Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
liegt, wo sie helfend einspringen kann, ihrer Herrin.
Schnitzler will sich mit ihr erheben, da er gerade bei ihr zu Besuch ist, doch sie drückt ihn auf den Sessel zurück. »Bleibe, bitte – das kann nur mit Inka zusammenhängen«, sagt sie hastig, wie von einer Ahnung überfallen, daß etwas Ungeheuerliches auf sie zukommt.
Sollte Inka…? Nur das nicht, lieber Gott, nur das nicht! fleht sie innerlich.
Sie kommt in die Halle, wo Schwester Magdalena ruhelos hin und her geht. Sie will nur der Kranken helfen und kann doch nicht wissen, daß sie zu einem Schlag ausholt, unter dem die Frau, die sie freundlich und ängstlich zugleich begrüßt, zusammenbrechen wird.
»Es handelt sich um Inka?« bricht Leonore das Schweigen. »Geht es – geht es ihr schlechter?«
»Nicht besser und nicht schlechter, gnädige Frau. Ich komme aus eigenem Antrieb, und es handelt sich um Ihre Tochter. Ich bilde mir ein, Sie könnten Ihrer Tochter helfen. Sie hat in ihrem Fieberwahn immerzu den Namen Gert geflüstert. Ich halte es für richtig, daß dieser Mann Gert zu erfahren bekommt, daß Ihre Tochter ein Kind von ihm erwartet.«
Langsam – ganz langsam dringt alles Blut zu Leonores Herzen. Sie wird erschreckend blaß. »Gütiger Himmel!« stöhnt sie. Wenn Inka – – Aber nein, das kann ja nicht sein – –
»Sind Sie – sind Sie wahnsinnig geworden?« stammelt Leonore.
»Nein, gnädige Frau«, lächelt die erfahrene Frau nachsichtig. »Damals, als Ihre Tochter den Selbstmordversuch unternommen hatte, wurde ich im Nebenzimmer Zeugin einer Unterhaltung.«
Und nun erzählt sie Wort für Wort, was sich zwischen Inka und Doktor Bergen abgespielt hat. Alles spricht sie sich vom Herzen, nur von dem heißen Wunsch getrieben, einem todkranken Menschenkind zu helfen. Bergens Großzügigkeit, das Kind als das seine anzuerkennen. Nichts verschweigt sie. Inkas Sträuben – ihr langsames Sichergeben.
»Ich bin überzeugt«, schließt sie aufatmend, »Sie müssen den Mann kennen, dessen Namen Ihre Tochter im Fieber hinausgeschrien hat. Sie werden als Mutter dafür sorgen, daß er an das Krankenbett kommt. Nur so, meine ich, kann das Leben der Kranken gerettet werden.«
Leonore sitzt zurückgelehnt mit geschlossenen Augen. Ungeheuerlich – denkt sie – sie glaubt jetzt alles zu wissen und zu verstehen. So wie die Schwester es darstellt, genauso muß es sich verhalten.
»Ich danke Ihnen, Schwester Magdalena«, sagt sie mit tonloser Stimme. Sie hält sich tapfer aufrecht. Nur nicht merken lassen, was sie diese Haltung an Kraftaufwand kostet. »Darf ich ihnen eine Erfrischung reichen lassen?«
»Nein, danke, gnädige Frau«, stammelt die Schwester verwirrt. Kein Wort, ob sie helfen kann. Beinahe sieht es so aus, als wolle sie nicht. Liegt hier noch ein Geheimnis vor? Trotzdem macht sie noch einen letzten Versuch. »Und, gnädige Frau, darf ich Sie darum bitten, sich alles zu überlegen?«
»Das können Sie, Schwester«, ringt Leonore sich die Worte ab und geleitet sie bis zur Tür. »Dank – für Ihren Besuch.«
Schwer atmend lehnt Leonore sich gegen den Rahmen der Tür, die sich hinter der Schwester geschlossen hat. Sie ist immer noch wie versteinert. Sie weiß nicht mehr, lebt sie noch – oder ist sie bereits gestorben.
»Leonore!« Schnitzlers besorgtes Gesicht neigt sich zu ihr hinab. »Was ist los? Mir scheint, die Hiobsbotschaften hören nicht auf. Komm!«
Er zieht die willenlos gewordene Frau mit sich, drückt sie sanft in einen Sessel und bleibt vor ihr stehen.
»Bitte, sprich endlich, Leonore«, fleht er sie förmlich an. »Es muß doch etwas Schreckliches passiert sein. Ist Inka…«
Er wagt den Gedanken nicht auszusprechen.
Sie hebt die Augen zu ihm auf, geweitete, glanzlose Augen in tiefster Verzweiflung. »Inka bekommt ein Kind – und Gert ist der Vater.«
Als er begriffen hat, unterdrückt er einen Fluch. Leise, stockend, manchmal von tiefem Stöhnen unterbrochen, erzählt sie alles, was sie soeben von der Schwester erfahren hat. »Das ist also das große Geheimnis, das Jürgen und Inka verband. Sie wollten mich und Gert schonen. In erster Linie sicher mich. Nun hat es mich doppelt hart getroffen. Was soll ich jetzt tun? Bitte, Reinhold. Was habe ich zu tun?«
Er macht ein paar ziellose Schritte durch das Zimmer und kommt wieder zu ihr zurück. Beide Hände stützt er auf die Lehne des Sessels. Er ist unheimlich ernst.
»Du mußt Gert sofort zurückholen.«
Danach richtet er sich auf und betrachtet die Wirkung seiner Worte. Sie hat den Kopf gegen die Lehne gepreßt und hält die Augen geschlossen. Als er bemerkt, wie es unter den seidigen Wimpern zu fließen beginnt, denkt er, gottlob, endlich Tränen, Tränen erleichtern, Tränen lösen den verkrampften Schmerz.
»Ich kann es nicht«, wimmert sie. Er nimmt ihre Hand auf. Eiskalt fühlt sie sich an.
»Du darfst jetzt wirklich nicht an dich denken, Leonore. Du bist nicht nur Frau, du bist auch Mutter. Soll Inka zugrundegehen? Haben die beiden Menschen nicht alles getan, um dir weiteres Leid zu ersparen? Was ist nicht alles schon geschehen. Willst du wirklich weniger großherzig sein als Jürgen Bergen, der sich mit seiner Ehe vor Inka gestellt hat, ohne zu wissen, wer der Vater ihres Kindes ist? Es mag hart klingen, Leonore, aber ich würde dich dann für eine Egoistin halten, die sich mit aller Macht an eine verlorene Liebe klammert, die schon längst an der Gewohnheit zerbrochen ist. Glaube mir, ich meine es ehrlich und herzensgut mit dir. Nicht an mich denke ich, Leonore. Du weißt, wie sehr ich dich liebe. Ich habe auch verzichtet, da es um dein Glück ging. Es war nicht von langer Dauer. Es hat sich schon manches Menschenherz verwirrt und dennoch heimgefunden.«
Fassungslos sieht sie zu ihm auf. »Was gibt dir solche Worte ein?«
Er lächelt ganz leicht. »Ich sehe alles mit den Augen der Liebe – und ich kann zu keinem anderen Entschluß kommen. Was willst du jetzt tun?«
Wortlos erhebt sie sich und geht aus dem Zimmer. Er sucht die Garderobe auf, läßt sich von der irgendwoher aufgetauchten Doris in den Mantel helfen und verläßt das Haus.
Angst ist in ihm. Wie wird Leonore sich entscheiden?
*
Und Leonore hat entschieden.
Gert Wendhoff bekommt den Expreßbrief, als er gerade im Begriff ist, das Hotel in Stuttgart zu verlassen, um sich an seine Baustelle zu begeben. Während er den Brief öffnet – denkt er – bald ist der Bau vollendet.
Er erkennt Leonores Handschrift. In der Hotelhalle läßt er sich abseits nieder. Mantel und Aktentasche legt er neben sich auf einen freien Hocker. Dann beginnt er zu lesen.
Lieber Gert!
Verzeih, daß ich immer mit Hiobsbotschaften zu Dir kommen muß. Bei Gott, ich habe vieles nicht gewollt. Jetzt aber sehe ich ganz klar, und nun ist es meine Pflicht, Dich darüber zu unterrichten.
Jürgen Bergen ist tödlich verunglückt. Inka liegt sehr, sehr krank im Luisen-Krankenhaus. Ihre Krankheit hat sie körperlich überwunden. Ihre Seele ist krank. Inka hat in ihren Fieberreden nur von Dir gesprochen. Jetzt halte ich es für ganz selbstverständlich. Inka erwartet ein Kind – von Dir. Das ist die reinste Wahrheit. Du mußt sofort kommen. Inka braucht Dich jetzt nötiger als ich.
Schnitzler steht an meiner Seite. Auch ich habe einen Menschen nötig, der mir Halt gibt. Bitte komm!
Leonore.
Gert Wendhoff faltet den Brief zusammen. Er handelt blitzschnell. Gibt zunächst ein Telegramm auf, das seine Ankunft meldet, dann hetzt er auf den Bau, gibt dort seine letzten Anweisungen. Fährt wieder ins Hotel zurück, packt, bezahlt seine Rechnung und befindet sich ein wenig später auf der Autobahn.
Er schont weder sich noch den Wagen. Das Summen des Motors klingt ihm wie Inka in den Ohren. Inka! Inka! Von überall dringt der Name auf ihn ein.
Liebe, tapfere Inka! Jetzt verlasse ich dich nicht wieder! Das schwört