Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
Sein Herz macht einen Luftsprung. Zu ihm ist sie gekommen? Sie hat Vertrauen zu ihm. Da sie aber nicht weiterspricht, drängt er auch nicht nach dem Grund. Er ist glücklich, daß sie bei ihm ist.
Das Telefon schlägt an, und er meldet sich. »Ich komme sofort.« Zu Inka, deren Haltung gespannt ist, sagt er flüchtig. »Dauert nicht lange, Inka, bin gleich wieder zurück.«
Inka lauscht den sich hastig entfernenden Schritten. Mit einem Satz ist sie an Bergens Schreibtisch. Sie findet in dem Fach die Schachtel Schlaftabletten, die Bergen gehören. Mit einem Griff hat sie sie an sich gebracht und in ihre Tasche gestopft. Sie weiß, daß sie tödlich wirken, wenn man eine Überdosis davon nimmt.
Vom Augenblick an, da sie die Tabletten bei sich hat, verändert sie sich. Als Jürgen zurückkehrt, glänzen ihre Augen wie im Fieber und
sie lächelt ihn herzlich an. Ruhe
und Sicherheit sind über sie gekommen.
Sie reagiert auf Bergens Scherze wie stets, als sie neben ihm in seinem Wagen sitzt und sie dem Alsterpavillon zusteuern.
Sie spielt Bergen eine vollendete Komödie von Sorglosigkeit und Heiterkeit vor. Nur den verzweifelten Schmerz betäuben – denkt sie, wenn Bergen sie zum Lachen reizt und sie schlagartig pariert.
Bergen beobachtet scharf und er ist der Meinung, Inkas vorherige Niedergeschlagenheit entspringe nur einer augenblicklichen wehmütigen Stimmung.
Eine gute Kapelle spielt bekannte und fröhliche Weisen. Der schöne runde Raum in warmes Licht gehüllt, das leise schwirrende Stimmengewirr, alles läßt Inka noch einmal voll auf sich wirken.
Bergen ist närrisch vor Glück und er sagt es ihr auch unverhüllt.
»Könntest du dich wirklich nicht entschließen, doch meine Frau zu werden?«
Diese Frage lähmt sie förmlich. Schlagartig ist ihr Gesicht verändert und nimmt einen Zug wehmütiger Traurigkeit an. Wie sich alles verändert hat. Seine Liebe nicht erwidern zu können, von der sie weiß, sie könnte ihr neues, hoffnungsvolles Leben bringen, wenn, ja wenn sie nicht in die unheimlich tiefe Liebe zu Gert verstrickt worden wäre. Ganz kurz läßt sie sich noch einmal gehen, ist aufgewühlt, ihr junges Leben verwirkt zu haben. Aber gleichzeitig reift der Entschluß immer mehr in ihr. Gert gehört nicht ihr, sondern Leonore.
Sie wird alle Konflikte lösen. Jetzt weiß sie auch mit aller Bestimmtheit, daß nur von ihr der Anstoß kommen kann.
»Nun?« Bergen faßt über den Tisch hinweg nach ihrer Hand, die sie ihm willig überläßt und ihn mit einem hilflosen Lächeln anschaut. »Kannst du mir diese Frage immer noch nicht beantworten?«
Sie schüttelt den Kopf. »Sie wird sich einmal von selbst beantworten, Jürgen«, erwidert sie doppelsinnig und er schöpft neue Hoffnung.
»Du würdest mich bestimmt lieben lernen, Inka«, spricht er aus diesem neuen aufspringenden Fünkchen Hoffnung heraus. »Nicht alle Ehen, die im Himmel geschlossen, wurden auf Erden die glücklichsten. Du hättest ein gutes Leben neben mir, Inka, denn ich liebe dich.«
Inka weint nach innen. Das Lächeln ist nur noch ein Schatten auf ihren Zügen. Sie drückt leicht seine Hand. »Ich verdiene gar nicht deine Liebe, Jürgen.«
»Aber Inka«, sagt er vorwurfsvoll. »Wie kannst du so gering von dir denken?«
Groß sieht sie ihn an mit den fiebrig glänzenden, geheimnisvollen Augen. »Wollen wir nicht von anderen Dingen sprechen, Jürgen. Laß uns die paar Stunden des Zusammenseins nicht durch einen Schatten trüben.«
Er seufzt auf, drückt leicht seinen Mund auf ihren Handrücken und fügt sich ihrem Wunsch. Inka ist noch eine kurze Zeit jung und mitreißend fröhlich. Spät in der Nacht setzt er sie vor dem Hause ab. Das Portal ist noch beleuchtet und Inka wundert sich darüber. Doris wird es vergessen haben. Langsam dreht sie sich Bergen wieder zu und reicht ihm die Hand. Er streckt seinen Kopf durch das heruntergelassene Fenster und plötzlich erfaßt Inka ihn und küßt Bergen auf den Mund, einmal, zweimal und läßt den völlig verwirrten jungen Arzt zurück.
*
Leonore sitzt noch spät mit einem Buch unter der Stehlampe. Sie versucht, etwas zu lesen. Unaufhörlich gehen ihr Doris’ Worte durch den Kopf, die einen schweren Vorwurf enthielten.
»Sie sollten sich etwas mehr um Inka kümmern, gnädige Frau. Das Mädchen gefällt mir nicht.«
Leonore weiß, daß Doris nichts von den Vorgängen zwischen ihnen dreien entgangen ist. Aber sie steht treu zu dem Haus und seinen Bewohnern.
Nie wird ein Wort nach draußen über ihre Lippen kommen.
Nun grübelt Leonore vor sich hin. Inka! Sie hat Inka übersehen, als ob sie Luft wäre, und dabei doch gespürt, wie sehr Inka sich nach einem versöhnlichen Wort sehnte.
Heute, wo die erste Post von Gert an sie angekommen ist und etwas wie Wärme für sie ausstrahlte, ist sie verzeihlich gestimmt.
Ja, sie ist sogar soweit, sich grausam zu nennen. Haben nicht beide, Gert und Inka, bewiesen, daß sie mit dieser Liebe unter allen Umständen fertig werden wollen – ihr zuliebe, der alternden Frau zuliebe?
Sie legt das Buch aus der Hand und geht zu Inkas Zimmer. Die Tür ist verschlossen. Sie klopft. Nichts rührt sich dahinter. Ihre Angst wird stärker mit jeder Minute, die sie pochend vor der verschlossenen Tür steht.
Schließlich macht sie Doris mobil. Sie ist wie von Sinnen, und bald hat sie alles auf die Beine gebracht, damit man gemeinsam das Zimmer öffnen kann.
Endlich! Es ist eine schier endlose Zeit für Leonore vergangen, als sie den kosigen Raum betritt. Das Nachtlicht brennt noch und wirft einen warmen gelben Schein auf das Bett und auf den weichen Vorleger, auf dem Inka zusammengerollt liegt. Sie muß seitlich aus dem Bett gefallen sein.
»Inka!« Sie stürzt sich auf ihre Tochter. Ein merkwürdig wächsernes, lebloses Gesicht sieht ihr entgegen. »Inka, mein Gott!«
Doris ist sofort zum Telefon gelaufen. Sie weiß, was sie tut, als sie
ausgerechnet Doktor Jürgen Bergen anruft. Er gehört zu Inkas Freunden. Was sich hier auch abgespielt haben mag, es muß innerhalb dieser Mauern bleiben. Sie telefoniert zuerst ins Krankenhaus, bekommt den Bescheid, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach im Hause seiner Eltern sei, und dort erreicht sie ihn auch.
»Herr Doktor, kommen Sie sofort«, sagt sie ruhig, aber mit brüchiger Stimme. »Inka – ich glaube, es ist etwas Furchtbares geschehen.«
Dann hängt sie ein und bleibt neben dem Telefon abwartend sitzen.
Noch nie war Jürgen Bergen so schnell zur Stelle wie nach der Haushälterin alarmierendem Anruf.
»Was ist los mit Inka?« fragt er in seiner ruhigen, gewinnenden Art, sobald er sich im Hause befand.
»Kommen Sie, bitte.« Vor Bergen hastet Doris die Treppe hinan. Sie finden Leonore wie vor Schmerz erstarrt am Bettrand hocken. Lilli und sie haben das Mädchen gemeinsam in ihr Bett getragen.
Mit einer Handbewegung jagt er sie alle fort, außer Leonore, die ihn aus übergroßen, verzweifelten Augen ansieht.
»Du mußt helfen, Jürgen«, flüstert sie, und es schüttelt sie wie im Fieber dabei. »Inka hat mir einen Brief geschrieben. Ich glaube, sie ist tot.«
Im Augenblick hat Bergen begriffen. Sein Gesicht wird undurchdringlich. Er sieht auf den ersten Blick die Schachtel in der Nachttischschublade. Sie ist leer, und er weiß, was das bedeutet.
Mit aller Umsicht in höchster Eile geht Inkas Transport ins Krankenhaus vor sich. Drei Ärzte, darunter Bergen, bemühen sich um sie. Im Wartezimmer läuft eine Frau, von Vorwürfen gepeinigt, wie ein gehetztes Tier hin und her.
*
Aus einer unheimlichen Tiefe, ist es Inka, als schwebe sie immer höher. Sie möchte die Lider heben, doch sie sind wie Blei. Sie möchte der besorgten Stimme