Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch). Carl Spitteler

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch) - Carl  Spitteler


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beisammen.»

      Nach diesen Worten schieden wir in Hoheit und Seligkeit. Aber noch lange blieb ich, dem schweren Nachhall des Ereignisses lauschend, am dunklen Schreibtisch gebannt; denn wie ein Ozean rauschte es durch meinen Geist, und ein feierlicher Gesang umtönte mich wie nach einem Gottesdienste.

      Und am folgenden Morgen begann in Wahrheit, wie uns verkündet worden, unser stetes Beisammensein. Eine fliegende Hochzeit, ein jauchzendes Duett, mit vereintem Siegesmunde gesungen. Doch ihre Stimme klang höher als die meinige, so daß ich öfter innehielt, um ihrem Gesang zu lauschen. Wenn ich an ihrer Seite über die Hügel der Erde in das Reich meiner Strengen Frau sprengte, welches reiner ist als das Reich der Wirklichkeit, aber wesenhafter als das Reich der Träume, also daß die Wirklichkeit sich zu ihm verhält wie das Getier zum Menschen, aber der Traum zu ihm sich verhält wie der Geruch zur Blume, und welches sich bis zu den Gefilden der Erinnerungen und Ahnungen erstreckt, da jubelte Imago: «O mein Geliebter, in was für neue, weite Welten führst du mich die Straße? Mein überraschtes Auge nennt sie fremd, doch mein beglücktes Herz begrüßt sie ‹Heimat›.» – Und gute Völker, freundlicher als der Menschen Völker, hießen an den Pforten der Täler uns brüderlich willkommen.

      Wenn ich unter sorgenschwerer Arbeit, während welcher sie bescheiden ihre Gegenwart verhehlte, hin und wieder rastete und seufzend aufschaute, traf mich Imagos andächtiger Blick: «Wie beglückt mich der Stolz», erwiderte ihr Blick, «Mich von einem solchen geliebt zu wissen.» Wenn ich nach redlich erworbenem Ruherecht mit ihr in das Außenleben hinunterstieg, mit ihr scherzend wie mit einer menschlichen Ehefrau, sie mit törichten Kosenamen nennend, ihr beim Essen einen Teller und ein Besteck hinstellend, als säße sie körperlich neben mir, lachte Imago vergnügt: «Was sind wir Kinder! Wie aber vollbringst du Tiefer das Wunder, daß du mich so fröhlich lachen lässest, wie ich nie zuvor so fröhlich lachen konnte?»

      Darüber wurde ich reich und freundlich, so daß die Menschen verwundert zu mir sprachen: «Angenehm; wie hast du dich lieblich verwandelt.» Wie ein Baum auf freier, sonniger Wiese, der den Wipfel nach allen Seiten entfalten darf und dem die Früchte sämtlich reifen.

      Und das währte so weiter, eine unendliche Seligkeit, jenseits von Zeit und Raum, bis zu dem Tage, da die Schnauze des Verrates in die goldige Wonne hereinfuhr wie ein Wildschwein durch eine Tapete. Eine gedruckte Verlobungsanzeige mit einem Fremden; ohne ein Wort der Freundschaft, ohne ein Zeichen der Erinnerung; nichts als die rohe Tatsache. Das Ganze eine stumme Frechheit!

      Verächtlich warf ich den Wisch in den Winkel. Nicht der mindeste Schmerz, bloß Empörung über den Verrat, gemischt mit Trauer über die Offenbarung ungeahnter Kleinheit. Etwa so, wie wenn man berauschenden Herzens ein herrliches Klavierstück spielt und plötzlich läge vor einem an Stelle der Noten eine Kröte. Es ist also menschenmöglich, daß ein weibliches Geschöpf, dem das Schicksal die Gunst anbot, als Liebesgenossin eines Berufenen Ewigkeitsluft zu atmen, vorzieht, mit dem ersten besten Bärtling in den Sumpf der Familie zu waten. Verblüfft staunte ich dem wunderlichen Phänomen der Kleinheit nach, wie einst in der Kinderzeit, als ich einen Krebs betrachtete. «Wie kann man ein Krebs sein!» hatte ich damals gerufen. Heute rief ich: «Wie kann jemand nicht groß sein!»

      Und durch ihren schmählichen Abfall soll jetzt meine schöne Seligkeit elendiglich verwesen? Plötzlich lachte ich laut auf Fasching und Fabel! Das hattest du ja alles nur in sie hineingedichtet: die Schicksalsstunde der Verlobung, ihre Hoheit, ihre Größe, ihren Seelenadel, ihre Liebe, ihre Freundschaft. Imago lebt nicht als einzige in dir; die menschliche, leibliche Theuda aber ist eine Verschiedene, eine Fremde, namens Ix; und zwar ein unbedeutendes Vögelein, wie deren in jeder Stadt zu Hunderten piepsen. Ich hob die schamlose Karte wieder auf und roch daran. Kein Zweifel, ganz deutlich, sie roch nach Gewöhnlichkeit. Genau wie die andern: war entschlossen, überhaupt zu heiraten (vermutlich nach einer unglücklichen Liebe – der Weg zum Altar führt ja bei den Frauen meistens über das Grab des Herzens), von einem Schwarm verhaßter Bewerber bedrängt, sieht sie in mir, dem fremden Neuling, einen Erlöser, findet mich annehmbar – glaube schon –, erhält mich nicht, um so schlimmer, so nimmt sie eben in Gottes Namen einen andern. So geht es gewöhnlich, so ging es auch mit ihr, der Gewöhnlichen. Fort mit ihr! Jüngferlein Ix, dein Name lautet: «Nicht vorhanden!» Zum Beweis dafür, schau her, was ich mit dir mache. So mache ich mit dir! Zerriß die Karte und warf die Fetzen in den Papierkorb. Und jetzt wollen wir mit deinem hübschen Lügenlärvlein also tun. Nahm das Bild hervor, um es gleichfalls zu zerstückeln. Zum Abschied aber mochte ich es vorher noch einmal anschauen. Also diese tiefsinnigen schwermütigen Augen trügen; der ganze Adel dieses Schönheitsfrühlings ist gemeiner Jugendspeck! Da fing das Bild bitterlich an zu weinen: «Nein, ich lüge nicht», weinte es, «denn damals, als dieses Bild mich spiegelte, dürstete meine Seele wahrhaftig nach Hoheit; diese Augen, die dich anblicken, schauten einst nach dir; dein dachte mein Wunsch, dein sehnte meine Hoffnung. Eine andere, spätere, mit deren Taten ich keine Gemeinschaft habe, hat dich verraten. Jedoch nicht aus niedriger Gesinnung, sondern eitel aus Schwäche und Kleinheit. Und wer weiß, vielleicht kommt später einmal eine Stunde, da sie sich besinnt, sich erinnert, sich ihres Abfalls schämt und zu dir zurückkehrt, mein Angesicht entsühnend, damit es nicht mit gebrandmarkter Schönheit schmachvoll in die Welt schaue wie ein gefallener Engel.»

      Da erbarmte ich mich des Bildes und hob es andächtig auf, wie das Bild einer Verstorbenen. Der andern aber, der Neuen, der Treulosen, erkannte ich den lieben Namen Theuda ab und nannte sie fortan Pseuda, das heißt: die Falsche.

      Jenen Abend, als ich wie gewöhnlich spazieren ritt (wohlverstanden, auf einem wirklichen, leibhaftigen Pferde), hörte ich jemand hinter mir reiten. Ich wußte, wer es war, denn ich hatte sie erwartet. «Imago», mahnte ich, «was reitest du hinter mir? und kommst nicht an meine Seite?»

      Sie antwortete: «Weil ich jetzt deiner unwürdig bin, da ich die Gesichtszüge einer Treulosen trage.»

      Ich sprach: «Imago, meine Braut, du trägst nicht ihre Gesichtszüge, sondern jene trägt fälschlich die deinigen. Darum komm an meine Seite, dein Antlitz sei mir gesegnet!»

      Da ritt sie an meine Seite, verbarg jedoch ihr Gesicht mit den Händen. Ich aber entfernte ihr sanft die Hände vom Gesicht. «Siehst du, wie du schön bist und groß und seelenvoll! Darum schaue mich frei offen an, unbekümmert um dein unwürdig Urbild, so wie auch ich mich nicht darum bekümmere.»

      Jetzt schaute sie mich offen an, dankend mit den Augen, und wir begannen wieder zu singen wie vordem. Und ihre Stimme klang noch schöner als zuvor; allein mit wehmütigem Ton, wie wenn ein Unschuldiger leidet; so daß es einen zu Tränen hätte erbarmen mögen. Plötzlich jedoch, mitten im Singen, brach sie ab, mit einem gurgelnden Schrei, preßte die Lippen zusammen wie ein sterbender Engel und wankte im Sattel. «O wehe mir!» klagte sie, «es hat mir jemand einen häßlichen Stoß versetzt, so daß ich krank bin und die Stimme nicht mehr schwinge. Darum laß nun ab von mir, Viktor, und suche dir eine frische Imago; eine, die da gesund und kräftig ist und ein unbescholtenes Gesicht hat, damit sie dir jauchze und singe, dir zur Süßigkeit und zum verdienten Lohne.»

      Ich rief. «Imago, meine angelobte Braut, man läßt nicht von der Freundin, weil sie krank ist. Denn ich habe einen Bund mit dir vor dem Odem meiner Strengen Herrin geschlossen, also, daß mir dein Antlitz das Sinnbild alles Edlen und Hohen bedeutet. Darum höre, was ich dir verkünde: Dafür, daß du krank und traurig bist, dafür ist meine Liebe zu dir noch vielmal größer als ehedem, als du in Freuden und Seligkeit an meiner Seite jauchztest.»

      Sie sprach: «O wehe dir, Viktor, daß du nicht von mir lässest! denn ich kann dir fortan nichts mehr bringen als Herzeleid.»

      Ich erwiderte: «So bring mir Herzeleid, Imago, meine edle Braut. Ich aber lasse nicht von dir.»

      Also erneuerte ich den Bund mit der kranken Imago; und war alles wie vorher, nur daß ihre Stimme verstummt war und ihre Augen schmerzlich blickten. –

      Und also ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Und sie ist meine Braut, und ich lasse nicht von ihr, und sie ist mir tröstlicher als alle Reichtümer der Welt, ob sie gleich stumm und krank ist. – Heida! Mut, Trotz und Freiheit! Mein ist die Strenge Frau, mein ist Imago; jene für mein Werk, meinen Beruf, meine Größe, diese für meine süße


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