Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
Schnitzler die schlanke Frau in sein Zimmer. Er hat einfach nicht arbeiten können und ist deshalb in sein Haus gefahren.
»Ja, Reinhold.«
Sie läßt sich von ihm zum Sessel führen. Er holt ihr ein Kissen herbei und stützt ihr den Rücken. Er schiebt ein Tischchen heran und schenkt ihr ein Glas Portwein ein, den sie gern trinkt.
»Wohin soll ich jetzt? In mir ist alles tot und leer. Und dabei habe ich mich nie mehr nach einem Menschen gesehnt, der zu mir gehört, als eben jetzt.«
»Leonore!« Er nimmt ihr Gesicht in seine Hände und sieht ihr eindringlich in die verdunkelten Augen, ganz schwarz sehen sie aus. Jetzt gleichen sie Inkas Augen auffallend, es liegt auch etwas von kindlicher Hilflosigkeit darin.
»Du bist nicht einsam. Wenn es dein Wille ist…? Auf den Händen würde ich dich tragen.«
»Sind alle Menschen gut – nur ich nicht?« klagt sie leise. »Deine Worte haben mich sehr erschüttert. Ich will nicht egoistisch sein. Ich hoffe, daß Gert sich bereits auf dem Wege zu Inka befindet.«
»Willst du so einfach aus dem Leben der beiden Menschen verschwinden, die dir die Liebsten sind?«
»Wie – meinst du das?« fragt sie verwirrt.
»Wie ich Gert und Inka kennengelernt habe, werden sie ihr Glück nur aus deiner Hand empfangen wollen. Du darfst auf halbem Wege nicht stehenbleiben«, mahnt er gütig. »Ringe dich auch zu dem letzten Schritt hindurch. Wenn du es willst, begleite ich dich.«
Sie läßt den Kopf sinken, und er geht indessen zum Telefon, läßt sich mit dem Luisen-Krankenhaus verbinden und bittet Schwester Magdalena an den Apparat.
Als er ihre dunkle Stimme vernimmt, sagt er mit größer Ruhe: »Schwester Magdalena, falls sich Herr Wendhoff im Laufe des Tages bei Ihrer Kranken melden läßt, würden Sie sofort Frau Wendhoff unter meiner Nummer verständigen?«
Befriedigt nickt er vor sich hin. »Ich danke Ihnen.«
»So«, sagt er drinnen zu Leonore. »Nun heißt es abwarten. Leonore. Nicht wahr, du bringst den beiden Menschen selbst deine Entscheidung?«
Kopfschüttelnd blickt sie zu ihm auf. »Wie genau du mich kennst! Zwischen uns beiden ist es umgekehrt. Da bewundere ich dich…«
»Irrtum«, unterbricht er sie, und ihm ist, als sei ein schwerer Stein von seiner Seele gewälzt. »Keiner kann dich mehr bewundern als ich. Das wird wohl bleiben, solange ich lebe.«
Beide Hände reicht sie ihm, über die er sich dankbar beugt.
*
Schwester Magdalena fliegt förmlich über den Flur, als ihr Gert Wendhoff, der Besucher für ihre Kranke, gemeldet wird. Sie öffnet leise
die Tür zu Inkas Zimmer und betritt es auf Zehenspitzen. Die Kranke scheint zu schlummern. Vorsichtig zieht sie die Tür hinter sich wieder zu und eilt mit wehender Schürze ins Wartezimmer.
Eine hohe Männergestalt wendet sich bei ihrem Eintritt um. Langsam geht sie tiefer ins Zimmer
und dem Mann entgegen. Ein schmales rassiges Gesicht. Helle prüfende Augen. Ein sehr ausdrucksvoller Mund.
»Wendhoff!« stellt er sich vor, und die Schwester reicht ihm herzlicher als jedem anderen Besucher die Hand. Was sie sich alles von diesem Besuch verspricht, davon ahnt er nichts.
»Darf ich…«
»Kommen Sie bitte mit«, unterbricht sie ihn schnell. »Meine Kranke schläft. Setzen Sie sich an ihr Bett und warten Sie, bis sie erwacht. Vielleicht bringt Ihre Anwesenheit die Wendung im Befinden der Kranken.«
So schlimm steht es. Er preßt die Lippen zusammen. Er geht neben der Schwester her, an den hohen weißen Türen vorbei, hinter denen Schmerz und Freude sich die Waage halten.
»So!« Aufatmend bleibt Schwester Magdalena stehen. »Hier liegt die Kranke.« Sie öffnet ihm leise und schließt hinter ihm die Tür.
Er sieht einen hellen Raum, auf dessen blitzendem Fußboden die Frühlingssonne aus ihren letzten Strahlen, ehe sie sich zum Untergang anschickt, einen schmalen Teppich webt.
Blumen überall, angenehme Wärme und tiefe Ruhe, die sich wohltuend auf sein aufgewühltes Gemüt legt.
Und dann sieht er Inka, sieht das schmale Gesichtchen, über der klugen Stirn blauschimmernde Locken, die wirr auf dem weißen Kissen liegen. Hände, weiß und wie zerbrechlich, liegen auf der bunten Decke.
Zögernd tritt er näher. Wie er dieses vom Leid gezeichnete Geschöpf liebt! Eine warme Welle schießt zu seinem Herzen, eine Welle des Mitleids, der Barmherzigkeit und der Liebe.
Er setzt sich auf den Stuhl neben das Bett und wartet.
Inka träumt! Gedanken, täglich hundertmal gedacht, kehren auch im Traum zu ihr zurück.
»Vater hat uns ein Haus geschenkt. Heute nachmittag führe ich dich hin. Nicht ein Viertel meines Lebens lasse ich mir stehlen.«
Jürgen, wie er lachend von ihr gegangen ist, um sie in großer Einsamkeit zurückzulassen. Und dann verwischen sich Traum und Wirklichkeit. Aus Jürgens lachendem Gesicht schält sich ein anderes Männerantlitz heraus. Helle Augen, ein Mund, den sie so gern geküßt hat
und von dem sie sich so gern küssen ließ.
Mit einem Stöhnen schlägt sie die Augen auf. Unwahrscheinlich große Augen mit einem entrückten Ausdruck, daß ihm ein heilloser Schreck durchs Herz jagt.
»Gert!« flüstert sie, und es ist ein süßes Lächeln, mit dem sie den geliebten Namen begleitet. »Wie schön – der Traum ist.«
Aber es ist kein Traum. Sie fühlt sich zärtlich umfaßt und ruht im nächsten Augenblick an einer hartklopfenden Männerbrust. Unnatürlich weiten sich ihre Augen.
»Inka!«
Kein Traum? Ein Mensch aus Fleisch und Blut? Und dieser Mensch ist Gert, den sie mit ihrem ganzen heißen Herzen herbeigesehnt hat?
Völlig kraftlos liegt sie in seinen Armen, aber das süße Lachen blüht größer auf um ihren Mund, bis das ganze Gesicht überstrahlt.
»Gert«, raunt sie geheimnisvoll, »daß du noch einmal zu mir gekommen bist! Wie schön von dir und Leonore. Nun habe ich keinen Wunsch mehr auf dieser Welt.«
Er preßt sie mit heißer Angst an sich.
»Inka, ich bleibe für immer bei dir, hörst du?«
Angst um ihr geliebtes Leben hält ihn wie mit Klammern umkrallt. »Leonore selbst hat mich zu dir gerufen. Du mußt gesund werden, Liebes, für mich.«
»Ach, Gert.« Ihre Augen lassen ihn nicht los. »Es wäre so schön. Aber ich bin so glücklich, daß ich nicht glücklicher werden kann. Nur noch einmal sehen wollte ich dich. Gert, ach, Gert.«
»Inka!«
Er hält sie in seinen Armen und küßt sie, lange und innig. »Nun wird alles gut, alles.«
Er spürt, wie der Körper Inkas schwer in seinen Armen wird. Behutsam läßt er sie auf das Kissen gleiten. Ihre Züge sind todblaß, aber das süße Lächeln ist wie eingegraben um ihren Mund.
Da stürmt er hinaus und rennt draußen mit Leonore und Schnitzler zusammen. Er ist in einer unbeschreiblichen Erregung.
»Schnell, die Schwester soll kommen!« stößt er wild hervor, und sofort steht Schwester Magdalena neben ihm und eilt, einen Blick in das verstörte Männergesicht werfend, vor ihnen her zu der Kranken.
Die drei Menschen stehen wie angewurzelt neben der Tür. Leonore muß sich fest auf Schnitzlers Arm stützen. Auch sie trägt keinen Tropfen Blut mehr im Gesicht.
»Zu spät«, murmelt sie, und Schnitzler merkt, wie ein Zittern durch ihren Körper läuft.
Schwester Magdalena richtet sich vom Bett auf und winkt Wendhoff heran.
»Eine