Griechische Mythologie. Ludwig Preller
konnte; wie dieser doppelte Character wiederum vorzüglich in der Perseusfabel hervortritt, wo sie in Verbindung mit den Graeen das urweltliche Dunkel zu bedeuten scheint, welches auf der Fluth lagerte, bis mit Hülfe guter Himmelsmächte die erste Epiphanie des Lichtes daraus hervorstrahlte. Daher das Medusenhaupt in der älteren Kunst zwar immer mit den grellsten Zügen ausgestattet und seine Wirkung von den Dichtern wetteifernd als eine Alles versteinernde d. h. alles Leben tödtende geschildert wird: daneben aber doch Medusa selbst schon bei Hesiod th. 278 ff. eine liebe Buhle des Meeresgottes Poseidon genannt wird, der sich auf blühender Frühlingswiese bei ihr lagert, worauf aus ihrem Rumpfe, nachdem Perseus den Kopf abgeschlagen, Chrysaor und Pegasos entspringen d. h. der zuckende Lichtstrahl des Blitzes und die geflügelte Donnerwolke. So ist auch das Blut der Gorgo nach Euripides Ion 1005 sowohl von belebender als von tödtlicher Wirkung, und selbst das Gesicht der Medusa wird in der späteren Poesie und Kunst immer milder und reizender geschildert und abgebildet, bis es zuletzt heißt, Medusa habe durch Poseidons Liebe und die Schönheit ihrer Haare die Eifersucht der Athena erregt, welche deshalb diese Haare in Schlangen verwandelt und den Perseus gegen sie ausgesendet habe396. Immer gehören Athena und der Tod der Gorgo oder das Attribut der Gorgo so eng zusammen daß die Epithete Athena γοργῶπις, γοργοφόνος herkömmlich waren und das Gorgoneion besonders auf der attischen Burg, die zuletzt ganz dem Pallasdienste geweiht war, für ein eben so wesentliches Attribut desselben galt als der heilige Oelbaum397. So sah man an der südlichen Mauer der Burg, über dem Theater ein großes vergoldetes Medusenhaupt auf einer Aegis398, was den gewaltigen, alle Feinde zurückschreckenden Schutz, mit welchem Athena als Promachos von ihrer Burg über Stadt und Land waltete, vergegenwärtigen sollte. An der Brust der Himmelsgöttin Pallas Athena aber, wo das Gorgoneion nie fehlte, und als Kern der Aegis kann dieses Symbol doch auch nur die himmlischen Schrecknisse, über welche die Göttin gebietet, bedeuten.
Andere Symbole führen diese alterthümlichen Beziehungen der Athena zu den himmlischen Mächten und Erscheinungen in anderer Weise aus. So das alte bildliche Epithet γλαυκῶπις, welches einen eigenthümlich leuchtenden Glanz der Augen ausdrückt, einen ähnlichen Glanz wie den des Mondes, der schimmernden Meeresfläche, der Blätter des Oelbaums. Unter den örtlichen Diensten haftete es besonders an dem der Akropolis von Athen und dem von Sigeon399, bei beiden wahrscheinlich mit Beziehung auf die Lichterscheinung des Mondes. In Athen entspricht bekanntlich demselben Bilde das Symbol der Eule (γλαῦξ), dieses von der attischen Athena auf den Münzen, Vasen und bei allen andern Veranlassungen untrennbaren Vogels400. Man muß denselben in Athen gesehen haben, mit seinen großen rothgelben Augen, in denen der pechschwarze Kern unheimlich glüht, um die ganze Prägnanz dieses Bildes empfinden zu können, bei dem es wieder vornehmlich auf das Gesicht der Nacht hinauskommt. Auch deutete schon Aristoteles die Athena auf das Mondlicht, welche Deutung in der That von manchen Umständen unterstützt wird401, z. B. durch die Sage von der Auge d. h. der Glänzenden, der Athenapriesterin von Tegea, der Mutter des Telephos, durch die Fackelfeste der Athena Ἑλλωτίς zu Korinth402, auch durch den Cult der Chryse d. h. der Goldnen, der Lichten, auf einer Insel bei Lemnos, welche Göttin gewöhnlich für eine Athena gehalten wurde: ein Gottesdienst welcher durch die Sage von der Trojafahrt des Herakles und der des Philoktet berühmt geworden war und für die Schifffahrt in diesen Gewässern immer angesehen blieb403. Endlich durch den Antheil den Athena in der Sage von Delos und von Delphi und in der attischen Sage an der glücklichen Entbindung der Leto genommen404, wie alle Mondgöttinnen zugleich Entbindungsgöttinnen zu sein pflegen. Sie wurde deshalb in Delos, im attischen Demos Prasiae und in Delphi als Πρόνοια oder Προναία verehrt, eine Doppelform des Namens welche vorzüglich durch Delphi veranlaßt zu sein scheint, wo jene attisch-delische Sage von der Entbindung der Leto nicht so viel Gewicht hatte und wo der T. der Athena denen, die von der phokischen Schiste kamen und zu der heiligen Schlucht emporstiegen, gewissermaßen vor dem großen Haupttempel lag, obgleich keineswegs in dem Sinne wie sonst ähnliche Namen (πρόναοι, προπύλαιοι) angewendet werden. Dagegen deuten andere Sagen, besonders die von den Lieblingshelden der Athena Bellerophon Perseus Herakles, eben so bestimmt auf die Sonne oder auf Licht und ätherische Klarheit überhaupt. So galt auch Aethra, die personificirte Tageshelle, die Mutter des Theseus, in Troezen für eine Priesterin der Athena, während diese Göttin in Argos als ἀκρία und ὀξυδεκρής, in Sparta angeblich nach einer Stiftung des Lykurg als ὀπτιλέτις d. h. als Licht- und Augengöttin405, und überhaupt vorzugsweise auf Bergen und Burgen wie Zeus und die anderen himmlischen Götter verehrt wurde. Auch der alte tegeatische und durch ganz Arkadien wie in Lakonien verbreitete Beiname Athena Ἀλέα wird nach der natürlichsten Auslegung auf die milde gedeihliche Wärme des ätherischen Himmels gedeutet406.
Besonders reich an sinnbildlichen Andeutungen und Erinnerungen ist der attische Athenadienst, über den wir auch am besten unterrichtet sind. Auch hier überwogen in älterer Zeit die physicalischen Beziehungen, während in der späteren mehr die ethischen d. h. die Eigenschaften des kriegerischen Muthes und der künstlerischen Erfindung an der Göttin hervorgehoben wurden: ein Gegensatz welcher sich auch in den Gebäuden und Denkmälern der Burg von Athen, dem Stammsitze dieses Gottesdienstes für das ganze Land407 deutlich ausdrückte. Athena wurde nehmlich auf der Burg vornehmlich in zwei Heiligthümern verehrt: in dem sehr alten, in der Zeit des peloponnesischen Kriegs nach dem alten Grundplane wiederhergestellten Erechtheum, wo man das älteste, vom Himmel gefallene Bild der Göttin, den heiligen Oelbaum und die Merkmale des Streites mit Poseidon, die Gräber der ältesten Landesheroen und viele alte Erinnerungen der priesterlichen Geschlechter zeigte und Athena selbst als Polias408 d. h. als Schutzgöttin der Burg und Altstadt (πόλις) in der Umgebung der ihr durch Cultus und Sage am nächsten verbundenen Gottheiten verehrt wurde, immer mit specieller Beziehung auf die älteste Landescultur und die ältesten Landeserinnerungen. Das andere Heiligthum war der Parthenon, ein Gebäude welches auf der Stelle eines älteren, durch die Perserkriege zerstörten in der Zeit des Perikles vollendet wurde und noch in seinen Trümmern von vollendeter Schönheit ist, wie es ehedem sowohl durch seine Entstehung als durch seinen äußeren und inneren Schmuck an die schönste und blühendste Periode des attischen Geistes und Ruhmes erinnerte. Zwischen diesen beiden Gebäuden stand die riesige weithin sichtbare Bildsäule der Pallas Promachos, das merkwürdige Denkmal der kriegerischen Erfolge über die Perser, welche Athen seiner Schutzgöttin nicht minder dankbar zuschrieb als jene friedlichen der grauen Vorzeit und des Perikleischen Zeitalters; abgesehen von kleineren Tempeln und Capellen und vielen anderen Denkmälern, welche sich den größeren Heiligthümern anschlossen und unter besonderen Veranlassungen entstanden die Fürsorge der Göttin unter allerlei besonderen Beziehungen ausdrückten.
Und doch verrathen selbst die Denkmäler und Erinnerungen des Erechtheums, welches bis zur Zeit des Pisistratos das einzige Heiligthum gewesen war, den Verlauf eines längeren Zeitabschnittes der attischen Cultur, in welchem auf das friedliche Leben der pelasgischen Vorzeit d. h. einer vorzugsweise dem Ackerbau ergebenen Bevölkerung, das ritterliche und seemännische Treiben des ionischen Stammes gefolgt war. Es führt seinen Namen nach dem Erechtheus, welcher in diesem Heiligthum neben der Athena Polias verehrt wurde, nach der älteren Sage eine Geburt des fruchtbaren Thalgrundes von Athen, der in der mütterlichen Pflege der Göttin und in ihrem eignen Tempel herangewachsen ihr priesterlicher Diener