Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman. Sissi Merz
ihn eindringlich, sich nicht mit ihrem Vater anzulegen.
»Er ist manchmal unberechenbar. Und ich will nicht, daß was geschieht, was wir nachher zu bereuen haben.«
»Keine Angst, ich lasse mich auf nichts ein«, versprach der Bursch mit Nachdruck. »Das hätte ja auch keinen Sinn.«
Rudolf Graf ließ den Besucher lange warten. Wie ein armer Sünder mußte Thomas auf einer Bank in der Diele sitzen, bis der Bauer endlich Zeit für ihn fand. Mit versteinerter Miene und ohne ein Wort reichte er dem Knecht sein Zeugnis und das letzte Salär. Der Bursch nahm beides entgegen und bedankte sich. Dann fragte er: »Hörst mich an, Bauer? Ich hätt’ dir noch was zu sagen. Es geht um die Christa und mich. Es wäre mir wichtig, da ein paar Dinge klarzustellen. Ich weiß, daß deine Tochter sehr unter der Situation zu leiden hat. Und das ist einfach nicht recht. Die Christa hat noch nie im Leben etwas Schlechtes getan.«
»So? Und deshalb ist sie jetzt wohl eine ledige Mutter«, spottete der Graf bissig. »Komm mir doch net so; meine Tochter, das Engerl. Sie ist nix weiter als ein billiges Flitscherl. Und ich seh keinen Sinn darin, mich über sie zu unterhalten.«
»Hast denn so wenig für dein eigen Fleisch und Blut übrig?« wunderte der Bursch sich da ehrlich. »Als die Christa mir gesagt hat, daß sie in der Hoffnung steht, da wollte ich sie sofort heiraten. Net nur wegen dem Kind, sondern aus Liebe. Aber sie hat abgelehnt. Sie hatte schreckliche Angst vor deiner Reaktion, Bauer.«
»Mit gutem Grund«, warf der sich in die Brust. »Sie hat genau gewußt, daß ich so ein Gspusi auf meinem Hof nicht dulde. Und daran hat sich jetzt auch nichts geändert. Also schleich di, Bürscherl, ich hab’ dir nix mehr zu sagen.«
Thomas warf seinem ehemaligen Brotherren einen zutiefst bekümmerten Blick zu. »Du weißt gar nicht, was du deiner Tochter angetan hast, Bauer. Sie wird lange brauchen, um die Angst vor dir endlich zu überwinden; wenn sie das überhaupt schafft. Du bist der einzige Mensch, der ihr dabei helfen könnte. Aber sie scheint dir nix zu bedeuten, und das ist arg.«
»Das geht dich nix an.« Der Bauer wies wortlos auf die Tür. Da gab Thomas es auf und verließ den Erbhof. Wie es schien, sollte Christa doch recht behalten. Ihr Vater war einfach unbelehrbar.
Nachdem der Bursch gegangen war, betrat die Altmagd Rosa das Arbeitszimmer des Bauern. Dieser wußte schon, was los war, denn er brummte: »Mußt mir keine Vorhaltungen machen, Rosa. Ich weiß genau, was ich tue. Und ich laß mich von keinem davon abbringen, meine Meinung zu vertreten. Die Christa ist im Unrecht.«
»Schon möglich. Aber meinst im Ernst, daß es darum geht? Du wirst deine Tochter verlieren, Bauer. Wenn du nicht endlich deine sture Haltung aufgibst und ihr die Hand zur Versöhnung reichst. Das kann doch nicht so schwer sein.«
Rudolf Graf lächelte schmal. »Ich bin im Recht, das hat nix mit Sturheit zu tun. Die Christa hat sich bei mir zu entschuldigen. Und wenn sie noch Wert darauf legt, hier zu leben, dann muß sie tun, was ich verlange.«
Die Altmagd konnte über soviel Verbohrtheit nur den Kopf schütteln. Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich in der offenen Stubentür aber noch einmal um und mahnte: »Mit der Haltung wirst nix erreichen, Bauer; im Gegenteil. Du wirst schon sehr bald sehr einsam sein. Und es ist deine eigene Schuld.«
*
In den nun folgenden Tagen lebte Christa Graf sich ohne Schwierigkeiten im Doktorhaus von Wildenberg ein. Sie ging der Hauserin Afra ein wenig zur Hand und verbrachte so viel Zeit wie irgend möglich mit ihrem Baby. Thomas kam jeden Abend vorbei, und sie schmiedeten gemeinsam Zukunftspläne.
Als sie an diesem wetterwendischen Abend im April noch einen kurzen Gang durch die frische Luft machten, ließ der Bursch seine Liebste wissen: »Der Bauer ist damit einverstanden, daß ich Familie hab’. Wir können eine kleine Wohnung auf dem Strohmüller-Hof beziehen. Was sagst? Klingt das nicht gut?«
Christa war ehrlich erstaunt. »Der Strohmüller muß viel von dir halten, wenn er dir soweit entgegenkommt.«
»Er weiß mich halt zu schätzen. Aber ich dachte, du freust dich. Jetzt schaust wieder so traurig drein, daß es mir das Herz ganz schwer macht. Schenk mir halt ein kleines Lächeln.«
Sie seufzte. »Ach, Thomas, das Herz ist mir auch schwer. Ich denke an die Rosa, die für mich immer wie eine Mutter gewesen ist. Und ich denke auch an den Vater, an unseren Hof. Es wird mir doch arg schwer, dem allem für immer den Rücken zu kehren.«
»Meinst, ich hätte kein schlechtes Gewissen? Schließlich weiß ich genau, wie sehr du an der Heimat hängst. Aber was sollen wir machen? Gibt es denn eine andere Lösung?«
»Leider nein, auch wenn ich es mir wünsche. Der Vater will mich nimmer sehen. Und sein Enkelkind scheint ihm auch einerlei zu sein. Das kann ich nicht verstehen.« Sie senkte den Blick. »Ich hab’ so sehr gehofft, daß er doch noch einlenken würde. Aber ich habe mich wohl getäuscht. Es ist, wie er gesagt hat: Er wird mir nicht verzeihen, ganz egal, was geschieht.«
»Das kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber selbst wenn es so wäre, können wir daran nichts ändern. Schau, Christel, wir sind erwachsen, haben ein Kind. Wir müssen uns jetzt unser Leben einrichten und können dabei nicht immer nur Rücksicht auf andere nehmen. Du solltest nicht dauernd an deinen Vater denken, sondern lieber an dich selbst.«
»Ich wünschte, ich könnte das. Aber du hast wohl recht; man kann niemanden zu einer Versöhnung zwingen«, gestand sie ihm da zögernd zu. »Erzähl mir mal, wie es auf dem Strohmüller-Hof aussieht, damit ich mich schon darauf einstellen kann…«
Als Christa eine Weile später ins Doktorhaus zurückkehrte, war Max Brinkmeier zu einem Notfall gerufen worden. Der Landarzt kam erst am späten Abend heim, wirkte dabei recht zerstreut. Josef wollte von seinem Sohn wissen, ob der Fall sehr schwierig gewesen war, erhielt auf seine Frage aber zunächst keine Antwort. Erst als er sie wiederholte, murmelte sein Sohn: »Nein, es war reine Routine, kein Grund zur Besorgnis.«
»Und was quält dich dann? Mit dir stimmt doch was nicht.«
Max schaute sein Gegenüber mit einem Ausdruck in den Augen an, der zwischen Unsicherheit und Entmutigung schwankte. Dann griff er in die Tasche seines Jankers und reichte dem Vater einen Brief. »Von Julia«, erklärte er knapp. »Lies ihn nur, dann wirst verstehen, warum ich Kummer habe.«
Josef bedachte seinen Sohn mit einem fragenden Blick. »Soll ich wirklich? Ich meine…«
»Lies ihn halt, es stehen keine Geheimnisse drin.«
Also faltete der alte Landarzt den auf dünnem Luftpostpapier geschriebenen Brief auseinander und überflog die wenigen Zeilen. Er stutzte, las noch einmal, dann schüttelte er den Kopf. »Was soll denn das bedeuten? Ich verstehe nicht…«
»Ist doch net schwer.« Max lächelte freudlos. »Julia will sich eine Weile nimmer bei mir melden, um Abstand zu bekommen. Ich glaube, es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich die Gründe dafür auszumalen, oder?«
»Aber, Max, du denkst doch nicht, daß sie Schluß machen will?«
»Ich weiß es nicht. Sie schreibt, sie braucht einen klaren Kopf, weil ihr die Zusammenarbeit mit diesem Kennedy sonst zu schwierig wird. Aber ich sehe nicht, wo da das Problem liegen soll. Es sei denn, sie möchte nicht mehr an die Vergangenheit erinnert werden. Weil die Gegenwart eben ganz anders aussieht.«
»Du solltest sie anrufen«, riet Josef seinem Sohn überzeugt. »So ein Brief, der läßt doch mehr Fragen offen, als er beantwortet. Ich finde, du kannst dir das nicht einfach so gefallen lassen. Oder willst nicht kämpfen für eure Liebe?«
»Schon. Wenn ich net das Gefühl haben müßte, auf verlorenem Posten zu stehen. Entschuldige mich, Vater, ich muß mal an die frische Luft, mir alles in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.«
»Ist schon recht. Wennst magst, reden wir später weiter.« Josef machte eine sehr bekümmerte Miene, nachdem sein Sohn die Stube verlassen hatte. Der alte Landarzt war eigentlich immer felsenfest davon überzeugt gewesen, daß Julia Bruckner irgendwann nach Wildenberg kommen und Max heiraten würde. Daß die beiden