Die kalte Braut. Stefan Bouxsein

Die kalte Braut - Stefan  Bouxsein


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Paulsen wandte sich seinem Rechner zu, klickte zwei Mal mit der Maus und drehte sich dann wieder zu Siebels. »Frau Lehmann befindet sich im oberen Drittel. Und das, obwohl sie keine großen Fische an Land gezogen hat.«

      »Dafür hat sie dann umso mehr kleine Fische im Netz?«

      »Ziemlich viele, ja.«

      »Vielen Dank für Ihre Zeit, falls es erforderlich sein sollte, melde ich mich wieder bei Ihnen«, beendete Siebels das Gespräch.

      »Ich muss mich wohl um Ersatz für die Mandanten von Frau Lehmann bemühen. Ich würde es begrüßen, wenn Sie mich informieren, sobald die Schuld oder Unschuld von Frau Lehmann bewiesen ist.«

      »Sie hören von mir. Auf Wiedersehen.«

      4

      Von der Frauenlobstraße zur Bockenheimer Warte waren es auch zu Fuß nur ein paar Minuten. Siebels hatte den Wagen vor der Paulsen-Villa stehen lassen und auf dem Weg noch eine Zigarette geraucht. Dr. Flotte hieß die Kneipe und das schon, solange Siebels denken konnte. Er hatte noch fünf Minuten Zeit, die nutzte er, um das verunglückte Gespräch mit Sabine nachzuholen.

      »Hi, ich bin es. Das war vorhin leider sehr ungünstig, jetzt kann ich reden.«

      »Jetzt bin ich am Wickeln, sehr ungünstig. Wir brauchen Windeln.«

      »Schon wieder? Wie kann so ein kleines Stück Mensch nur so massenhaft Windeln vollscheißen?«

      »Das frage ich mich auch manchmal, ist halt ein echter kleiner Siebels.«

      »Aha. Na dann. Also Windeln. Sonst noch was?«

      »Babyöl, Chips, Waschmittel und Nutella.«

      »Was ein Durcheinander, wer soll sich das denn merken?«

      »Soll ich dranbleiben, bis du alles im Einkaufswagen hast?«

      »Ich stehe gerade vor einer Kneipe und treffe gleich einen Zeugen. Danach geht’s dann zum Shoppen.«

      »Kneipe? Jetzt noch? Du bist Familienvater und musst dringend dein Leben neu organisieren. Und ich muss jetzt Schluss machen, sonst wird das nix mit der Wickelei hier.«

      »Ich organisiere jetzt erst mal einen schönen Platz in der Kneipe, bis dann. Wickel heil.«

      Kaum hatte Siebels das Gespräch beendet, kam ein Mann um die Ecke gelaufen, blieb vor dem Eingang zum Dr. Flotte stehen und schaute unschlüssig auf seine Uhr.

      »Herr Wurmbach?«

      »Ja, das bin ich. Und Sie sind von der Polizei?«

      »Ja, wir haben miteinander gesprochen. Kommen Sie, gehen wir rein, hier draußen wird es kalt.«

      In der Kneipe saßen ein paar Leute am Tresen, freie Plätze gab es noch genügend. Siebels ging zu einem Tisch am Fenster und betrachtete sich die Eintracht-Wappen an den Wänden. Hier sollte er mit Charly mal ein Bier trinken gehen, wenn die Eintracht spielte, dachte er und setzte sich. Im Moment spielten hier aber nur zwei Eintrachtfans, keinen Fußball, sondern Dart.

      »Ich komme gerade von Herrn Paulsen«, eröffnete Siebels das Gespräch.

      »Ein erfolgreicher Mann«, sagte Wurmbach mit zynischem Ton und nahm sich die Getränkekarte zur Hand. Andreas Wurmbach war Mitte vierzig, trug einen Ehering und Markenklamotten von Joop. Als der Kellner kam, bestellte er einen Rotwein. Siebels entschied sich für eine Cola.

      »Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?«

      »Ich bin Zahnarzt und habe eine eigene Praxis im Westend. Aber jetzt erzählen Sie mir doch einmal, wie Sie an mein Fax gekommen sind. Ich bin nämlich etwas verwirrt diesbezüglich.«

      Siebels erzählte Wurmbach vom Mordfall Sven Müller, von dessen Lebensgefährtin und Paulsen-Partnerin Sabine Lehmann und von seinem Besuch in der Wohnung des ermordeten Müller.

      »Aha, ich verstehe. Gegen Paulsen liegt also gar nichts vor?«

      »Nein, aber seitdem ich die Todesanzeige Ihres Bruders in der Hand hatte, spukt der Name Paulsen in meinem Kopf herum. Haben Sie Herrn Paulsen etwas vorzuwerfen?«

      »Den Tod meines Bruders.«

      »Soweit ich weiß, hat Ihr Bruder Selbstmord begangen.«

      »Ja, aber dafür gab es Gründe. Mein Bruder war immer sehr ehrgeizig gewesen. Aber er war auch labil und sensibel. Er hat dem Druck nicht standgehalten, dem er als Partner von Paulsen ausgesetzt war.«

      »Dann hätte er sich einen anderen Job suchen müssen. Wenn er bei Paulsen war, muss er einen hervorragenden Universitätsabschluss gehabt haben.«

      »Ja, er hat Betriebswirtschaft studiert und mit Prädikat abgeschlossen. Aber bei Paulsen war das nur die Eintrittskarte in die Hölle.«

      Siebels musterte den Zahnarzt und wusste nicht recht, was er von ihm halten sollte. »Warum haben Sie Müller die Todesanzeige gefaxt?«

      Der Kellner brachte Rotwein und Cola. Wurmbach nippte an seinem Glas, bevor er antwortete. »Müller war Journalist und recherchierte über Paulsen und Partner. Paulsen und seine Leute haben den Consultingmarkt in den letzten Jahren ziemlich aggressiv aufgemischt. Aber es gab und gibt kaum Informationen darüber. Die Wirtschaftspresse schweigt sich aus und die Konkurrenz schläft anscheinend.«

      Siebels trank einen Schluck Cola und suchte nach sinnvollen Fragen.

      »Hat Müller nur eine Scheinpartnerschaft mit Sabine Lehmann geführt, um an Informationen zu kommen?«

      »Das weiß ich nicht. Ich hätte eher gedacht, er hat erst Frau Lehmann kennen gelernt und ist dann auf die Idee gekommen, bei Paulsen zu recherchieren.«

      Siebels schob sich diesen Gedanken in eine seiner Gehirnschubladen. Das war eine Nuss, die Charly knacken sollte. »Wie kam es zum Kontakt zwischen Ihnen und Müller?«, wollte Siebels wissen.

      Wurmbach nippte wieder an seinem Wein. »Müller rief mich eines Tages in meiner Praxis an. Er suchte gezielt nach ehemaligen Paulsen-Partnern und war dabei auf meinen Bruder gestoßen. Obwohl es mittlerweile doch ziemlich viele Partner von Paulsen gibt, hatte Müller wohl große Schwierigkeiten, Ansprechpartner zu finden.«

      »Wann hat dieser Anruf stattgefunden?«

      »Das war vor etwa vier Wochen.«

      »Ihr Bruder hat einen Berg Schulden hinterlassen. Steht das im Zusammenhang mit seiner Partnerschaft?«

      Wurmbach nickte. »Detlev besuchte regelmäßig diese Seminare und die kosteten einen Haufen Geld. Pro Monat benötigte er etwa zweitausend Euro dafür. Er trug nur teure Maßanzüge, besaß eine Eigentumswohnung in bester Frankfurter Lage und fuhr Porsche.«

      »Wenn er auf großem Fuß lebte, können Sie das aber nicht Paulsen in die Schuhe schieben«, gab Siebels zu bedenken.

      »Das ist Standard, wenn man Partner bei Paulsen wird. Das bekommt man gleich beim ersten Seminar eingetrichtert. Erfolg ist sichtbar. Und wer Paulsens Partner ist, der hat Erfolg. Detlev wollte keinen Porsche. Aber fast alle Partner von Paulsen fahren einen. Die kaufen ihn alle beim gleichen Händler und Paulsen bekommt für jeden verkauften Porsche eine Provision. Nach dem zweiten Seminar hatte Detlev schließlich auch seinen 911er. Und mir wollte er dann auch einen schmackhaft machen.«

      Siebels zog eine weitere Schublade in seinem Gehirn auf und legte zwei Aufgaben darin ab. Prüfen, ob Sabine Lehmann einen Porsche besaß und wenn ja, Kontakt mit dem Autoverkäufer aufnehmen.

      »Wie waren denn die Einnahmen Ihres Bruders? Gab es überhaupt Chancen, die Ausgaben zu decken?«

      »Er verdiente in der Tat viel Geld. Aber dafür musste er auch 24 Stunden am Tag ackern. Paulsen hat ein System entwickelt, in dem seine Lakaien nicht mehr zur Ruhe kommen. Sie müssen immer neue Mandanten akquirieren, die bestehende Kundschaft pflegen, sich weiterbilden, Geld ausgeben und mehr Geld verdienen. Es ist ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt.«


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