Siegen ist Kopfsache. Matt Fitzgerald
Lauf und sie hatte den ganzen Tag über Spaß.«
Am 14. November bekam Jenny einen letzten Wettkampfschliff bei den NCAA Mountain West Conference Championships in Albuquerque. Dieses Mal machte Jenny auf den ersten 4 Kilometern das Tempo für ihre Mannschaftskollegin Allie McLaughlin – für den Kick. Dann zog sie mit Leichtigkeit davon und gewann mit 12 Sekunden Vorsprung.
Mit all diesen Informationen im Hintergrund verkündete Sean McKeon nur einen Fakt, als er in seiner Vorschau auf die NCAA Cross Country Championships schrieb: »Wenn sie nicht gewinnt, wird das der größte Aufreger der NCAA-Geschichte.« Er hatte Recht – mehr als er hätte ahnen können – dass nur ein »epischer Zusammenbruch« sie davon abhalten würde können, den Titel, den sie so sehr wollte, zu holen.
DIE CROSS-COUNTRY-STRECKE der Lavern Gibson Championship ist eingebettet in 113 grasbedeckte Hektar östlich von Terre Haute. Am Renntag herrschte fast perfektes Laufwetter dort – mild und trocken. Als die Sonne gegen halb eins hinter einem Wolkenschleier hervorkam, neigte sich das Männerrennen dem Ende zu und Jenny und ihre Teamkolleginnen machten sich für ihr Rennen fertig. Die Lufttemperatur stieg auf um die 13 Grad, für den Monat November überdurchschnittlich hoch, und die Läufer zogen ihre Langarmshirts aus und stopften ihre Handschuhe in die Sporttaschen.
Während Jenny mit ihren Mannschaftskolleginnen über das Gelände joggte, wurde ihr schwindelig. Das Gefühl war nach dem Warm-up samt Beweglichkeitsübungen und Sprints noch immer nicht verschwunden. Anschließend versammelte sich das Team um den Trainer, um letzte Instruktionen zu erhalten. Jenny dachte darüber nach, Assistenz-Trainerin Heather Burroughs wegen ihres Schwindels Bescheid zu sagen, entschied sich aber dann doch dagegen. Sie wusste, dass es wahrscheinlich ein Symptom von Nervosität war, nicht mehr, außerdem war es bereits am Abklingen.
Um 12.35 Uhr wurden die Läuferinnen an die Startlinie gerufen. Jeweils drei hintereinander stellten sich hinter dem Kreidestrich auf, der sich scheinbar endlos über die weite, frisch gemähte Wiese zog. Die Startpistole knallte und als Jenny losrannte, war der letzte Rest Lampenfieber verschwunden. 254 Frauen rumpelten über eine 900 Meter lange Auftaktgerade und formierten sich langsam in Form einer gedrungenen Träne, an deren Spitze Jenny (wer sonst?) lief. Susan Kuijken, die keine zehn Meter links von Jenny gestartet war, lief bald direkt neben ihr. Trotz ihrer Niederlage gegen Jenny bei den Vorläufen zur den Staatsmeisterschaften hoffte die Läuferin aus Florida zu gewinnen. Ihr Plan war, sofern möglich an Jenny dranzubleiben und ansonsten in Reichweite zu bleiben und zu versuchen, sie am Ende einzufangen.
Als Jenny ihren Rhythmus gefunden hatte, horchte sie in ihren Körper hinein und stellte fest, dass sie sich gut fühlte – stark und entspannt –, wie sie es schon die ganze Saison lang getan hatte. Es gab keinen Grund, warum sie sich anders hätte fühlen sollen. Ihr Training in den letzten Wochen war fast perfekt verlaufen. Im Vorfeld zu den Mountain West Conference Championships hatte sie bei den Schlüsseleinheiten ihre bisher besten Zeiten geschafft. Nach diesem Rennen hatte Mark Wetmore das Training stark zurückgefahren und ihre Beine hatten mit ganz neuer Kraft reagiert. Jenny hatte es auch geschafft, sich nicht den Erkältungsvirus einzufangen, der auf dem Campus der Universität von Colorado die Runde gemacht hatte. Sie war körperlich nie bereiter für Wettkämpfe gewesen und die inneren Sensoren ihres Körpers bestätigten das. Das kurze Schwindelgefühl war nur ein winziges Wackeln gewesen.
Jenny ließ sich an den rechten Rand der Geraden treiben, nahe an die Absperrung, die die Zuschauer von der Strecke hielt, und bereitete sich auf die erste Kurve der gewundenen Strecke vor. Das Feld hinter ihr blieb dicht zusammen, direkt hinter ihr liefen Kuijken, Kendra Schaff von der Washington und Angela Bizzarri von der Illinois.
In der Kurve erhöhte Jenny das Tempo leicht und legte damit sofort etwas Abstand zwischen sich und ihre Verfolgerinnen. Kuijken traf innerhalb von Sekunden die Entscheidung mitzugehen und schloss die Lücke. Sie lief aber respektvoll einen halben Schritt hinter Jenny, damit sie die Favoritin nicht dazu verlockte, nochmals schneller zu werden. Der lange, goldfarbene Pferdeschwanz der Norwegerin wippte synchron zu Jennys honigfarbener Mähne, als das Paar den Abstand zwischen sich und den anderen Läuferinnen immer weiter vergrößerte. Sie passierten die erste Kilometer-Marke des 6-Kilometer-Rennens nach 3:04 Minuten. Jenny registrierte die Splitzeit mit Genugtuung. Sie war mit einem zweiten Ziel nach Terre Haute gekommen: Sally Kipyegos Streckenrekord von 19:28 Minuten zu unterbieten und sie war auf dem besten Weg, das zu tun.
Jenny lief den ersten Hügel hinauf. Sie rannte in dem für sie typischen Gladiatoren-Stil, mit nach vorn gerecktem Kinn, nach vorn gelegtem Torso, weiten Ellbogen und zu Fäusten geballten Händen, der Sicherheit und Aggression ausstrahlte. Dennoch schien in ihren Augen auch Ungeduld aufzublitzen, als Kuijken, die in Interviews vor dem Rennen gesagt hatte, dass sie Jenny nicht fürchte, ihr weiterhin an den Fersen klebte.
Oben auf dem Hügel bogen die Führenden in eine enge Linkskurve ein, wo sie nur Zentimeter entfernt an den anfeuernden Zuschauern vorbeirannten, die gegen den Maschendrahtzaun gepresst am Streckenrand standen. Die meisten Rufe waren für Jenny bestimmt, die neben zahlreichen Schulkameraden, Freunden und Familienmitgliedern, die mitgekommen waren, auch eine nationale Fangemeinde hatte.
Jenny und ihr flachsblonder Schatten liefen die ersten 1,6 Kilometer in 5:02 Minuten. Kipyego war bei ihrem Rekordlauf vor zwei Jahren genauso schnell gewesen. Jenny schien immer noch die Kontrolle zu haben, aber ihre Augenbrauen zogen sich ungewöhnlich zusammen.
Sechs Schritte dahinter rannte Kendra Schaff allein, sie hatte sich von der ersten Verfolgergruppe abgesetzt beim Versuch, die Führenden zu stellen. Sie hatte sich entschieden, dieses Risiko einzugehen, nachdem sie festgestellt hatte, dass Jennys Tempo nicht so straff war, wie sie erwartet hatte. Zehn Meter hinter Schaff hatte Angela Bizzarri am Kopf des Hauptfelds eine andere Rechnung aufgemacht. Ihr Plan lautete, ihr eigenes Rennen zu machen. Sie hoffte, dass jeder, der versuchen würde, mit Jenny mitzulaufen – wenn nicht gar Jenny selbst – sich ins Aus laufen und schlussendlich zu ihr zurückfallen würde. Dieser Plan fühlte sich immer noch richtig an.
An der 2-Kilometer-Marke erspähte Jenny die nächste Zeitnahme-Uhr und heftete ihren Blick fest darauf: 6:15, 6:16, 6:17 … Sie war ein wenig langsamer geworden, aber nicht viel, und das Tempo war immer noch schneller als das, was Kuijken jemals in einem Rennen über diese Distanz gelaufen war. Alles, was Jenny tun musste, war, gleichmäßig weiterzulaufen, dann würde ihre nervtötende Verfolgerin irgendwann schon einbrechen.
Sie gingen gemeinsam in den nächsten Anstieg. Kuijken blieb wie festgeklebt an Jennys rechter Schulter. Der Abstand zwischen den beiden Frauen und Schaff sowie zwischen Schaff und Bizzarris Gruppe war gleich geblieben. Ein flehender Unterton schlich sich in die für Jenny bestimmten Anfeuerungsrufe der Fans am Streckenrand.
Nach der Hälfte des Rennens, die nach 9:38 Minuten erreicht war, bemerkte Kuijken, dass es sich nicht mehr so anfühlte, als würde Jenny sie mitziehen. Tatsächlich war sie ein bisschen im Leerlauf und rannte etwas langsamer, als sie es getan hätte, wenn sie allein gewesen wäre. Also machte sie etwas Druck und zog umgehend mit Jenny gleich, die sofort schneller wurde, um ihren halben Schritt Vorsprung zu sichern. Nur Augenblicke später drängelte Kuijken wieder von hinten und wurde zunehmend kribbeliger.
Jennys Kopf begann zu wippen. Erst kaum merklich, dann immer stärker. Das Wippen wurde zu einem Wackeln. Das Wackeln setzte sich fort auf ihre Schultern, ihren Rumpf, ihre Hüfte, bis Jenny torkelte wie ein Preisboxer, der mit zugeschwollenen Augen nach seiner Ecke tastet. Ihr Tempo brach jäh ein, Kuijken lief federnd weiter und konnte ihr Glück kaum fassen. Jenny schien nun mit sich selbst zu sprechen, ihr Mund machte labbrige Bewegungen, während sie vorwärts stolperte. Ihre Augenlider waren auf Halbmast.
Kendra Schaff, Angela Bizzarri und Sheila Reid von der Villanova zogen in einer erbarmungslosen Perlenschnur an Jenny vorbei. Sekunden später hatte das Feld sie eingeholt. Amanda Marino von der Villanova überholte Jenny mit Leichtigkeit. Dann folgte Paca Cheruiyot von der Forida State und Jennys eigene Mannschaftskollegin, Uni-Neuling Allie McLaughlin, die Jenny noch verwirrt etwas Ermutigendes zurief.
Jenny war ein verlorenes Kalb, gefangen in einer Stampede wütender Rinder. Sie fiel zurück auf den 10. Platz, dann auf den 20., 30. Platz. Jennys frühere High-School-Rivalin Erin Bedell, nun