Die kalte Braut. Stefan Bouxsein

Die kalte Braut - Stefan  Bouxsein


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einfach. Dachte ich jedenfalls, bis ich eben deinen neuen Klingelton gehört habe. Das nächtliche Geschrei von deinem Kleinen genügt dir wohl nicht?«

      »Das war die Idee von Sabine. Sie meinte, ich würde mich auf diese Weise schneller daran gewöhnen, wenn der Kleine mitten in der Nacht losbrüllt.«

      »Aha. Und? Funktioniert es?«

      »Wenn er nachts losbrüllt, suche ich jetzt erst mein Handy und dann sein Fläschchen. Ich bin also besänftigt, wenn der Kleine schreit, weil es dann kein nächtlicher Anruf von Jensen ist.«

      »Psychologisch sehr gut durchdacht«, feixte Charly.

      »Meine psychologischen Kenntnisse probiere ich jetzt in der Praxis aus. Ich fahre ins Krankenhaus zu Sabine Lehmann. Vielleicht kann sie mir zu diesem Wurmbach etwas erzählen.«

      3

      Sabine Lehmann lag regungslos in ihrem Krankenbett und starrte an die Decke. Ein Polizeibeamter saß vor der Zimmertür und langweilte sich bei der Bewachung der mutmaßlichen Mörderin.

      »Guten Tag, Frau Lehmann«, begrüßte Siebels die Verdächtige höflich.

      »Ja, es ist ein guter Tag«, antwortete sie und lächelte versonnen. »Ein ruhiger und friedlicher Tag. Schön, dass Sie mich wieder besuchen kommen.«

      »Möchten Sie mir etwas erzählen?«

      »Was denn?« Sabine Lehmann schaute Siebels erstaunt an. Siebels schaute nicht weniger erstaunt zurück.

      »Können Sie sich an Ihr letztes Treffen mit Sven Müller erinnern?«

      »Ich kann mich nur an meine Träume erinnern. Alles andere ist wie ausgelöscht. Haben Sie über meinen Traum nachgedacht?«

      »Ich habe ihn sogar aufgeschrieben, damit ich nichts vergesse.«

      »Das ist gut«, seufzte Sabine Lehmann.

      »Kannten Sie einen Herrn Wurmbach? Detlev Wurmbach?«

      »Der ist tot.«

      »Sie kannten ihn also? Wissen Sie, wie er sich das Leben genommen hat?«

      »Vielleicht hat er auch so komische Träume gehabt?«

      Siebels wurde langsam ärgerlich. »Frau Lehmann, Sie stehen unter dem Verdacht, Ihren Lebensgefährten Sven Müller getötet zu haben. Sven Müller hat sich für den Selbstmord von Detlev Wurmbach interessiert. Herr Wurmbach war wie Sie ein Partner von Paulsen. Sie sollten mir langsam was erzählen.«

      »Ja, ich erzähle Ihnen am besten meinen Wüstentraum. Der ist sehr merkwürdig.«

      Bevor Siebels etwas erwidern konnte, legte Sabine Lehmann los.

       Der goldene Wüstensand glitzert in der hochstehenden Sonne. Soweit das Auge reicht, ist nur der feine glänzende Sand zu sehen, aufgetürmt zu erhabenen Dünen. Er brennt unter meinen nackten Füßen, doch ich spüre keinen Schmerz. Zielstrebig laufe ich durch die Wüste, immer der Sonne entgegen. Bekleidet bin ich mit einem weißen Brautkleid. Sein Weiß ist trotz meines Wüstenmarsches so rein und klar wie das Blau des wolkenlosen Himmels. Ich bin schon seit Stunden unterwegs, ohne einen Tropfen Wasser, ohne einem Menschen begegnet zu sein, ohne Rast und ohne Kompass. Ich schaue nicht nach links und nicht nach rechts, mein Blick geht starr geradeaus, immer auf die nächste Düne gerichtet. Endlich, nach unzähligen überquerten Dünen, erblicke ich einen Menschen. Ich stehe auf der Spitze des Sandberges und atme erleichtert durch, bevor ich die Düne wieder herabsteige. Unten sitzt eine alte Frau in einem Schaukelstuhl und wippt bedächtig im Sand. Als ich vor ihr zum Stehen komme, mustert sie mich von Kopf bis Fuß. Ihre schwarze Haut ist von der Sonne gegerbt.

       »Da bist du ja endlich«, spricht sie mich vorwurfsvoll an. »Hier ist die Grenze, bist du bereit?«

       Ich nicke selbstsicher und betrachte mir die unsichtbare Grenze. Auf beiden Seiten der Grenze gibt es nur Sand. Die alte Frau greift nach einer Kiste und gibt sie mir. »Beeile dich«, sagt sie. »Die Sonne geht bald unter.« Ohne zu antworten, laufe ich mit der schweren Kiste weiter. Als ich drei weitere Dünen überquert habe, erkenne ich in der Ferne aufgewirbelten Sand. Die Sonne steht schon tief. Das Gefährt, das den Sand aufwirbelt, bewegt sich in meine Richtung. Ohne zu zögern, setze ich die Kiste in den Sand, öffne sie und baue die darin enthaltenen Stangen und Rohre in kürzester Zeit zusammen. Der Wagen ist nur noch wenige hundert Meter von mir entfernt. Ich kann ihn mit bloßem Auge erkennen. Es ist ein weißer Jeep. Auf der Seite steht in großen schwarzen Buchstaben »UN« geschrieben. Zwei Männer sitzen in dem Jeep. Sie wurden geschickt, um den Frieden zu bringen. Ich bin gekommen, um sie in die Hölle zu schicken. Mit schnellen Bewegungen lade ich den Flugkörper in das Panzerabwehr-Raketensystem. Kurz danach spüre ich den Rückstoß und höre den lauten Knall. Mein Auftrag ist erfüllt. Ein tosender Feuerball folgt der lauten Explosion. Der Jeep hat sich in Rauch und Asche verwandelt. Die Sonne senkt sich langsam hinter den Dünen. Das tobende Feuer erhellt die friedliche Dämmerung. In der Wüste wird es kälter und ich mache mich auf den Rückweg. Ich muss wieder auf die andere Seite der Grenze.

      Zurück im Büro tippte Siebels auch diesen Traum aus dem Gedächtnis ab. Er druckte die Datei aus und heftete sie in eine Aktenmappe. »Die Träume der Sabine Lehmann«, schrieb er auf den Aktendeckel. Siebels zündete sich eine Zigarette an und dachte nach. Handelte es sich bei den zwei Männern in dem abgeschossenen UN-Jeep um Müller und Wurmbach? Waren die Träume der Sabine Lehmann ein verschlüsseltes Geständnis? Warum trug sie immer ein weißes Brautkleid? In beiden Fällen ging es unpassender gar nicht mehr. Siebels befürchtete, dass sich die Akte »Träume der Sabine Lehmann« in den nächsten Tagen noch füllen würde. Mit dem unguten Gefühl, einen ziemlich verzwickten Fall auf dem Tisch zu haben, rief er bei Till an.

      »Krüger«, meldete sich Till und hustete anschließend so lange in den Hörer, bis er glaubte, sein Zwerchfell platzen zu hören.

      »Klingst ja schon fast wieder gesund«, machte Siebels ihm Mut. »Eigentlich hatte ich gehofft, dass du morgen wieder auf der Matte stehst.«

      »Halt dich von Jensen fern«, flüsterte Till.

      »Das würde ich ja gerne, geht aber nicht, wir haben einen neuen Fall.«

      »Vergiss den Fall, Jensen ist gefährlich. Er verbreitet den Virus.«

      »Jetzt wohl nicht mehr, jetzt hast du ihn doch. Sieh zu, dass du ihn wieder loswirst. Ich brauche dich.«

      »Willst du ihn haben? Kein Problem, ich komme und bringe ihn dir mit.« Das Flüstern von Till ging erst in ein Krächzen und dann wieder in einen bellenden Husten über.

      »Nix da, ich habe ein Baby daheim. Trink heiße Milch mit Honig, nimm deine Medizin und lasse dich hier erst wieder blicken, wenn du fit bist. Es warten ein paar verrückte Träume auf dich, von einer Mordverdächtigen.«

       »Ohne mich bist du bei so was aufgeschmissen, ich weiß. Morgen schone ich mich noch, am Donnerstag bin ich bestimmt wieder einsatzbereit.«

      »Ohne dich klappt das auch noch ein paar Tage länger, kurier dich aus und dann kannst du hier wieder Gas geben. Charly ist schon voll drin im Fall. Gute Besserung.« Siebels beendete das Gespräch und verließ das Präsidium. Bevor er sich mit Andreas Wurmbach traf, wollte er noch einen Abstecher bei Herrn Paulsen machen.

      Joachim Paulsen führte seine Geschäfte in einer repräsentativen Villa in der Frauenlobstraße in Bockenheim, nicht weit von dem mit Wurmbach verabredeten Treffpunkt. Siebels fuhr langsam durch das ruhige Stadtviertel, exotische Länder hatten hier ihre Botschaften untergebracht und international agierende Anwälte ihre Kanzleien. Ein Jogger kam zwischen den Villen aus dem dahinterliegenden Grüneburgpark gelaufen, ein zotteliger Hund folgte ihm. Siebels parkte den Wagen am Straßenrand vor der Paulsen-Villa und rauchte noch eine Zigarette, bevor er sich dem Anwesen näherte. Beim Rauchen zählte er die Videokameras, die unauffällig an dem Gebäude angebracht waren. Drei Stück konnte er ausmachen, war sich aber nicht sicher, ob er alle entdeckt hatte. Langsam näherte er sich dem Grundstück,


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