Griechische Mythologie. Ludwig Preller
lebende Bilder des Hekatedienstes kennt und namentlich die letztere mit der Zeit ganz zur Dienerin der Hekate geworden und von den Dichtern der Argonautensage oft geschildert ist. Auch Theokrit id. 2 schildert solche magische Beschwörungsgebräuche, mit denen man bald Geister citiren bald Seelen zur Liebe zwingen bald den Mond vom Himmel herab ziehen zu können glaubte700. Daher Hekate bei allen derartigen Beschwörungen nicht fehlen durfte, namentlich bei denen der Quacksalber701 und der Geisterbeschwörer, zu welchem Aberglauben die vielen Psychopompeen in Griechenland, Kleinasien und Italien von selbst Anleitung gaben, oder wenn es sonst dämonische Schrecknisse heraufzubeschwören702 oder abzuwenden galt, wie das sinkende Heidenthum denn an solchem Aberglauben außerordentlich reich war. Auch die Spukgestalten der populären Phantasie, eine Antaia, eine Empusa, gehören zur Umgebung der Hekate703. So wurde diese Göttin zuletzt ganz zur Lieblingsgestalt des Aberglaubens und jeder auf den Aberglauben des weiblichen Geschlechts, des gemeinen Volks, oder auch der Schwächlichen und Ueberbildeten berechneten Winkelpraxis.
Eine eigenthümliche, der Hekate nah verwandte Gestalt des thrakischen Monddienstes war auch die aus Kratin und Plato bekannte Bendis, eine über Himmel und Erde gebietende Göttin welche in den Zeiten des Perikles in der Hafenstadt von Athen Eingang gefunden hatte, wo ihr Tempel in der Nähe der Artemis Munychia lag und ihr Fest am 19 Thargelion vorzüglich von den in Athen oder im Piraeeus ansässigen Thrakern gefeiert wurde704.
Sowohl die Mythologie als die bildende Kunst hat die eigentliche hellenische Artemis von diesen Zwittergestalten ausländischer Religion immer streng unterschieden, ja diese Verschiedenheit tritt gerade in den bildlichen Darstellungen am sichersten hervor. Artemis wurde nach hellenischer Weise ein Idealbild der weiblichen Schönheit, während jene Götter in bildlicher Hinsicht immer Götzen geblieben sind. Sie ward nun dargestellt wie die Dichter sie beschreiben, als die hohe stattliche keusche Jungfrau, in der Umgebung von Nymphen, mit Bogen und Köcher oder mit der Fackel705 oder mit der Leier, wie man sie eben auffassen wollte. Ein sehr gewöhnliches Attribut ist die Hirschkuh, die sie entweder begleitet, oder die Göttin wird von ihr getragen, oder sie ist sonst mit ihr beschäftigt, oder sie fährt mit Hirschkühen706. Sonst ist die üblichste Darstellung die der Jägerin, wobei sie oft von einem Jagdhunde begleitet ist. Bald ist sie im Begriff den Pfeil aus dem Köcher zu nehmen oder sie hat ihn so eben abgeschossen, dann ist sie bewegterer Stimmung und Stellung. Oder der Köcher ist geschlossen, der Bogen auf den Rücken zurückgeworfen, die Haltung eine ruhige, welche Bilder man die der A. Soteira zu nennen pflegt707. In älterer Zeit wurde ihre körperliche Bildung völliger kräftiger blühender genommen, ihre Bekleidung vollständiger. Die jüngere Kunst dagegen, welche nach Vorbildern des eleganteren Geschmacks arbeitete, zeigt Artemis jugendlicher schlanker und leichtfüßiger, ohne weibliche Fülle, mit großer Anmuth im Gesichte, ganz als die Schwester des Apoll derselben Kunstschule, das Haar oben aufgebunden, die Kleidung hoch aufgeschürzt und am Busen durch das Köcherband auf anmuthige Weise durchkreuzt, an den Füßen die kretischen Schuhe der Jägerin. Viele schöne Statuen der Art sind erhalten, vor allen übrigen berühmt die Diana von Versailles, ein Gegenstück zum Apoll von Belvedere, während der archaistische Geschmack durch die einst bemalte Marmorstatue der Diana von Herculanum am besten vertreten ist. Dazu kommen die besseren Münzen von Arkadien Aetolien Kreta und Sicilien, welche den Kopf der Artemis in sehr verschiedener Auflassung zeigen, sammt den Vasengemälden Reliefs und sonstigen Bildwerken, welche die Geschichte des Aktaeon, des Meleager oder andere Acte aus dem mythologischen Leben der Göttin vergegenwärtigen.
Fußnote
638 Il. 7, 308, Od. 13, 43, vgl. Plato Krat. 406, Eustath. Od. 1732, 27. Der Name lautete in den Dialecten Ἄρτεμις, τος u. Ἄρταμις, τος, daher der Mt. Ἀρταμίτιος auf Rhodos und Sicilien u. das Vorgeb. Ἀρταμίτιον auf Euboea, s. Ahrens Dial. Dor. p. 113, C. I. n. 1934. 2481. 5735.
639 H. in Ap. Del. 16 τὴν μὲν ἐν Ὀρτυγίη τὸν δὲ κραναῇ ἐνὶ Δήλῳ. Vgl. Strabo 14, 639, Schol. Ap. Rh. 1, 419, B. Stark Ber. d. K. S. Ges. d. W. z. Leipz. 1856 S. 62 ff.
640 Schol. Pind. p. 297, Apollod. 1, 4, 1, Hygin f. 53, Serv. V. A. 3, 73, Mythogr. lat. 1, 37. Artemis Ὀρτυγία b. Soph. Tr. 214, vgl. Aristoph. Av. 870 καὶ κύκνῳ Πυϑίῳ καὶ Δηλίῳ καὶ Λητοῖ Ὀρτυγομήτρᾳ. Auch wurde Ortygia selbst personificirt und zwar in dem Sinne einer der Leto dienenden μαιεύτρια und κουροτρόφος, s. Strabo l. c. und in der Uebertragung auf Delos Kallim. Del. 2.
641 Ueberhaupt ist es eine Eigenthümlichkeit der Artemis daß sie sich in dem örtlichen Gottesdienste und der örtlichen Sage leicht in Heroinen verwandelt. So jene Hyperboreerinnen auf Delos, welche dort als Verstorbene verehrt wurden, aber eigentlich Artemis selbst sind. Vgl. Herod. 4, 33–35, Kallim. Del. 292, Paus. 1, 43, 4 u. über Οὖπις Et. M. v., Serv. V. A. 11, 532. Daher οὔπιγγοι d. s. Anrufungen der Art. Upis, Athen. 14, 10, Poll. 1, 38, Schol. Apollon. 1, 972.
642 Il. 6, 205. 428; 21, 482. Od. 11, 172. 324; 15,478. Mit Apollon zusammen Od. 15, 410. Vgl. Hipponax fr. 30 ἀπὸ σ' ὀλέσειεν Ἄρτεμις, σὲ δὲ κωπόλλων.
643 Cic. N. D. 2, 19, 50 multaque ab ea (luna) manant et fluunt, quibus et animantes alantur augescantque et pubescant maturitatemque assequantur quae oriuntur e terra. Vgl. Plut. Symp. 3, 10, 3, Philolaos bei Böckh S. 111 und die Stoiker b. Plut. Is. Osir. 41, Porphyr d. antr. Nymph. 11.
644 Kallim. Dian. 39. 259. Catull 34, 9–12 montium domina silvarumque virentium saltuumque reconditorum amniumque sonantum. Horat. Od. 1, 21, 5 laetam fluviis et nemorum coma. Ἐκβατηρία Ἀρτ. ἐν Σίφνω Hesych, Θερμία in Mytilene ἡ τὰς πηγὰς τὰς ϑερμὰς ἔχει, C. I. n. 2172. 73, Aristid. 1 p. 503 Ddf.
645 Od. 4, 122 von der Helena, 17, 36; 19, 54 von der Penelope. Od. 6, 151 Ἀρτέμιδί σε ἐγώ γε Διὸς κούρῃ μεγάλοιο εἶδός τε μεγεϑός τε φυήν τ' ἄγχιστα εἴσκω. Sappho nannte sie mit besonderem Nachdruck ἀρίστη καὶ καλλίστη, Paus. 1, 29, 2, καλλίστη auch Pamphos b. P. 8, 35, 7, vgl. 1, 29, 2, Eurip. Hippol. 64 ὦ κόρα Λατοῦς Ἄρτεμι καὶ Διὸς καλλίστα πολὺ παρϑένων, Arist. Ran. 1359 Ἄρτεμις καλά.
646 Hom. H. 9, wo sie zu Wagen vom Ufer des Meles durch Smyrna zum Bruder nach Klaros fährt, vgl. Pind. Ol. 3, 26 Λατοῦς ἱπποσόα ϑυγάτηρ u. Paus. 5, 19, 1.