Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
»Wer ist eigentlich das Mädchen?« fragt er geradeheraus nach einer Pause.
»Sie meinen die Kleine?« Schürer nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarre und pafft den Rauch ärgerlich von sich. »Viola ist ein Waisenkind. Sie gehört sozusagen der Gemeinde. Als kleines Kind wurde sie gefunden. Man nahm sie auf. Die Gemeindemitglieder geben jeden Monat eine Kleinigkeit für sie und dafür wird Viola ernährt und gekleidet.«
»Wie ich festgestellt habe, ziemlich schäbig«, bemerkte Tilo ruhig.
Schürer lacht herzhaft auf. »Können Sie sich diese Wildkatze in einem Seidenkleid vorstellen? Höchstens in Hosen. Sie kann reiten wie ein Teufel und klettern wie eine Gemse –«
»Und wo lebt das Kind?«
»Kind?« Tilo sieht im Windlicht, wie die Augen Schürers kugelrund werden. »Ein Kind? Du liebe Güte, das Mädchen wird demnächst neunzehn Jahre alt.«
»Und warum läßt man Viola in diesem abscheulichen Aufzug herumlaufen?«
»Setzen Sie mal über Hecken und Zäune. Da wäre jeden Tag etwas Neues gefällig. Das Mädel stört sich nicht daran, wie es aussieht, und die Gemeinde kann nicht soviel Geld ausgeben.«
Nachdenklich blickt Tilo den Bürgermeister an. Sein blondes Haar scheint wie silbern in dem leise flackernden Licht.
»Ich glaube«, bemerkt er nicht ohne Vorwurf, »Sie haben sich die übernommene Aufgabe etwas zu leicht gemacht.«
Schürer stößt die Zigarre in den Aschenbecher.
»Nun kommen Sie mir auch noch mit Vorwürfen, ausgerechnet aus Ihrem Mund muß ich das hören, wo Sie sich bisher überhaupt nicht um die Kleine gekümmert haben. Sie tragen doch auch Ihren Anteil dazu bei, also –«
Tilo lacht leise, warm auf. »Wieviel Väter hat denn ungefähr die junge Dame?«
Schürer prustet belustigt heraus. »Junge Dame ist gut. An der sind einige Jungens verlorengegangen. Wenn Sie wollen, können Sie sie ja einmal in den ›Eichwald‹ nehmen.« Das klingt angriffslustig und ist durchaus nicht ernst gemeint. Wie könnte man dem kultivierten Tilo Kempen eine solche Person ins Haus geben.
»Das werde ich auch tun«, kommt prompt Tilos Antwort. »Wo finde ich Viola?«
Erregt beugt Schürer sich vor. Atemlos fragt er: »Sie – Sie wollen wirklich?«
»Warum – nicht?« gibt Tilo gelassen zurück. »Wissen Sie wirklich nichts über Violas Herkunft?«
»Nichts! Das heißt«, setzt er zögernd hinzu, »man erzählt sich allerlei Geschichten überViola, aber ob ein Wort wahr daran ist?«
»Was zum Beispiel?« läßt Tilo Kempen nicht locker.
»Die einen sagen, Zigeuner hätten das Kind ausgesetzt. Andere wieder behaupten, es sei ein uneheliches Kind aus vornehmen Hause, das man los sein wollte. Ich halte alles für kalten Kaffee. Sie ist eine Waise, sozusagen eine Dorfwaise.«
»Und bei wem lebt sie?«
Schürer verzieht den Mund, als hätte erauf eine Zitrone gebissen. Widerwillig erklärt er.
»Sie arbeitet überall. Mal bei dem Bauern, mal bei jenem. Sie hilft im Wald, auf den Feldern, sie verwahrt die kleinen Kinder –«
Eine steile Falte entsteht auf Tilos Stirn.
Was er sagen möchte, hält er zurück. Hin und her gestoßen, vielleicht sogar ausgenutzt, denkt er voll Bitternis.
Er drückt seine Zigarette aus und erhebt sich. Mit ihm steht der Bürgermeister auf. Sie reichen sich die Hand. Es ist, als sei etwas zwischen sie getreten, was man besser mit Worten nicht berührt.
»Gute Nacht, Schürer.« Jetzt ist Tilo Kempen ganz der Feudalherr und Großgrundbesitzer. Ein Mann, der gewohnt ist zu befehlen. »Ich lasse mich der gnädigen Frau empfehlen.«
»Wollen Sie nicht –? Oder soll ich Helia rufen?« Schürer ist unschlüssig. Er sieht einen neuen, entschlossenen Zug auf dem schmalen Gesicht seines vornehmen Gastes, als dieser noch hinzusetzt: »Schicken Sie morgen das Mädchen in den ›Eichenwald‹, ich wäre Ihnen zu Dank verpflichtet. Dank auch für Ihre Gastfreundschaft!«
Schürer hört die schnellen Schritte und später das davongaloppierende Pferd. Ärgerlich geht er ins Haus.
*
In der Scheune des Bauern Wessel liegt Viola im Stroh, auf einer schon zerrissenen Pferdedecke. Das Kätzchen liegt zusammengerollt in ihrem Schoß.
Ihre Hände, schöne, schmale, feingliedrige Hände, doch sehr verarbeitet, streichen weich über das seidige Fell der Katze. die leise und behaglich schnurrt. Hin und wieder gibt sie auch ihr »Miau« von sich, dann ruckt Viola mit dem Kopf empor und lauscht auf die Geräusche des Hofes.
Ich brauche Milch für das Tier – überlegt sie – und fieberhaft arbeiten ihre Gedanken, wie sie an etwas Nahrung für das Kätzchen herankommen kann. Milch braucht sie. Entschlossen legt sie die Katze neben sich und erhebt sich, als das Tierchen ihr folgen will, trägt sie es unter gutem Zureden zurück auf die noch körperwarme Decke.
»Ganz lieb sein, mein Kleines«, murmelt sie zärtlich. »Ich hole dir Milch! Warte noch ein ganz klein bißchen. Ich komme sofort zurück.«
»Miau!« macht die Katze und Viola strahlt. Ganz verändert ist das schmale Gesicht, liebreizend und wunderschön. Die Augen leuchten im tiefsten Blau vor Zärtlichkeit. Mit der Geschmeidigkeit ihres jungen Körpers, auf nackten Sohlen, gleitet sie zu dem Tor, öffnet es lautlos und huscht ins Freie. Sie weiß, gleich neben dem Tor steht der Hundenapf, den greift sie sich und bewegt sich lautlos hinüber zu den Ställen.
Im Halbdunkel des Stalles bemerkt sie die Kannen mit der soeben gemolkenen Milch. So schwer sie auch ist, sie hebt eine davon auf und gibt einen Schuß in die Schüssel. Dann rennt sie fort, als brenne ihr der Boden unter den Füßen.
Schwer atmend läßt sie sich neben der Katze ins Heu fallen.
»Da, mein Süßes«, flüstert sie, und sie bemerkt mit Glückseligkeit, wie die kleine zartrosa Zunge zu schlecken beginnt.
Während das Kätzchen sich labt, läßt Viola sich zurück ins Heu sinken. Sie verschränkt die Arme unter dem Kopf.
Ein schmales Männergesicht taucht vor ihr auf, leuchtend blondes Haar und Augen so blank wie Kiesel. Sie hört einen Mund zornige Worte sagen, aber was er sagt, rauscht an ihren Ohren vorbei. Sie ruft sich nur den Wohllaut dieser Stimme ins Gedächtnis zurück.
Auch den feinen Duft, der seinen Kleidern entströmte, glaubt sie noch zu atmen. Er ist ein vornehmer Mann! Ein richtiger Herr! Nicht einmal der Bürgermeister kann mit ihm konkurrieren, ach, überhaupt keiner, den sie im Ort kennengelernt hat. Auch keiner von den Fremden, denen sie manchmal die Koffer ins Hotel schleppt für ein paar Pfennige.
Sie faßt in den Ausschnitt ihrer grobgeschnittenen Bluse. Da hat sie ihn verborgen, ihren Schatz, den sie sich mühevoll verdiente und den sie gut anlegen wird. Vielleicht einmal ein Kleid dafür kaufen? Eines, das im Fenster von Bormanns liegt? Oder ob sie sich lieber ein Paar Schuhe kauft? Die alten sind kaum noch zu tragen.
Ach, tausenderlei geht ihr wirr durch den Kopf, was sie sich alles für ihren Schatz kaufen wird.
Sicher doch ein Kleid, und dann wird sie vor diesen Fremden treten und ihm erklären, wie es mit der Katze kam. Ob er ihr dann glaubt, wenn sie äußerlich nicht mehr so schäbig aussieht?
Kunterbunt geht es dem einsamen Geschöpf durch den Kopf, bis die Müdigkeit es übermannt. Sie träumt von einem hochgewachsenen blonden Mann und wie sie sich innig an ihn lehnt.
*
Tilo Kempen hat sich zeitig erhoben, sein Bad genommen, schnell eine Tasse Kaffee getrunken, einen kurzen Spazierritt in aller Herrgottsfrühe hinter sich gebracht und sitzt nun beim reichlichen Frühstück auf der Terrasse.
Weithin geht