DER LETZTE ATEMZUG. Robert Brown
die Wirklichkeit, in der wir jetzt leben, und sie sind mit dem Wissen darum aufgewachsen, was sie manchmal zum Überleben tun müssen. Dabei fällt mir ein Film ein, den ich mir vor dem Zusammenbruch mit meiner Frau angeschaut habe. Er war wirklich gut, turnte uns aber irgendwie beide ab, weil der Hauptdarsteller darin so gut wie gar nicht auf seine Umgebung gefasst war, in der er sich irgendwann wiederfand. Als wir den Streifen gesehen haben, waren unsere Kids schon bestens für ein solches Desaster gewappnet und dabei nicht einmal hineingeboren worden wie derjenige in dem besagten Film.
Weil wir tatsächlich ernst nahmen, wie unser Dasein möglicherweise ins Negative abgleiten könnte, und sie deshalb darauf vorbereiteten, hielten wir das Drehbuch für umso unglaubwürdiger, denn welcher Mensch, der nach dem Ende der Welt geboren wird, würde nicht von seinen Eltern abgehärtet werden, um unter den neuen Umständen überleben zu können?
Früher, bevor die Menschheit in den Abgrund gestürzt ist, haben unsere Kinder nicht nur Geldsparen gelernt und darauf zu achten, in welchem Supermarkt die Milch am günstigsten war; dabei handelte es sich letztendlich nur um alltägliche Kniffe in der Moderne. Wir brachten ihnen zum Beispiel auch bei, sich bei einer drohenden Gefahr absolut still zu verhalten, sich gut zu verstecken und selbstverständlich auch sowohl das Schießen als auch den direkten Nahkampf.
Auch wenn sich nicht alles zerschlagen hätte, wäre die Welt trotzdem voller Mörder und Vergewaltiger gewesen, nicht zu vergessen die tollwütigen Tiere oder Berglöwen beim Wandern. Meine Frau und ich gingen einfach davon aus, in den afrikanischen Steppen groß gewordene Kinder, die Löwen, Elefanten und Nilpferde um sich herum hatten, seien schon mit den Fertigkeiten ausgestattet, die sich unsere fünf Kids erst noch aneignen mussten. Dass nicht mehr Leute ihren Nachwuchs zu einem richtigen Verständnis der Gefahren der Welt erzogen, sondern stattdessen versuchten, sie selbst vor der Erwähnung jeglicher Übel abzuschotten, ist wirklich unglaublich schade.
Wenn ich die Blicke der Meinen ringsherum in der Halle erwidere, hoffe ich stets, dass meine Kinder so lange aushalten werden, bis der Grundstein einer neuen Gesellschaft gelegt ist. Ich habe getan, was ich tun konnte, um sie auf die richtige Spur zu bringen, jetzt muss ich sie nur noch beschützen, damit sie irgendwann zu gefestigten Erwachsenen werden. Das bedeutet bei den gegenwärtigen Verhältnissen natürlich, dass sie plündern und töten müssen, um am Leben zu bleiben.
Sie sind alle noch sehr jung. Hannah ist zwölf, Olivia zehn, William sieben, Amelia fünf und Benjamin erst ein Jahr alt. Er wurde nur vier Monate vor dem Ausbruch dieser Krankheit geboren. Im Allgemeinen würde ich sagen, dass die Ältesten die höchsten Überlebenschancen haben, aber ich bin mir nicht so sicher, was diese Welt betrifft.
Unsere vier Ältesten können sich noch genauso wie Simone und ich daran erinnern, wie schön und locker das Leben in Amerika einst gewesen war. Wir haben unsere Kleinen mit tonnenweise Spielsachen verwöhnt, Ausflüge zu Seen und an Strände gemacht, sind Bergsteigen gegangen, haben gemeinsam mit ihnen am Computer gespielt oder sind einfach nur ins Kino gegangen.
Wir haben nach wie vor eine Menge Lebensmittel auf Vorrat und müssen deshalb nicht hungern, doch Sandwiches bei Subway oder kurz mal bei IHOP aufkreuzen, um Pfannkuchen und Eier zu essen, kommt natürlich nicht mehr infrage – und auf Fahrten in Spielzeugläden, um den neuesten Plastiktand aus China zu kaufen, müssen sie seitdem auch verzichten. Die Welt, die wir für selbstverständlich hielten, veränderte sich, und damit hadern wir wohl offensichtlich immer noch.
Unser Jüngster, Benjamin, hingegen kennt keine andere Welt als diese. Wir wollen natürlich unser Bestes geben, um ihm zu beschreiben, wie es einmal gewesen ist, doch er wird sich anders als wir niemals nach dem sehnen können, was wir früher hatten. Ich schätze mal, das wird ihn letztendlich sogar stärker machen. Wir alle müssen mit dem Hier und Jetzt klarkommen, wobei die kurzen Momente der Zerstreuung beim Lesen oder Singen, falls sie sich mal ergeben, nur einen kleinen Teil des Alltags unserer Kids ausmachen, statt dass sie der Norm entsprechen so wie damals vor dem Kollaps.
Die Infizierten passieren jetzt endlich das Gebäude, in dem wir uns verstecken, in ihrem stetigen und trägen Schritttempo. Wahrscheinlich sind sie hinter uns her gewesen, haben aber nicht gesehen, wie wir uns versteckt haben, weil Benjamin sie schon bemerkt hatte, bevor sie uns zu nahe kamen, und uns – auf seine ganz eigene Weise – darauf hinwies. Er mag vielleicht erst ein Jahr alt sein, knurrt aber, sobald er einen Kranken entdeckt. Also drehten wir uns alle in die Richtung um, in die er schaute, als wir sein »GRRR« hörten. Weit unten auf der Straße bewegten sich zwei Infizierte. Normalerweise können wir sie abhängen, auch wenn wir langsamer sind, weil wir den Proviant immer auf unseren Fahrrädern und Anhängern dabeihaben. Zum Glück sind es dieses Mal nur zwei, also machen wir sie besser jetzt sofort unschädlich, statt später mit ihnen aufräumen zu müssen.
Nun als sie endlich am Eingang des Geschäfts vorbeigegangen sind, in dem wir uns verbergen, ist es an der Zeit dafür. Meine Aufgabe besteht darin, hinter ihnen auf die Straße zu treten und sie zu töten, bevor sie sich umdrehen und sich gegen mich wenden können. Das ist eine simple Angriffsmethode, die sich regelmäßig bewährt hat, seit wir unterwegs sind. Wir könnten auch unsere Pistolen benutzen, aber ich würde lieber keine anderen Infizierten oder auch andere Überlebende, wenn wir schon einmal dabei sind, auf uns aufmerksam machen, vor allem weil wir mit all diesem Zeug nur schwerlich vorankommen.
»Ich liebe dich, Simone! Ich liebe euch, Kinder. Ihr wisst, was zu tun ist, wenn ich es nicht schaffe?«, frage ich ruhig.
»Wir wissen, was zu tun ist, Eddie«, antwortet meine Frau. »Pass einfach nur auf dich auf und mach schnell; wir bleiben hier und beobachten dich.«
Also werfe ich noch einen Blick auf meine Frau und Kinder, die mich teilweise verhalten anlächeln, und verlasse das Gebäude. Für gewöhnlich verwende ich für solche Überfälle aus unmittelbarer Nähe gern mein Minischwert, das eigentlich eine sechzehn Zoll lange Machete ist. Sie eignet sich bestens für Hiebe, doch ich habe die Klinge auch vorn angespitzt, um damit zustechen zu können. Vier schnelle Schritte mache ich nun, womit ich zu dem langsameren Kranken aufschließe, und dann hole ich mit ordentlich viel Schwung aus. Der Treffer sitzt perfekt: Genau gegen den Hinterkopf direkt unter das Ohr, sodass die Waffe sofort ins Kleinhirn schneidet und das Rückgrat durchtrennt. Er bricht augenblicklich zusammen.
Der andere Infizierte ist eine Sie und will sich gerade umdrehen, bekommt jedoch, weil sie so schwerfällig ist, nicht einmal die Arme hoch, um mich angreifen zu können, bevor ich noch einmal aushole. Meine Bewegungen sind jetzt, nachdem ich mich nach dem Schlag gegen den Mann zurückgezogen habe, nicht mehr ganz so fließend. Dass sie sich linksherum dreht, ist mein Glück, denn dabei wendet sie mir ihr Genick so zu, dass ich als Rechtshänder genau darauf schlagen kann.
Während ich die Machete erneut schwinge, höre ich meine Frau von drinnen »Nein« schreien und zucke leicht zusammen, was schon genügt, um meinen Hieb ein wenig abzulenken; der Winkel verändert sich, weshalb die Klinge im Hals stecken bleibt, statt hindurchzugehen. Sie klemmt nun zwischen den Wirbeln der Kranken und scheint zumindest, als diese in die Knie sinkt, insoweit etwas bewirkt zu haben, dass ihre Beine offenbar nun gelähmt sind. Welches meiner Kinder auch schuld daran ist, dass Simone »Nein« ruft, und mich, damit beim Töten Infizierter ablenkt: Er oder sie wird gehörig etwas zu hören bekommen, wenn ich erst mal hier fertig bin.
Die kranke Lady schlägt am Boden auf, die Machete ragt aus ihrem Hals, während ihr Kopf von dem Geschäft weggedreht ist. Ich will mich gerade über ihr aufbauen, um mit rechts auf ihren Rücken zu treten und meine Waffe auszuhebeln, da erwischt es mich!
Einen Sekundenbruchteil vorher habe ich noch einen Ruf aus dem Laden gehört, doch selbst wenn ich dazu gekommen wäre, zu meinem Angreifer aufzuschauen, hebe ich ja gerade ein Bein über einer Leiche, also fehlt mir das Gleichgewicht, um ausweichen oder mich verteidigen zu können. Ein wuchtiger Mann rempelt mich plötzlich an. Er wiegt bestimmt dreihundertzwanzig Pfund und war – was sonst? – wohl einmal Sportler. Er kam wie aus heiterem Himmel aus ungefähr derselben Richtung wie die beiden anderen und bedrängt mich nun von links. Da er sich also von der Nordseite des Geschäfts her genähert hat, konnte man ihn durch dessen Fenster nicht sehen, bis es bereits zu spät war.
Selbst unter normalen Bedingungen kann ein stehender Angreifer