeschmelze beginnt, so daß Sie mit Ihrem Auto vorwärtskommen können. Wenn Sie jedoch nicht gern bleiben–«
»Doch – oh, wie gern –«, hob Almut nun den Kopf und sah die Dame treuherzig an. »Aber –«
»Dann bitte kein Aber«, meldete sich nun der Hausherr. »Wenn Sie mögen, dann bleiben Sie ohne Bedenken hier. Wenigstens so lange, bis es Ihnen in der Einsamkeit hier langweilig wird. Sie müssen nämlich wissen, daß wir im Winter auf unserer guten alten Wettersburg sozusagen vom Leben abgeschnitten sind. Die nächste größere Stadt liegt ungefähr dreißig Kilometer entfernt, bis zur Kleinbahnstation sind es fünf, bis zur Großbahn gar zehn, zum Dorf sieben.
Mit dem Auto kommen wir nicht durch den hohen Schnee, können nur in Schlitten fahren, daher verirren sich auch die Nachbarn, deren Güter verstreut liegen, nur selten hierher. Also ist es nichts mit Gesellschaften, Theater, Kino, Konzert, Tanzvergnügen und Flirt, ohne das alles die Stadtdamen nicht leben können.«
»Ich schon, aber Almut bestimmt nicht«, meinte Adele trocken, und das Mädchen fuhr ungehalten auf: »Pfui, Möpschen, du bist abscheulich!«
»Laß nur, mein Kind«, wehrte sie ab. »Der Herr Graf hat dich schon ganz richtig eingeschätzt. Du bist nun einmal so ein unruhiger Geist, der sich für alles ebenso rasch begeistert wie ernüchtert. Du hast eben immer alles ›bald satt‹ –«, ahmte sie den Tonfall des Mädchens so treffend nach, daß die Gastgeber erheitert auflachten. Doch Almut blitzte Adele an, halb lachend, halb ärgerlich.
»Möpschen, schäme dich, mich so zu blamieren. Glauben Sie ihr bitte nicht, sie übertreibt fürchterlich.«
»Das glaube ich auch, gnädiges Fräulein«, meinte Marbod mit ironischem Lächeln. »Aber so sind die Mütter nun einmal. Sie übertreiben immer, im Guten wie im Schlechten. Gerecht bleiben sie nie.«
»Das mußt du ja wissen, mein Schlingel«, drohte die Mutter ihm zu. »Warten wir also ab, wie das kleine Fräulein sich entscheiden wird. Sie und ihre Frau Mutter sollen jedenfalls unsere Gäste bleiben, solange es ihnen hier gefällt.«
»Das ist äußerst liebenswürdig«, nahm Adele erfreut davon Kenntnis. »Und nachdem alles so wunderbar geklärt ist, wollen wir diese traute Runde verlassen und uns in unserm Turmgemach einrichten. – Vorausgesetzt, daß Stephan und die Hunde nichts dagegen haben.«
»Ersterer ist bereits gnädig gestimmt, und letztere können wir ja noch extra befragen«, blitzte es in Marbods Augen auf. Er stieß einen kurzen, scharfen Pfiff aus, und fast augenblicklich öffnete sich die Tür, durch welche die Dogge und der Jagdhund langsam schritten, während der Dackel sie durchraste.
»Darf ich vorstellen?« tat der junge Graf ernsthaft.
»Satan, Nimrod, Bösewicht nebst Stephan, des Hauses redliche Hüter. Wer ihnen verdächtig ist, den knurren sie selbst in unserer Gegenwart an, sonst geben sie artig die Pfote. Wollen Sie die Gesellen dazu auffordern, gnädiges Fräulein?«
»Komm, Satan, gib Pfote«, lockte Almut die Dogge, die bedächtig näherkam und sie eingehend unter die Nase nahm. Dann legte sie die große Pfote auf ihr Knie und sah sie abwartend an.
»Bist ein braver Kerl«, lobte das Mädchen entzückt. Streichelte ohne Scheu den mächtigen Kopf des Tieres, tat dasselbe bei Jagdhund und Dackel, die sich an ihre Seite drängten. Nun triumphierte sie: »Die Probe ist bestanden! Möpschen, nun versuche du, ob die Unbestechlichen auch dich gnädig anerkennen wollen.«
»Worauf du dich verlassen kannst. Kommt her, ihr Gesellen.«
Nachdem die Hunde auch sie eingehend unter Geruch genommen, streckten sich die beiden größeren zu ihren Füßen nieder, während der kleine sogar Miene machte, auf ihren Schoß zu klettern.
»Na also –«, nickte das Fräulein zufrieden. »Somit wäre die Freundschaft geschlossen. Jetzt können wir uns unbesorgt nach unserer Kemenate zurückziehen, damit wir die Herrschaften nicht länger stören, die