Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman. Sissi Merz
Graf verließ eben das Haus, als seine Tochter über den Wirtschaftshof auf ihn zukam. Er starrte sie irritiert an, wollte wissen: »Was ist denn mit dir passiert, Madel? Wie siehst du aus? Bist vielleicht krank?«
»Ich fühle mich nicht so gut, lege mich heut früher schlafen«, murmelte sie und wollte an ihm vorbeigehen.
Doch der Großbauer hielt sie fest und schaute ihr in die Augen. »Sag mir die Wahrheit, du hast doch was zu verbergen!«
»Nix ist, alles so wie immer.«
»Schmarrn. Du bist fett geworden, du schaust krank aus. Ich glaub’, das Beste wäre, du gehst mal zum Doktor. So gibst fei keine gescheite Partie ab. Und die Burschen, die für dich in Frage kommen, wollen freilich eine, die was darstellt.«
»Ist schon recht, Vater. Ich hab’ mich vielleicht erkältet. Mach dir nur keine Sorgen. Ich schlafe mich aus und dann…«
»Sorgen? Ich sorg’ mich um was anderes. Mach mir bloß keine Schande. Wenn ich erfahren sollte, daß du dich rumtreibst, dann kannst was erleben, hast mich?«
»Ja, Vater. Brauchst keine Angst zu haben, ich tu, was du sagst. So wie immer.«
»Ach ja?« Rudolf Graf starrte seine Tochter kalt an. »Ich traue dir nicht, du hast das Unstete von deiner Mutter. Wehe, ich erwische dich beim Lügen, dann kannst aber was erleben. Ich mache keinen Spaß, du wirst dich wundern!«
»Bauer, laß die Christa in Ruh’, sie fühlt sich nicht gut«, mahnte die Altmagd da von der Haustür her. »Du mußt dich niederlegen, Madel, bis es wieder besser ist. Und du brauchst Verständnis, keine Vorhaltungen.«
»Was du alles weißt. Wenn ihr was fehlt, ruf den Doktor. Und morgen bist wieder gesund, verstanden? Ich dulde es net, daß du ständig im Bett liegst. Nachher heißt es, du kränkelst. Und wer soll dich dann noch heiraten? Jedenfalls keine gescheite Partie. Merk dir das gefälligst!«
Christa nickte stumm und folgte Rosa dann ins Haus. Sie fühlte sich schrecklich niedergeschlagen, und das Leben erschien ihr mit einem Mal nur noch wie eine schwere Last…
*
»So, das war alles. Der Verband sollte halten, bis du wieder zu Hause bist. Und da kann dein Mann dir dann helfen.« Dr. Julia Bruckner lächelte, als die junge Frau aus dem nahen Dorf sich herzlich bei ihr bedankte. Sie hatte sich den Arm verbrüht und große Schmerzen leiden müssen, bis ihr auf Holy Spirit geholfen worden war. Nun kehrte sie sehr erleichtert heim.
Die schöne Medizinerin wandte sich dem nächsten Patienten zu. Es war Dienstag, der Tag der Woche, an dem die Missionsärztin Sprechstunde hielt. Viele Menschen aus der näheren und weiteren Umgebung kamen dann zur Station, um sich behandeln zu lassen. Der Andrang war auch diesmal groß und Julia seufzte nach einer Weile: »Wo bleibt eigentlich Tom Kennedy? Ist er nicht schon überfällig?«
Schwester Mary, die farbige Nonne, die sich im Laufe der Jahre zu Julias rechter Hand entwickelt hatte, wußte es nicht. »Daß Doktor Kennedy die Impftour übernimmt, habe ich von Anfang an falsch gefunden. Er spielt zwar gern den Macho, aber er hat viel zu wenig Erfahrung mit dem Leben im Busch. Wenn ihm nun etwas zugestoßen ist, wenn er vielleicht krank wird, was sollen wir dann hier anfangen? Sie wissen selbst, daß es fast unmöglich war, die Station ganz allein zu führen. Sie hätten ihm diese Tour ausreden müssen, Frau Doktor Bruckner.«
»Du weißt genau, daß ich das nicht kann«, hielt diese ihr entgegen.
»Tom Kennedy ist der größte Sturkopf, den ich kenne. Er macht nur, was er will. Und ich hatte auch keinen logischen Grund, um ihn davon abzubringen.«
»Na und? Sie hätten es ihm einfach verbieten sollen!«
Nun mußte Julia doch lachen. »Wie bitte? Ich glaube nicht, daß so etwas möglich ist. Aber eines steht für mich fest: Die nächste Impftour übernehme ich wieder. Soll er ruhig die ganze Arbeit hier erledigen. Dann sind wir quitt.«
Buhla Iwrati, die Köchin der Station, erschien nun. Sie trug ihren kleinen Sohn in einem gebundenen Tuch auf dem Rücken, wie es Sitte war, und fragte: »Wollen Sie bald essen? Doktor Kennedy ist eben zurückgekommen. Und er sieht ziemlich abgekämpft aus.«
»Ich muß erst noch die Sprechstunde beenden.« Dr. Bruckner warf einen Blick auf die lange Schlange der Wartenden. »Und das wird noch eine Weile dauern.«
»Wie Sie wollen.« Buhla zog ab, in der Tür begegnete sie Tom Kennedy. Der hochgewachsene Schotte mit dem brandroten Haar wechselte ein paar Worte mit ihr und bat Julia dann, ihm zu folgen. Sie schüttelte ärgerlich den Kopf.
»Ich habe zu tun, wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist. Reden können wir auch später noch. Sind Sie mit den Impfungen durch? Eigentlich haben wir Sie schon vor zwei Tagen zurückerwartet.«
»Nun kommen Sie schon mit, es dauert nicht lange.« Er nahm einfach ihre Hand und zog sie hinter sich her, Julia wies Schwester Mary an, sich um die Wartenden zu kümmern.
Dr. Kennedy steuerte das Ärztebüro an, seine Kollegin wunderte sich, als sie bemerkte, daß Buhla sich dort bereits aufhielt.
»Ich habe Ihnen etwas zu erzählen, das meine Verspätung erklärt. In einer kleinen Siedlung, ungefähr zwanzig Kilometer von hier entfernt, bin ich auf eine junge Frau gestoßen, die abseits der anderen in einer Hütte gefangen gehalten wird. Es heißt, sie sei von einem bösen Geist besessen.«
»Epilepsie?« fragte Julia knapp und verblüffte ihren Kollegen damit. »Schauen Sie mich nicht so überrascht an. Es wäre nicht der erste Fall, den ich hier erlebe. Die Menschen fürchten sich vor den Kranken, wenn diese einen Anfall haben. Sie betrachten die Krankheit als Besessenheit.«
Buhla nickte. »Ich habe auch mal von so einem Fall gehört. Die Krankheit war ziemlich stark. Die Leute haben sich schließlich nicht mehr anders zu helfen gewußt, als den Kranken in den Dschungel zu führen und seinem Schicksal zu überlassen.«
»Die weggesperrte Frau ist wohl ein ähnlicher Fall. Im Dorf wird bereits darüber nachgedacht, sie ebenfalls aus der Gemeinschaft auszustoßen. Aber das können wir nicht zulassen. Ich würde sie gerne zu uns auf die Station bringen. Allerdings nur, wenn Sie einverstanden sind, Frau Kollegin.«
Julia hatte nichts dagegen, sie gab nur zu bedenken: »Die Behandlung ist langwierig, es kann durchaus zu Rückschlägen kommen. Denken Sie, wir schaffen das hier? Vielleicht wäre es einfach sinnvoller, sie nach Kigali in eine Klinik zu bringen.«
»Die Sache hat nur einen Haken; wer soll für die Behandlung und Unterbringung dort aufkommen? Die Frau ist mittellos. Und ihre Familie will von einer Therapie nichts wissen. Sie haben schon einen Zauberer bestellt, der sie heilen soll.«
»Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als sie aufzunehmen.« Julia warf der Köchin einen fragenden Blick zu, Dr. Kennedy erklärte: »Ich möchte Buhla mitnehmen, wenn ich die Frau hole. Sie kann mit den Leuten reden, ihnen erklären, was ich vorhabe. Ich möchte vermeiden, daß es zu Mißverständnissen kommt, verstehen Sie? Die Menschen hier können manchmal schon ziemlich mißtrauisch und ablehnend sein.«
»Vor allem, was den roten Riesen betrifft«, scherzte die Köchin und verzog sich.
Tom Kennedys markante Miene zeigte deutlich Verärgerung, als er sich beschwerte: »Buhla hat einen ziemlich seltsamen Humor. Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll…«
»Freuen Sie sich doch. Ein Spitzname ist letztlich immer der Ausdruck von Zuneigung. Mich müssen Sie jetzt entschuldigen, ich habe noch eine ganze Menge Patienten zu behandeln.«
»Ich komme mit. Zu zweit werden wir rascher fertig.«
»Sie haben wohl ein schlechtes Gewissen.« Julia mußte schmunzeln, als ihr Kollege sich beschwerte:
»Ich verstehe nicht, wieso Sie mir immer unlautere Absichten unterstellen. Ich möchte Ihnen ja nur helfen, das ist alles.«
»Und darüber freue ich mich wirklich, denn ich habe heute ein ziemliches Pensum. Fahren Sie bald zu dem Dorf, um die Frau zu holen?