Griechische Mythologie. Ludwig Preller
Pestilenz und anderem Unheil bewahre: zu welchem Zwecke am 6 zwei schuldige Menschen als φαρμακοί d. h. als Heilmittel, der eine für die männliche der andere für die weibliche Bevölkerung der Stadt, mit Feigenschnüren behangen und unter Flötenschall vor die Stadt geführt und dort geopfert wurden557, während an den folgenden Tagen die Freude überwog und sich dem Character des Apollinischen Gottesdienstes gemäß vorzüglich in musikalischen Wettkämpfen äußerte. Auch Delos, welches bei solchen Gebräuchen der Ionier das allgemeine Vorbild war, feierte seine Delien in denselben Tagen, jenes alte Nationalfest, von dessen früherem Glanze der Homerische Hymnus ein so heiteres Bild entwirft, während in einer späteren Periode des ionischen Stammlebens die Tyrannen Pisistratos und Polykrates, noch später die Republik Athen für die würdige Ausstattung von Delos überhaupt und ganz besonders dieses Festes sorgte558. In Athen, dessen Feste uns auch im Apollinischen Culte am besten bekannt sind und in dieser Hinsicht ein Bild des griechischen, insbesondere des ionischen Stammlebens überhaupt geben können, reihete sich auch in den folgenden Monaten ein Apollinisches Fest an das andere, so daß Apollo für diese Jahreszeit recht eigentlich als der den Kalender der Griechen bestimmende Gott erscheint. So hatte der heiße Hekatombaeon (Juli), der früher nach dem Kronos benannt gewesen war, ganz vorzugsweise von den dem Apollo dargebrachten Opfern seinen Namen559. Dann folgten die Metageitnien in dem gleichnamigen Monate (August), ein Fest der städtischen Gastlichkeit und guten Nachbarschaft, welches den Apollo Metageitnios mit heitrer Lust verherrlichte560. Neue Feste folgten im Boedromion (September), wo Apoll als hülfreicher Gott der Schlachten verehrt561, und am Pyanepsion (October), wo ihm gekochte Bohnen als Erstlinge des Herbstes dargebracht und die sogenannte Eiresione, ein mit allerlei süßen Gaben des Jahres geschmückter und mit Wolle umwundener Zweig vom heiligen Oelbaum unter Begleitung volkstümlicher Lieder zu seiner Ehre durch die Stadt getragen wurde562.
Ueber den Apollinischen Festcyclus in Delphi, welcher den größten Theil des dortigen Jahres beschäftigte, sind wir leider zu ungenau unterrichtet um eine ununterbrochene Folge der Gebräuche herstellen zu können563, doch scheinen die leitenden Ideen auch hier dieselben gewesen zu sein, nur daß natürlich die örtlichen Ueberlieferungen vorherrschten. Am 7 des Frühlingsmonates Bysios feierte man den Geburtstag Apolls und die Stiftung des Orakels564, also ohne Zweifel auch den Tod des Drachen, auf welchen die Stiftung des Orakels folgte und von welchem nach der gewöhnlichen Erklärung sogar der Name Pytho und des Ap. Pythios abgeleitet wurde. Um die Mitte des Sommers folgten die Theophanien oder das Fest der Wiederkehr des Gottes von den Hyperboreern und bald darauf oder zu derselben Zeit das auch an anderen Orten dem Apollo gefeierte Erndtefest der Theoxenien565, wo der Gott als gastlicher Wirth erschien, welcher die übrigen Götter freundlich an seinem reich besetzten Tische aufnahm, aber auch einzelnen um seinen Gottesdienst verdienten Menschen, z. B. Pindar und seinen Nachkommen einen Antheil gönnte. Endlich im Herbstmonate Bukatios d. h. dem Monate der großen Opfer566 wurde durch die Feier der Pythien noch einmal die wichtigste Thatsache des Gottesdienstes, Apollos Triumph über den Drachen verherrlicht, jetzt durch eine Reihe der glänzendsten Opfer, Processionen und musikalischen und gymniscben Spiele, welche letzteren schon früher bestanden, aber erst seit der Zerstörung Krisas d. h. Ol. 48, 3 (586 v. Chr.) in pentaeterischer Wiederkehr und mit solcher Ausstattung begangen wurden, daß sie nächst den Olympien im Alpheiosthale das glänzendste Nationalfest der Griechen waren. Und doch beruhte das außerordentliche Ansehn Delphis nicht sowohl auf diesen Festen als darauf daß an dieser Stätte durch das Zusammenwirken verschiedener religiöser Institute, namentlich des Orakels und der hier am meisten ausgebildeten Apollinischen Sühnungsgebräuche ein Mittelpunkt für das gesammte Griechenland geschaffen wurde, mit Inbegriff der Colonien und der von griechischer Civilisation durchdrungenen Völker und Staaten Kleinasiens und Italiens, von welchem namentlich in den früheren Zeiten, so lange die Macht der Religion noch eine ungeschwächte war, ein eben so tief eingreifender als wohlthätig wirkender Einfluß ausgegangen ist. Wie sich die Anerkennung dieses Mittelpunktes sinnbildlich in dem Glauben daß zu Delphi, im Heiligthume des Pythischen Apollo, der Nabel d. h. die Mitte der den Griechen bekannten Welt sei567, und in den vielen Weihgeschenken Opfern und Gesandtschaften (Theorien) ausdrückte, mit denen Delphi von den verschiedensten Seiten bedacht wurde, so lassen sich die Merkmale dieses Einflusses andrerseits auch in den mit Delphi verbundenen Staaten und Städten an verschiedenen religiösen Instituten nachweisen. Namentlich gehören dahin die vielen Pythien, welche in den verschiedensten Richtungen und Gegenden nach dem Muster des Gottesdienstes zu Delphi gestiftet wurden, also den Cultus des Apollo Pythios mit seinen herkömmlichen Symbolen des Dreifußes, des heiligen Lorbeers u. s. w. als eben so viele Filiale verbreiteten. So im Norden, auf dem Wege aus Thessalien nach Makedonien, das Pythion am Olympos568, die nördlichste Station der zahlreichen Verbindungen, welche in diesen Gegenden mit den Heiligthümern des Tempethales und mit Delphi unterhalten wurden, mit diesem durch Vermittlung der heiligen, d. h. für die Processionen bestimmten Straße auf welcher Herakles, der rechte Arm des Pythischen Apoll, in den Sagen der dortigen Bevölkerung als dessen Vorkämpfer erscheint. Ferner in dem Peloponnes, seitdem die Dorier den Dienst des Pythischen Apoll dahin gebracht hatten, eine ganze Reihe ähnlicher Stiftungen, unter denen der Apollo Pythaeus auf der Burg von Argos die älteste war und in früherer Zeit auch einen Mittelpunkt dieser peloponnesisch-dorischen Culte des Pythischen Apollo, der selbst in Sparta anerkannt wurde, gebildet hatte569. Aber auch in Athen, wo Ion für einen Pflegling des Apollo von Delphi galt, gab es seit den Zeiten Solons und der Pisistratiden ein Pythion570, während auf attischem Gebiete die beiden Pythien in der Gegend von Marathon und an der attisch-eleusinischen Grenze auf verschiedene Richtungen der heiligen Straße deuten, auf welcher die Sendungen von Athen und den übrigen ionischen Staaten mit Delphi verkehrten. Denn auch die Ionier auf den Inseln des aegaeischen Meeres und in Kleinasien571 hielten eifrig zu Delphi und dem pythischen Gottesdienste, wie die vom Peloponnes ausgegangenen Colonien achaeischen oder dorischen Ursprungs auf Kreta und in Italien und Sicilien572. Eine merkwürdige Uebereinstimmung der sonst durch so viele Eigenthümlichkeiten unterschiedenen Stämme, die sich auch darin offenbart daß sowohl in Sparta als in Athen die Weihe der wichtigsten Einrichtungen von Delphi geholt und in beiden Staaten für die Angelegenheiten der Religion und des dadurch bestimmten Rechts eine regelmäßige Verbindung mit Delphi unterhalten wurde573. Während andrerseits in den zahlreichen griechischen Colonialstädten, bei deren Ansiedlung und Einrichtung gewöhnlich der Pythische Apollo befragt wurde, dieser als der allgemeine ἀρχηγέτης und οἰκίστης d. h. als ihr göttlicher Anführer und Ansiedler verehrt wurde574.
Auf diese Uebersicht der örtlichen Dienste und ihrer verschiedenen Formen möge jetzt eine gleiche Uebersicht der verschiedenen Beziehungen Apollos zu dem menschlichen Leben und seinen natürlichen und sittlichen Bedingungen folgen, soweit dieselben bisher noch nicht berührt oder hinlänglich besprochen sind.
So ist Apollo uns schon als Gott der Heerden und der Weiden (Karneios) bekannt geworden. Gewöhnlich hieß er als solcher νόμιος, doch wurde er in dem