DER LETZTE ATEMZUG. Robert Brown
einfach zu wenig Zeit, um genau zu zielen und auf den Mann schießen zu können, der außerdem auch noch im vollen Lauf in mich hineinrannte.
Mag sein, dass es sich um einen Junkie oder Schizo handelt, denn mir fällt keine andere Erklärung dafür ein, dass sich jemand rennend gegen mich wirft, während ich gerade dabei bin zwei offensichtlich Infizierte zu beseitigen. Die Verrückten sind niemals Fettsäcke oder ehemalige Büroarbeiter gewesen; mir kommen sie sehr athletisch vor. Sie sind meistens im High-School- oder College-Alter und ein absolutes Ärgernis. Ich meine, ich bin fünfundvierzig, demnächst sechsundvierzig und muss mich mit einem psychotischen Trottel jüngeren Alters auseinandersetzen, der noch dazu bestimmt fünfzig Pfund mehr auf die Waage bringt als ich …
Dass ich meinen linken Arm, als der Typ mit mir zusammenstößt, unter seinem Kinn gegen den Hals drücke, wo er fortan eingeklemmt ist, ist hingegen einfach nur Pech. Er trifft mich mit solcher Wucht, dass sich die Machete aus der Wirbelsäule meines jüngsten Überfallopfers löst, doch ich kann sie nicht festhalten, als ich zu Boden gehe, weil der Mann auf mir so schwer ist.
Er schnappt bereits nach mir und will in mein Gesicht beißen.
»Halt, Moment mal!« Als ich in seine Augen schaue, erkenne ich plötzlich, dass er weder ein Psycho noch ein Junkie ist. Er hat die Krankheit … doch das kann nicht sein, wenn er so schnell ist! Immerhin ist er wohl, so schnell er konnte gelaufen, als er mich niederriss, so hat es sich jedenfalls angefühlt. Es tat weh, und ich denke nicht, dass das allein an seiner stämmigen Figur lag.
Ich fange nun an, hektisch mit meinem rechten Arm herumzufuchteln, um an das kleinere Messer zu gelangen, das an meinem Bein befestigt ist, während er über mir weiterhin mit den Zähnen klappert und mir mit beiden Händen ins Gesicht fassen will. Endlich kann ich die Waffe ziehen und ramme sie ihm mitten in sein blödes Maul. Sie bleibt darin stecken und es sieht aus, als würde er obszön mit irgendeiner Designer-Metallzunge wackeln, wobei sich sein Unterkiefer aber weiterbewegt, sodass er schließlich auf den Griff beißt. Ich kann ihn nur entsetzt anstarren und habe weiterhin große Mühe, ihn von mir fernzuhalten, nicht zu vergessen wieder Luft zu bekommen, die er mir mit dem Sturz geraubt hat.
Das größte Problem mit den Infizierten besteht abgesehen davon, dass sie überhaupt existieren, in ihrer Anzahl. Im Zuge des Ausbruchs haben wir alle sehr schnell begriffen, dass man die Kranken entweder töten oder sich fressen lassen muss – oder sich ebenfalls ansteckt. Allein sich der Infizierten zu erwehren war für die meisten schon schwierig genug und für einige sogar unmöglich, doch sich vor einer langsamen Gruppe von ihnen zu verteidigen ist durchaus möglich, sogar vor Hunderten oder Tausenden von Infizierten, wenn man nur die richtige Position dabei einnimmt.
Bisher sind wir nur trägen und äußerst langsamen Infizierten begegnet. Niemand auf der Welt ist bislang auf irgendeine andere Art gestoßen, wobei wir natürlich nicht mit allen Überlebenden draußen sprechen konnten und in den letzten zwei Monaten ohnehin so gut wie gar nichts mehr gehört haben. Doch dass es laufende und sogar rennende Kranke gibt, ist uns noch niemals zuvor zu Ohren gekommen.
Jetzt stehen wir also offenbar vor der Schwierigkeit, dass sie sich verändern. Entweder ist der Parasit mutiert, oder sie passen sich einfach im Laufe der Zeit an. Das Blatt wendete sich an dem Tag gegen die Menschheit, als das Leiden zum ersten Mal auftrat, und nun in diesem Augenblick direkt über mir – er hockt immer noch auf meinem Bauch – sehe ich die jüngste Entwicklungsstufe der infizierten Art. Keiner der Kranken, die ich bisher erlebt habe, würde das Messer auch nur zur Kenntnis nehmen, das diesem hier im Mund steckt. Ich habe schon welche mit Stichwunden gesehen und versetzte manchen von ihnen selbst mehrere Stiche, doch vorausgesetzt, man drischt nicht mit einem stumpfen Gegenstand auf ihren Kopf ein oder bricht ihnen das Genick, macht ihnen keine dieser Verletzungen etwas aus.
Dieser betroffene Mann bemerkt das Messer in seinem Rachen allerdings und er weiß, dass er deshalb nicht zubeißen kann. Genauso wie die anderen zuckt er nicht oder lässt sich überhaupt etwas anmerken, als ich zugestochen habe, aber jetzt lässt er kurz von meinem Gesicht ab, um sich aufrecht hinzusetzen, nachdem er sich über meinen Kopf gebeugt hat, und macht sich daran, die Waffe aus seinem Mund zu ziehen. Er begreift also ganz offensichtlich, was ihn stört, und er weiß, wie es sich wieder beheben lässt.
Das sollte eigentlich nicht passieren. Niemand hat sich nach der Ansteckung je so schnell bewegt und darf auch seinen gesunden Menschenverstand nicht wiedergewinnen, sobald das Fieber erst einmal eingesetzt hat. Wir haben manche von ihnen untersucht, um herauszufinden, was genau geschieht, wenn sie erkranken. Der Parasit löst zuerst ein starkes Zittern am ganzen Körper und einen Temperaturanstieg bis über dreiundvierzig Grad aus. Dieses Fieber wütet im Endeffekt so lange, bis die meisten normalen Erkenntnisfunktionen und der Bewegungsapparat praktisch durchgebrannt sind.
Auf einmal knallt es über mir laut. Simones Baseballschläger federt vom Schädel dieses Mistkerls hoch, der daraufhin sogleich auf mir zusammensackt.
»Hast du das gerade gesehen?«, schreien wir uns gegenseitig an.
Unsere zweiten Sätze decken sich zwar nicht, zeugen aber gleichermaßen von unserer Beunruhigung. Während ich: »Der hat gerade das Messer aus seinem Mund gezogen!«, rufe, meint sie: »Dieses Ding ist tatsächlich gerannt!«
Einen Moment lang schauen wir zwei uns nur fassungslos an und verinnerlichen diese neue Entwicklung im Stillen.
Schließlich hebe ich meinen Rücken wieder vom Gehsteig, um mich unter meinem übereifrigen Bewunderer herauszuwinden. So wie es aussieht, hat er allerdings beschlossen, mich nicht ohne Abschiedskuss ziehen zu lassen, oder genauer gesagt ohne Abschiedsbiss.
Er schnappt plötzlich nach meinem linken Unterarm und treibt seine Zähne unmittelbar unter dem Ellbogen durch meinen Hemdsärmel bis ins Fleisch. Das tut höllisch weh, und das Blut sowohl an seinen Lippen als auch im Stoff beweist deutlich, dass er mich tatsächlich verwundet hat.
Noch zwei Mal knallt es schnell hintereinander, dann hat Simone ihm den Schädel endgültig eingeschlagen, doch das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen, das erkennen wir beide. Ich kremple langsam den Ärmel hoch. Die Zahnabdrücke sind deutlich zu sehen, und das Gewebe ist leicht zerfranst, weil der Infizierte den Kopf zurückgezogen hat, als der Schläger auf ihn niederging. Ich wurde also gebissen! Meine Kinder kommen jetzt hinter Simone zusammen. Hannah und Olivia verharren mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen. William ist wie meine Frau drauf und dran, in Tränen auszubrechen. Benjamin gluckst »Oh-oh, aua« und zeigt auf meinen blutenden Arm. Nur Amelia steht stoisch ruhig da und beteuert immer wieder: »Das wird schon wieder, Daddy … wie immer bei dir.«
»Simone! Kinder! Seht euch um, falls da noch mehr von denen sind«, verlange ich, da mir bewusst wird, dass wir jetzt vor dem Geschäft auf dem Präsentierteller stehen und bei dem Kampf ziemlich viel Lärm verursacht haben. »Dass ich gebissen wurde, ändert überhaupt nichts. Ihr alle müsst trotzdem die Augen nach weiteren Kranken aufhalten, okay?«
Die Frau, der ich ins Genick geschnitten habe, ist vom Hals abwärts gelähmt, schnappt aber noch immer mit ihren Zähnen nach mir, während ihr Blick zwischen uns herumirrt, sichtlich vor Sehnsucht nach einem Happen von wem auch immer. Simone schlägt daraufhin auch ihr den klappernden Schädel ein. Während sie wiederholt zuschlägt, erkennt man in ihrem Gesicht, wie ängstlich und zugleich wütend sie momentan ist. Sie gibt ein furchterregendes Bild ab, dem ich nie gegenübertreten wollte.
So einfach komme ich anscheinend nicht unter dem Idioten heraus, der mich gebissen hat. Aufzustehen ist äußerst schmerzhaft, aber nicht nur wegen der Wunde an meinem Arm, mein Kreuz bringt mich nach dem Fall auch fast um, und bestimmt habe ich auch zahlreiche Abschürfungen am Rücken, weil ich bei der Landung ein wenig gerutscht bin. Hannah sagt als Erstes, dass keiner in der Nähe ist und Simone bestätigt es kurz darauf.
»Also gut«, antworte ich. »Alle wieder zurück in den Laden. Dass ich gebissen wurde, ist schon fast eine Viertelstunde her, also könnte ich mich jederzeit verwandeln. Bleibt einfach fünf Minuten drin und behaltet mich dabei im Auge.«
Die Zeit vergeht, während ich draußen sitzen bleibe und darauf warte, dass ich mich verändere. Da nichts geschieht, stehe ich irgendwann auf und gehe in das Geschäft,