Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch). Carl Spitteler

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch) - Carl  Spitteler


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doch ihren Namen unterscheide ich nicht. Nur einen einzigen Namen habe ich mir gemerkt: das ist Pseuda, namens Ix, die Kleine, die Abtrünnige, die mir Theuda betrübte und Imago kränkte. Unter mir die Rache! Eines bloß begehr' ich von ihr zum Entgelt: sie einmal, nur ein einziges Mal wiederzusehen, um zu erfahren, wie eine Treulose in den sauberen Tag schaut, um zu erleben, daß sie die Augen vor mir niederschlägt. Dies ist mein gutes Recht, das sei ihre verdiente Strafe. Damit genug; wohl bekomm ihr der Sumpf, Gott segne ihre Ehe.

      Hiermit bin ich fertig, und da ich fertig bin, höre ich auf

      Ihr getreuer Viktor

      Dies Bekenntnis schob er noch in der nämlichen Nacht eigenhändig in die Brieflade. Und am folgenden Morgen schon, mit der Elfuhrpost, erhielt er der Freundin Antwort:

      Verehrter Freund!

      Ich habe Ihr erstaunliches Bekenntnis, dessen Mitteilung ich Ihnen als einen Beweis des Vertrauens verdanke, mit der gebührenden Andacht gelesen. Ehe ich indessen auf den Inhalt eingehe, lassen Sie mich zuerst etwas Störendes beseitigen; es brennt mich auf der Zunge, ich will es daher gleich erledigen: Nicht wahr, es ist nicht Ihr Ernst, eine Frau durch einen Vorgang gebunden zu glauben, von dem sie nichts weiß und auch nichts wissen kann; einen Vorgang, der einzig in Ihrer Phantasie geschah: durch ein erträumtes Verlöbnis, mit einem Wort. Das tun Sie nicht, das können Sie nicht tun, weil es ebenso unvernünftig wie unbillig wäre. Den häßlichen Namen Pseuda, lieber Freund, verdient Frau Direktor Wyß nicht; denn wenn es eine Frau auf Erden gibt, die offen und wahr ist, so ist sie's. Zur Größe wollten Sie sie verpflichten? Ich weiß nicht, ob Frauen überhaupt der Größe fähig sind – wir haben andere Eigenschaften –, aber gesetzt, sie wären dessen fähig, wer ist denn zur Größe verpflichtet? Die bedauernswerte Menschheit, wenn Größe Pflicht wäre! Frau Direktor Wyß ist wie jede andere, wie ich, wie wir alle, dazu erzogen worden, einem braven Manne eine treue Gefährtin zu sein, und diesen Beruf erfüllt sie aufs beste, sich zum Frieden, ihren Nächsten zum Glück, den übrigen zur Erbauung. Ich kenne in der ganzen Stadt keine tugendhaftere, treuere, selbstlosere Gattin und bessere Mutter. Ich muß mich daher nochmals dagegen verwahren, daß jemand ihr zumutete, die Augen niederzuschlagen. Das braucht sie nicht zu tun, und, beiläufig bemerkt, das wird sie auch nicht tun; verlassen Sie sich darauf. Zugegeben, daß vielleicht eine andere Frau den Zauber der Parusie mitgefühlt hätte – es müßte freilich eine Frau von seltenen Eigenschaften sein, und sie müßte Sie mit allen Fasern ihres Herzens geliebt haben. Allein sie hat nun einmal die Parusie nicht gefühlt, und es war auch keineswegs ihre Pflicht, sie zu fühlen. Dies vorausgeschickt, fange ich nochmals von vorne an.

      Ja, mit wahrer Andacht habe ich Ihr Geständnis gelesen; ergriffen und verwirrt, erschrocken und erhoben. Ich besitze nicht die gehörige Gabe von nüchterner Vernunft, auch nicht das nötige Maß von Verständnislosigkeit, um mich über die ungeheuerliche Vermengung von Phantasie und Wirklichkeit aufzuregen. Obschon! was sind das für Sachen: «Theuda», «Pseuda», «Imago» (Fräulein Ix will ich Ihnen noch schenken), drei Personen mit einem einzigen Gesicht! Die eine existiert nicht, die andere ist tot, die dritte ist «nicht vorhanden», und jene, die nicht existiert, ist krank! Wenn nur das Herz nicht Mus macht! Mir stockt einfach der Atem; ich weiß nicht recht, ob mehr vor Furcht oder vor Ehrfurcht. Sie sind – verzeihen Sie, ich weiß, Sie hassen den Namen, aber ich kann Sie doch nicht Rabbi nennen –, Sie sind, ob Sie sich noch so sehr dagegen sträuben, ein Dichter. Wenn Sie übrigens lieber ein Seher oder Prophet heißen wollen... Ich habe Ihr Hohelied von Imago mit dem frohen Staunen gelesen, wie man ein Großwerk der Poesie anhört, bin auch im Innersten davon überzeugt, der Dämon, von welchem Sie besessen sind, mögen Sie ihn nennen, wie Sie wollen, «Imago» oder «Strenge Frau» oder sonstwie (er wird wohl ein naher Verwandter des Genius sein), ist heiligen Ursprungs. Denn das steht bei mir fest: etwas, dem ein erwachsener Mann, so überlegen gescheit und verständig wie Sie, sein Liebesglück zum Opfer bringt, ist kein Irrwisch. Kurz, ich glaube an Ihre «Strenge Frau» und auch an Sie, mein lieber Freund, an Ihr Werk, an Ihre künftige Größe, die ich bisher bloß gehofft und ahnend vermutet hatte. So sehr glaube ich daran, daß mich Ihre Erzählung mit reinern Seelenglück erfüllen würde, wie das Erlebnis eines unsterblichen Kunstwerkes, wenn ich nicht zugleich Ihre Freundin wäre, wenn ich nicht durch meine herzliche Teilnahme gezwungen würde, auch an Ihr menschliches Heil oder Unheil zu denken. Schrecken aber erfaßt mich bei dem Gedanken, was Sie leiden werden, wenn Sie mit Ihrer schönen Phantasiewelt (verzeihen Sie einer Frau den Romanausdruck) an die harte Wirklichkeit stoßen (o weh, aber ich finde kein anderes Wort); und nur eines wundert mich, daß der grausame Stoß nicht schon längst erfolgt ist. Müssen das seltene Menschen von zarter Seelenfeinheit gewesen sein, unter denen Sie in der Fremde wohnen durften, daß Ihnen vergönnt war, sich dermaßen ungehindert und ungestraft in eine Idealwelt einzuträumen, zumal im Gewühl einer großen Stadt! Schwerlich rate ich fehl, daß es eine Frau war, und zwar eine hochsinnige Frau von außerordentlichen Eigenschaften, deren Sorge über Ihren Weg wachte. Ich würde solch ein dauerndes Phantasieglück mitten unter den Menschen überhaupt nicht für möglich gehalten haben, wenn Ihre Schilderung mir's nicht bezeugte.

      Ich bewundere die Willenskraft, die Treffsicherheit, mit welcher Sie unter der Leitung der «Strengen Frau» Ihren Lebensweg im verworrensten Dickicht zurechtfinden; allein, verzeihen Sie, ein Fehler läuft doch mit unter. Sie sind hier, und Sie sollten nicht hier sein. (Nicht wahr, Sie mißverstehen mich nicht? Ich denke eben nicht an mich, sondern an Sie.) Gestatten Sie mir, daß ich mich durch die Miggimaggi Ihres Herzens nicht täuschen lasse: Sie wollen Frau Direktor Wyß einfach wiedersehen. Und warum wollen Sie sie wiedersehen? Weil Sie sie nicht vergessen können. Das ist bedauerlich; ich hätte Ihnen gewünscht, Sie könnten's; denn das Nachsehen nach etwas, was man endgültig weggegeben hat – Sie sehen, ich unterstreiche das Wort «endgültig» –, bringt nur unnützes Augenweh. Allein es ist wahrlich nicht die Rolle einer Frau, Sie deswegen zu tadeln; denn daß man seinem Herzen nicht gebieten kann, wer wüßte das besser als wir? Nur möchte ich Sie eben davor bewahren, daß Sie sich durch vergebliche Hoffnungen grausame Enttäuschungen zuziehen. Wollen Sie von Ihrer alten Freundin eine wohlgemeinte Warnung annehmen? – es wird zwar nichts nützen, allein ich muß es trotzdem tun, weil ich mir's nicht verzeihen könnte, es nicht getan zu haben: Sehen Sie sie nicht wieder; verlassen Sie so schnell wie möglich diesen gefährlichen Boden, und singen Sie Ihr herrliches Duett mit Imago weiter, aber in sicherer Ferne. Imago wird mit der Zeit genesen und ihre Stimme wiederfinden, darum ist mir nicht bange. Hier dagegen ist nichts für Sie zu holen als Unfriede. Merken Sie wohl, was ich Ihnen sage, ich, die ich Frau Direktor Wyß kenne – sie war ja sozusagen in gewissem Sinne meine Schülerin (wenn auch nur vorübergehend) und hat mich eine Zeitlang mit ihrem Vertrauen beehrt –, merken Sie wohl, was ich Ihnen sage: sämtliche Fächlein ihres Herzens sind besetzt. Liebe suchen Sie ja nicht bei ihr, nicht wahr? Dazu sind Sie zu gewissenhaft; Freundschaft aber werden Sie nicht erhalten, denn zur gemeinen Konzert- und Hausfreundschaft kommen Sie zu spät, und zur hohen Seelenfreundschaft, wie Sie sie meinen, zu früh. Dazu ist sie viel zu jung, zu ungequetscht, zu glücklich. Und daß Sie sich ja nicht etwa auf Ihre geistigen Eigenschaften verlassen! Sie ißt nicht von dieser Konfitüre. Wer den Hauch der Parusie nicht gespürt hat, wird auch den Odem der «Strengen Frau» und den Tritt des himmelstürmenden Löwen nicht spüren. Ich sage das, ohne den Wert der Dame im mindesten herabzusetzen, den ich wahrlich hoch genug anschlage, da ich sie zu Ihrer Frau berufen glaubte. Allein wenn ich sie für würdig hielt, Ihre Frau zu werden, so halte ich sie darum noch nicht für fähig, Ihre Freundin zu sein. Beides verlangt ganz verschiedene Eigenschaften. Also noch einmal: verlassen Sie diesen gefährlichen Boden, denn Sie sehen mir stark danach aus, große Torheiten begehen zu wollen; zur Belästigung anderer und zu Ihrer eigenen bitteren Enttäuschung.

      So, nun habe ich meine Seele gerettet. Jetzt tun Sie, was Sie wollen, oder vielmehr, was Sie müssen; denn das Schicksal wird schon wissen, was es mit Ihnen vorhat. Ich schwaches Menschenkind vermag nicht mehr, als Ihnen meinen Herzenswunsch auf den Weg mitzugeben: Sie möchten Ihr hohes Lebensziel, das Sie ganz sicher erreichen werden, nicht mit allzu grausamen Wunden erkaufen müssen. Also ich hoffe, Sie nicht wiederzusehen. Und grüßen Sie mir Ihre herrliche Imago.

      Ihre Ihnen in Freundschaft und Ehrerbietung ergebene

      Martha Steinbach

      Nachschrift:


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