Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
zugegen zu sein?
Lange hadert Wendhoff mit dem Schicksal, das ihn erst in höchste Seligkeit und nun in tiefste Verzweiflung gerissen hat.
Als er sich durchgerungen hat, Inkas Entschluß hinzunehmen, setzt er ein paar Worte ais Verlobungsgruß auf.
An Leonore schreibt er:
Liebe Leonore!
Wenn Inka es so wünscht, dann will ich ihren Seelenfrieden nicht zerstören. Dich bitte ich, laß mir etwas Zeit. Bringe mir noch dieses Verständnis entgegen. Vielleicht führt unser Weg doch noch einmal zusammen.
Es grüßt Dich
Gert.
*
Doktor Jürgen Bergen drängt auf schnellste Hochzeit. Auch die Verlobungskarten sind später abgegangen, und man hat auf ein Fest verzichtet.
Inka ist lieb und gut zu ihrer Mutter, und in Leonores Ton schwingt immer etwas wie Dankbarkeit. Inka hat sich erholt. Nur manchmal ist sie erschreckend blaß.
»Es ist nichts, Mutti«, wehrt sie ab, wenn Leonore sich Sorgen um sie macht. »Die Hochzeitsvorbereitungen sind doch anstrengend.« Und um alles harmloser zu machen, setzt sie fragend hinzu: »Ist Hochzeit machen immer so anstrengend?«
Leonore lächelt.
»Wenn man eine schöne Ausstattung zusammenträgt, dann schon. Das bleibt keiner Braut erspart.«
Manchmal grübelt Leonore hinter Inka her. Wie sehr sich das Mädchen in der Hand hat, seitdem sie Jürgens Braut ist. Aber Jürgen kann auch hinreißend übermütig sein, und er steckt Inka damit an. Nein, sie kann nicht feststellen, daß Inka den Eindruck einer unglücklichen Braut macht.
Jede freie Stunde verbringt Doktor Bergen bei seiner Inka, die er täglich mehr lieben lernt. Mitunter überkommt Inka ein tiefes Schamgefühl. Verdient er überhaupt eine Frau mit einem angeschlagenen Herzen? Keiner weiß, was sie heimlich leidet, wenn Leonore im Taumel der Gebefreudigkeit wieder etwas Schönes angeschleppt bringt.
Dann hockt sie in ihrem Bett, die Augen in Tränen schwimmend, und träumt davon, wenn an Stelle Jürgens Gert dort stünde.
Am nächsten Tag ist sie dann besonders herzlich zu dem Verlobten, der täglich, sobald er auch nur eine Stunde Freizeit hat, mit einer kleinen Aufmerksamkeit erscheint.
»Ich habe ein entzückendes Haus für uns gefunden. Papa hat es bereits besichtigt. Er schenkt es uns zur Hochzeit. Ich führe dich heute nachmittag noch hin. Bis heute mittag zwölf Uhr muß ich noch Dienst tun. Bin auf dem Weg, eine Besorgung für unseren Chef zu machen.«
Er strahlt sie an, und unwillkürlich streicht sie ihm dankbar über die schmale Chirurgenhand. So sehnige, zupackende Hände hat Gert auch, und sie zuckt zusammen, nicht allein vor diesem Gedanken, auch über das plötzliche Auftauchen Leonores.
»Jürgen – du wirst am Telefon verlangt«, sagt sie, und Jürgen eilt in die Halle. Wenig später kommt er enttäuscht zurück.
»Ich muß sofort ins Krankenhaus zurück, schade, nicht eine halbe Stunde kann man sich stehlen. Es scheint sehr eilig zu sein.«
Er küßt Inka zärtlich. »Das ist das Los aller Arztfrauen«, erwidert sie verständnisvoll. »Mir scheint, sie müssen etwa die Hälfte ihres Lebens auf den Gatten warten. Ist es nicht so?«
Sie begleitet ihn zur Garderobe. »Ein halbes Leben?« Er lacht schon wieder. »Nicht ein Viertel lasse ich mir davon stehlen, was dir gehört.«
Vom Portal aus sieht sie ihm zu und winkt, bis der Wagen hinter einer aufspritzenden Schneewolke verschwunden ist. Nachdenklich kehrt sie zu Leonore zurück.
»Er sollte nicht so rasen, Mutti. Die Straßen sind voller Glatteis.«
»Leider kann ein Arzt manchmal weniger an seine Sicherheit als an das zu rettende Menschenleben denken.«
Eine Stunde später wird Inka ans Telefon gerufen. Leonore folgt ihr wie unter fremdem Willen. Sie hört, wie Inka sich meldet, hört einen kleinen erstickten Laut, der Hörer entfällt Inkas Händen. Alles beginnt sich zu drehen. Groß, beinahe drohend sieht sie die Mutter auf sich zukommen.
»Jürgen – tödlich verunglückt – tot – tot – tot!« schreit sie auf, und dann schlägt sie zu Boden, direkt vor Leonores Füßen.
*
Nervenfieber – stellt Oberarzt Kreuder fest und überläßt die Patientin seiner bewährten Schwester Magdalena.
Leonore verbringt die meiste Zeit im Krankenhaus an Inkas Bett. Wenn das Fieber beängstigend steigt und wirre Reden einsetzen, bittet die Schwester die dem Zusammenbrechen nahe Frau, zu gehen.
Leonore ist willig. Sie braucht auch hin und wieder Schlaf. Sie läßt sich von Doris betreuen. Reinhold Schnitzler kommt täglich zu ihr. Er ist entsetzt gewesen, als er Leonore wiedersah. Aus einem jungen Gesicht schauen ein paar übergroße glanzlose Augen.
Ihre Haltung ist wie von Gram gebeugt. Diese Frau liebt Schnitzler noch tiefer als die glänzende, elegante und umschwärmte. –
Mit vollem Bedacht schickt Schwester Magdalena die Mutter der Kranken weg. Immer wenn das Fieber einsetzt, enthüllt sie ihr Geheimnis, das für die Schwester längst keines mehr ist. Sie wurde Zeugin der Unterredung, als das junge, wie zerbrochen erscheinende Menschenkind in ihrer Not überraschende Hilfe von Doktor Bergen bekam.
Sie wird auch alles tun, um der täglichen Besucherin das Geheimnis, das Inka und den jungen beliebten Arzt verband, zu bewahren.
Sie können es kaum fassen, daß dieser junge, hoffnungsvolle Arzt so schnell aus dem Leben gerissen wurde.
Und damit hat er zugleich dieses kranke Mädchen, das ihrer Obhut anvertraut ist, in eine neue Verzweiflung gestürzt, er, der ihr das Leben neu geschenkt hat, mußte selbst gehen.
»Gert!« kommt es wimmernd aus den Kissen. »Hilf mir doch, hilf mir. Was soll ich tun? Ich weiß nicht mehr aus noch ein! Gert! Gert!«
Mitleidig trocknet Schwester Magdalena den Schweiß von der Stirn der Fiebernden. Immer wieder ruft sie den Namen Gert. Ob er wohl der Vater ihres Kindes ist?
Unermüdlich verschafft die Schwester der Kranken Erleichterung, und als die ersten Frühlingsblüten auf dem Rasen vor dem Krankenhaus neugierig ihre zarten Köpfchen aus der Erde strecken, sieht Inka sich mit klaren Augen um.
Wieder erkennt sie das Krankenzimmer, erkennt die Schwester, die schon einmal liebevoll um sie bemüht war, und dämmert vor sich hin.
»Sie müssen etwas zu sich nehmen«, mahnt die Schwester, aber Inka lehnt ab. Apathisch liegt sie in ihrem Bett, spricht nur das Nötigste und läßt sich nur dann und wann einen Bissen, einen Schluck Milch aufzwingen.
Am liebsten ist es ihr, wenn sie ganz allein ist, dann kann sie ganz in Erinnerungen leben. Kaleidoskopartig rollen die Bilder vor ihrem geistigen Auge ab. Die Seligkeit, die ihr Gerts Liebe brachte, und das Leid.
Allmählich dringt sie bis in die letzten Ereignisse vor.
Vater schenkt uns das Haus zur Hochzeit. Heute führe ich dich hin… hört sie eine warme Stimme, die mit einem Male ausgelöscht ist.
Jürgen ist nicht mehr. Lachend ist er von ihr gegangen. Nicht ein Viertel meines Lebens, das dir gehört, lasse ich mir nehmen.
Das Schicksal hat grausam zugeschlagen. Schwester Magdalenas Besorgnis um die Kranke, die immer weniger wird, das Gesichtchen schmäler und die Augen übergroß und glänzend, wird immer größer.
Wenn sich diese furchtbare Starre nur legen wollte, sinnt sie vor sich hin. Ihre Gedanken laufen zu dem fremden Mann hin. Gert! Man müßte den Mann finden und an dieses Krankenbett führen – überlegt sie, und dann setzt sie diesen Gedanken in die Tat um. –
Inka duselt vor sich hin, und Schwester Magdalena läßt sich bei der Oberin melden, bittet um eine Stunde Urlaub und verläßt das Krankenhaus erst, nachdem sie Inka in guten